Ein dunkles Kapitel der Sauerländer Geschichte

Quelle: Karin Hessmann

„Es gibt Themen, die lassen einen nicht mehr los, so sehr man sich ihnen zeitweise entfremdet oder sie links liegen lässt. Mit der Zeit bemerkt man, dass sie einem in Gedanken doch nah geblieben sind.“ So beginnt Anja Grevener die Einleitung ihres neues Buches GIEBELRITT DURCHS SAUERLAND. In 23 Geschichten, sogenannten literarischen Schlaglichtern auf die Hexenverfolgungen im Sauerland vor rund 500 Jahren, versucht die Autorin ein dunkles Kapitel in der Sauerländer Geschichte sichtbarer werden zu lassen.

Von Soest bis Bilstein, über Menden, Oberkirchen und von Winterberg bis Balve – überall brannten im 16. und 17. Jahrhundert im kurkölnischen Sauerland die Scheiterhaufen. Zwischen 2000 und 3000 Menschen starben als böse Hexen und Hexer, die sich verschworen haben sollten, den Menschen mit eisigem Wetter, furchtbaren Krankheiten und anderen Flüchen gegen Leib und Leben zuzusetzen.

So fängt es an

Im ersten Kapitel des Buches schildert Anja Grevener in einem fiktiven Dialog, wie es anfängt.

Guten Abend! Ich wollte nur hören, wie es dir so geht. Hattest ja gesagt, es wird ein schlimmer Tag. Hast du Lust, zusammen ein Bier zu trinken? Zu kujern?

Eigentlich habe ich vom Bier heute genug…

Ist etwas passiert?

Ich bin stocksauer! Das Bier war so gut wie fertig und schon in den Fässern, aber das, das habe ich noch nie erlebt!

Was denn?

Alles im … Von zwei Fässern brechen die Böden raus! Einfach so! Eine riesige Sauerei und meine ganze Arbeit sickert in die Erde…

Verdammte Hacke! Das tut mir leid!

Ich weiß nicht… In letzter Zeit geschehen ständig irgendwelche Dinge, die meinem Geschäft schaden! Ich könnte dem Fassbauer an die Gurgel springen, was der mich gekostet hat.

Du bist nicht der Einzige, der so wat vertellt! Kennst du den Schöttler?

Ja, glaube schon. Wieso? Der braut doch gar nicht.

Ist ja nicht nur das Bier. Er hat mir erzählt, dass er wieder mal Probleme mit seinen Nachbarn hat. Weißt schon, dieses Hessekes.

Ich verstehe nicht, was das mit meinem Pech zu tun hat. Teichhof.

Vielleicht treibt sie es mit wirklich dunklen Kreaturen? Feststeht doch, dass jedes Mal was geschieht, wenn die Hesseken auftauchen oder die Christine. Oder? Wenn die sich geärgert fühlen. Die sind es, die Unfrieden bei uns bringen. Ohne die wäre es ruhig und friedlich bei uns.

Sieht so aus, ja. Aber was machen wir jetzt mit diesem Wissen? Davon kriege ich mein Bier nicht wieder und die Kühe geben dadurch nicht wieder Milch. Wie wird man sie am besten los? Heimzahlen sollte man ihnen die Boshaftigkeit.

Ich höre mich mal um. Ich kenne ein paar Leute bei Gericht. Vielleicht interessiert die das. Dass solche Unruhestifter für Ärger sorgen.

Fragt Du für uns alle nach? Würde mich interessieren, ob man gegen deren Taten etwas unternehmen kann. Wie ich höre, sind die Hesseke und die Christine nicht die einzigen Weiber, die immer wieder Unfug treiben, sich nicht benehmen können, wie es sich für sie gehört. Unschicklich, wie die sich kleiden, gegen, geben.

Versprochen. Ich kümmere mich. Zum Glück kenn eich den Freigrafen Heinrich Beckmann, der ist ein hohes Tier bei Gericht. Ich schicke ihm gleich mal eine WhatsApp. Diese Weiber werden schon sehen, dass es sich nicht lohnt, sich gegen brave Leute zu wenden und sich als Unruhestifter zu verschwören. Aber, wie sieht es denn jetzt mit deiner Bierlaune aus???

