„Ernie!“, ruft Roland Albers. Ein großer Hirsch spitzt die Ohren und macht ein paar zaghafte Schritte auf den Mann mit der Schubkarre zu. Auch der Rest des Rudels wartet in einiger Entfernung schon gespannt. Die Tiere wissen genau, wann Fütterungszeit ist. Ernie hat sich inzwischen schon sein erstes Brötchen aus der Hand abgeholt, als auch die anderen näher kommen.
Das Wildgehege in Bödefeld existiert schon seit 50 Jahren. Gelegen an einem steilen, waldigen Hang, scheinen die Tiere fast wie in freier Wildbahn zu leben. Eine grandiose Kulisse für Fotografen. Aber obwohl das Gehege schon so lange existiert, ist es noch wenig bekannt. Erst die letzten zwei, drei Jahre zieht es deutlich mehr Besucher an. Das ist nicht zuletzt dem Engagement von Roland Albers zu verdanken, einem der Ehrenamtlichen, die sich um das Wildgehege kümmern. Denn eigentlich sollte das Wildgehege schon vor zwei Jahren geschlossen werden. Der Zaun des fast 10 Hektar großen Geheges war marode und musste dringend erneuert werden, die Kosten dafür waren jedoch viel zu hoch. Niemand war bereit, in ein Wildgehege zu investieren, das ohnehin kaum Besucher anzog. Denn diese beschwerten sich oft, dass keine Tiere zu sehen waren.
Ursprünglich entstand das Gehege 1968, da der damalige Förster das Verhalten und die Entwicklung der Hirsche in möglichst natürlicher Umgebung erforschen wollte. Mit den Jahren wuchs das Gehege. Zurzeit sind es 13 Tiere, die in Bödefeld zuhause sind und die gefüttert werden wollen. Vier Ehrenamtliche kümmern sich darum. Jeden Abend halten sie sich dafür eine Stunde bei den Hirschen auf. Aber sie füttern nicht nur, sondern suchen auch das Vertrauen der Hirsche. Inzwischen lassen sich einige anfassen und durch die immer gleiche Fütterungszeit, warten sie am Abend bereits am Futterplatz, sodass Besucher sich nun darauf verlassen können, die Hirsche auch zu Gesicht zu bekommen.
Der Eintritt ist kostenlos. Unterhalten wird das Gehege durch Spenden. Auch Futter und Heu für den Winter werden zu einem großen Teil kostenlos bereitgestellt. Die Bäckerei Tismes liefert wöchentlich Altbrot und der Ferienbauernhof Gördes-Riekes bringt jedes Jahr genug Heu, damit die Tiere über den Winter kommen. „Im Gegenzug bekommen sie dann Fleisch von uns. Das kann man wertmäßig gar nicht aufwiegen. Aber es sind eben nicht nur wir, die das Gehege erhalten wollen und deswegen helfen sie uns dabei“, erklärt Werner Braune, der ebenfalls ehrenamtlich das Wildgehege unterstützt. Auch Äpfel, Kartoffeln oder Kastanien werden aus der Umgebung zu den Hirschen gebracht. Kraftfutter und Zuckerrüben werden zusätzlich eingekauft, aus der Spendenkasse oder von dem Geld, das durch abgeworfene und dann verkaufte Geweihe sowie den Fleischverkauf eingenommen wird. Auch der Zaun konnte schließlich durch eine großzügige Spende des alten Försters und einer Vielzahl von freiwilligen Arbeitsstunden erneuert werden.
Die Hirsche haben inzwischen alle Brötchen aufgefressen und einige Vögel machen sich über die Krümel her. „Es sind nicht nur die Hirsche, die man hier beobachten kann“, stellt Albers fest. „Auch Eichelhäher und Krähen kommen, um sich die Reste zu holen. Ich hatte einmal die Karre mit Brot voll beladen, da kamen zwei Meisen angeflogen, die setzten sich darauf und fuhren mit mir ins Gehege.“
Nicht nur, aber vor allem auch für Kinder ist der Besuch des Wildgeheges mit der Fütterung ein besonderes Erlebnis. Gleich oberhalb des Geheges führt der Hollenpfad entlang, unterhalb liegt der Naturerlebnisspielplatz Walkenmühle, der Familien dazu einlädt, Spiel und Naturerleben im Wildgehege zu verbinden.
von Sonja Nürnberger