„Man kann etwas anders malen, als es in der Wirklichkeit ist, aber man muss wissen, warum!“
Ein umgebauter Pferdestall. Überall Bilder, von kleinen Portraitzeichnungen bis hin zu riesigen Ölbildern. In hohen Regalen Kunstbücher, Fotobände, eine Musikanlage. Staffeleien und Kommoden umranden den riesigen Tisch, in dessen Mitte Stilllebenmodelle, Stifte und Pinsel auf eifrige Malschüler warten. Hohe Fenster geben den Blick auf das friedvolle Wameln frei. Davor ein Kissen, auf dem die sechsjährige Jack-Russel-Hündin Speedy ab und zu ein Nickerchen hält.
WOLL: Genau so stelle ich mir ein Atelier vor! Schön haben Sie es hier! Woran arbeiten Sie gerade?
Bernd Sewert: An dem Portrait eines Freundes. Sie sehen hier quasi die erste Schicht.
WOLL: Das sieht jetzt schon genial aus! Und dahinter hängt ein riesiger Briefkasten. Der sieht so echt aus, man möchte die Hand ausstrecken und die Aufkleberreste abknibbeln! Wie lange sitzen Sie an so einem Bild?
Bernd Sewert: Ungefähr 150 Stunden.
WOLL: Sie malen öfter Szenen, die Sie auf Reisen erlebt haben. Worum geht es Ihnen dabei?
Bernd Sewert: Ich möchte mit meiner Kunst etwas ausdrücken. Dabei nehme ich gern Bezug auf Aktuelles wie Umweltkatastrophen oder Missstände. Manchmal möchte ich aber auch einfach nur mit Farben spielen.
WOLL: Eigentlich wollten Sie Lehrer werden, haben nach dem ersten Staatsexamen aber ein Kunst- und Architekturstudium begonnen. Wieso?
Bernd Sewert: Damals herrschte eine regelrechte Lehrerschwemme. Da wollte ich lieber noch etwas Handfestes machen.
WOLL: Sie haben bei Gerhard Richter und Joseph Beuys in Düsseldorf gelernt. Das sind große Namen: Beuys gilt als einer der bedeutendsten Aktionskünstler des 20. Jahrhunderts; Gerhard Richters Werke sind die teuersten eines lebenden Künstlers. Erzählen Sie doch mal!
Bernd Sewert: Joseph Beuys galt als der „Entfant terrible“ der Kunstszene. Aber er war ein ganz netter, bescheidener Mann.
WOLL: Sie waren ja sogar sein Meisterschüler! Wie genau geht das eigentlich?
Bernd Sewert: Man muss sich bewerben und ausstellen. Das schauen sich die Professoren dann an und wählen einige wenige Meisterschüler aus.
WOLL: Klasse! Und Gerhard Richter?
Bernd Sewert: Der hat schon 1970 Fotorealismus gemacht, als die Amerikaner noch gar nicht wussten, wie man ‚Fotorealismus‘ schreibt. 1971/72 sah ich mein erstes Bild von ihm bei einer Ausstellung in Düsseldorf. Eine lebensgroße Frau, die eine Treppe hinuntergeht (Anmerkung: Es handelt sich bei diesem Werk um „Ema (Akt auf einer Treppe)“). Das hat mich total gepackt.
WOLL: Und wie sind Sie dann in Richters Klasse gekommen?
Bernd Sewert: Anatol Herzfeld sah mein Bild von einer Makrele auf rotkarierter Tischdecke. Er ging damit zu Richter und sagte: „Ich hab hier einen für Dich!“. Richter schaute sich das Bild an und sagte dann bloß: „Ist in Ordnung.“ Später habe ich dann auch bei ihm mein Examen gemacht.
WOLL: Kann jeder zeichnen lernen?
Bernd Sewert: Ich halte es da mit Picasso, der sagte, es braucht 95 % Fleiß und nur 5 % Veranlagung.
WOLL: Also üben, üben, üben?
Bernd Sewert: Ja. Kunst ist ein Handwerk.
WOLL: Wann haben Sie eigentlich zu malen begonnen?
Bernd Sewert: Als ich 14 war, machte ein Geschäft in Soest in der Brüderstraße einen Ausverkauf. Dort kaufte ich einen Kiste Ölfarbe für 60 DM.
WOLL: Sie arbeiten heute oft mit Ölfarben auf Acryl?
Bernd Sewert: Ich benutzte Ölfarben für die Übergänge. Acryl trocknet dafür zu schnell. Außerdem gibt das hohe Kanten.
WOLL: Wirkt sich die aktuelle Lage auf Ihre Arbeit aus?
Bernd Sewert: Natürlich. Finanziell gesehen ist das eine Katastrophe. Kreativ gesehen ist es eine Chance. Durch den Unterricht hatte ich die letzten Jahre kaum Energie, um noch zu malen. Dafür ist jetzt wieder Zeit.
WOLL: Sie arbeiten ja überwiegend fotorealistisch. Dabei soll das Bild hinterher so aussehen, als wäre es ein Foto. Könnte man dann nicht einfach ein Foto machen…?
Bernd Sewert: Nein. Beim Malen hat man ja die Freiheit, Dinge zu betonen, Ausdrücke mehr herauszuarbeiten.
WOLL: Man kann sozusagen schummeln?
Bernd Sewert: Man kann etwas anders malen, als es in der Wirklichkeit ist, aber man muss wissen, warum! Das darf kein Akt der Willkür oder des Nichtkönnens sein.
WOLL: Angenommen, man hat es mit zwei hochbegabten Künstlern zu tun, die beide dasselbe Foto „nachmalen“ – müssten die so entstandenen Bilder dann nicht eigentlich gleich aussehen?
Bernd Sewert: Nein! Jeder hat ein anderes Empfinden für Farben und Übergänge, daher werden die Bilder immer unterschiedlich aussehen.
WOLL: Ich verstehe. Wieso leben Sie eigentlich am Möhnesee?
Bernd Sewert: Hier habe ich die Ruhe zum Malen.
WOLL: Also ist die Großstadt nichts für Sie?
Bernd Sewert: Nein. Ich stamme gebürtig aus Weslan. Als ich 1970 nach Düsseldorf zog, dachte ich erst: „Cool, Düsseldorfer Altstadt!“ Aber nach einem Vierteljahr bin ich da schon gar nicht mehr hingegangen. Ich finde dort alles so furchtbar anonym. Während meines Studiums habe ich dann oft nachts in der Badewanne gesessen und gemalt.
WOLL: Wie entscheiden Sie eigentlich, was Sie malen?
Bernd Sewert: Ich suche mir etwas aus, das mich provoziert.
WOLL: Aha? Wie hat Sie denn damals die Makrele provoziert?
Bernd Sewert (lacht): „Mein Vater brachte früher immer einmal die Woche eine Makrele vom Markt mit. Diese Goldtöne hatten mich einfach fasziniert.
WOLL: Was haben Sie als Nächstes vor?
Bernd Sewert: Es gibt da einige alte landwirtschaftliche Maschinen, die mich reizen.
WOLL: Braucht man Kunst überhaupt?
Bernd Sewert: Kunst ist wichtig, weil sie den Menschen die Möglichkeit gibt, Dinge und Beziehungen auszudrücken. Kunst bereichert. Was wäre das Leben ohne Kunst? Was wäre das Leben ohne gutes Essen? Kunst ist ein Luxus des Menschseins.