Sechs Frauen aus Winterberg wurden am 15. Juli 1523 auf dem Scheiterhaufen hingerichtet.

Gleicher Grundgedanke

Anja Grevener sucht in der Einleitung ihres Buches ein Antwort auf die Frage zu geben, warum sie sich mit einem solch brutalen und verstörenden Thema beschäftigt. Unter anderem sagt sie dazu: „Dass dieses Grauen zwar vor 500 Jahren passiert ist, aber der Grundgedanke, der dahintersteckt, heute der gleiche und furchtbar aktuell ist. In Afrika werden Menschen als Zauberer und Hexen hingerichtet, sogenannte Hexenkinder werden dort im Kleinkindalter verstoßen und sich selbst überlassen… Wie leicht verleumde ich jemanden in der Anonymität des Internets? Warum werden manche Gruppen derart als Bedrohung unserer Gesellschaft wahrgenommen? Wie leicht „verfluche“ ich die, die mir Böses wollen? Warum haben so viele westlich orientierte Kulturen Angst vor dem Islam? Vor dem immer schneller werdenden Rotieren der Welt und ihren neuen Mysterien und Perversionen?“

Anja GrevenerQuelle: Privat

Bezugnehmend auf die heutige Zeit, ergänzt die Autorin: „Und ganz aktuell: Warum finden die Theorien einer weltweiten Verschwörung gegen die Menschheit in Zeiten einer Pandemie so viele Anhänger? Waren die Menschen des 16., 17. und 18. Jahrhunderts Querdenker, die ihre Ängste vor Pest und Cholera auf eine Hexensekte projizierten und nach deren Ausrottung strebten? In der Tat ging der Verfolgungsdruck oftmals vom Volk und nicht von den adligen Machthabern aus. Im Grunde sind die Parallelen verblüffend, wie wenig sich unser gesellschaftliches Zusammenleben in all den Jahrhunderten verändert hat und wie leicht wir dem Ruf der „Rattenfänger“ folgen, die uns mit der Erlösung vor dem Bösen locken, sei es in der Gestalt einer Hexe oder von Bill Gates. Angst ist eine gewaltige Triebfeder im menschlichen Geist. Wir müssen keine 500 Jahre zurückschauen, um Verfolgungen von Andersdenkenden, Randgruppen und seltsame Feindbilder aufzuzeigen. Aber schon das Wort „Hexe“ bringt, ähnlich wie „Hai“, einiges in uns in Bewegung. Spinnenfinger locken uns ins Lebkuchenhaus, angsteinflößende Bilder von messerscharfen Zähnen, zerfetzten Robben und blutrotem Wasser oder von bösem Lachen und einer schwarzen Katze auf dem hässlichen Buckel tauchen auf. Etwas in uns schwingt mit den Bildern, die diese Worte provozieren. Angst.“

Giebelritt durchs Sauerland

Doch wer waren diese Menschen, die in die Mühlen der Justiz gerieten? Wie gerieten sogar Kinder in diese Prozesse? Warum waren einige Juristen und Adlige so versessen darauf, die Hexen aufzuspüren und abzuurteilen? Neben religiösem Wahn und Aberglauben spielten oftmals mehr oder weniger offensichtlich ganz „irdische“ Beweggründe, Intrigen und Familienfehden mit in die Hexenprozesse hinein …

Anja Grevener versucht in 23 Geschichten, die auf den Überlieferungen von Hexenprozessen des Sauerlandes basieren, einige der Opfer, Täter und bedrückende Schicksale, die hinter den nackten Zahlen, Daten und Fakten stecken, nach Jahrhunderten sichtbarer werden zu lassen. Kurze Hintergrundtexte ergänzen diesen literarischen Giebelritt auf den Spuren der Hexen des Sauerlandes.

GIEBELRITT DURCHS SAUERLAND – Literarische Schlaglichter auf die Hexenverfolgungen – 224 Seiten – ISBN: 948-3-948496-46-3 – 14,90 Euro

GiebelrittQuelle: WOLL-Verlag
Cover: Giebelritt durchs Sauerland