Wohnen mit den Pharaonen

Quelle: privat

Gespräch mit einem Warsteiner Ägyptologenpaar 

Es gibt Biographien, die einfach zu phantastisch anmuten, um wahr zu sein:  Ein Beispiel: Der Sohn eines Zimmermanns, geboren 1952 in einem „kleinen Flecken“ bei Hildesheim, liest schon als 14-Jähriger mit Begeisterung Klassiker der griechisch-römischen Literatur. Nach dem Realschulabschluss besucht er die Höhere Handelsschule und studiert danach Sozialarbeit. 1975 bekommt er eher zufällig die Zusage für ein Studium der Ägyptologie. Schon im ersten Semester begeistert er sich für die Sprache der alten Ägypter, er lernt Hieroglyphen lesen, wird bald zum Experten für die Grammatik und Wortforschung dieser 5.000 Jahre alten Sprache der Pharaonen. 1979 schließt er das Studium mit dem Magistergrad ab, anschließend promoviert er in Heidelberg, später folgt die Habilitation.  

Bis dahin kann man sich noch eine wissenschaftliche Karriere vorstellen, die sich im Normbereich befindet und alle Achtung verdient. Auch eine Gastprofessur in China 1984-1987 passt noch ins Schema. Erster Dozent für Ägyptologie in China zu sein, ist da schon ein anderes Kaliber. Zurück in Deutschland arbeitet er für das renommierte Roemer- und Pelizaeus-Museum in Hildesheim. Er beginnt mit der Arbeit an einem ägyptischen Wörterbuch. Im Rahmen eines DFG Forschungsprojektes in Ägypten leitet er eine Ausgrabung direkt neben der Chephren-Pyramide und legt dort das von ihm entdeckte Grab eines Wesirs aus der 6. Dynastie frei. Danach wird er Fachvertreter für Ägyptologie in der Universität Marburg. 

Quelle: privat

Nebenbei verfasst er nach ihm benannte Lexica, eine Art Duden der Ägyptologie, welche die weltweit umfangsreichste Sammlung altägyptischer Wörter in bislang sechs Bänden und über 10.000 Seiten enthalten.  

Irgendwie ist er immer noch nicht ausgelastet und erforscht ein bislang rätselhaftes Manuskript aus dem Mittelalter. Folgt man seinen Überlegungen, so könnte das Voynich-Manuskript ein codiertes mittelalterliches „Kräuterbuch“ gewesen sein, das in zeitgenössischem Hebräisch verfasst wurde. Solche Abhandlungen gab es damals reichlich, und die Codierung erhöhte die Geheimhaltung der Kenntnisse, die nur einer kleinen Elite vorbehalten bleiben sollten.  

Wer den Namen dieses außergewöhnlichen Mannes noch nicht geahnt hat, hier kommt die Auflösung: Prof. Dr. Rainer Hannig und seine Ehefrau Daniela Rutica mit Wohnsitz in Warstein stellen sich freundlich, offen und mit bestechender natürlicher Herzlichkeit den WOLL-Fragen: 

WOLL: Frau Rutica, Herr Prof. Hannig, wie funktioniert eine eheliche Beziehung mit derart vielen Ambitionen und Interessen? 

Rainer Hannig: Hervorragend! Meine Ehefrau ist Künstlerin und ebenfalls Ägyptologin. Sie stärkt mir zwar den Rücken, ist aber das genaue Gegenteil von „der Frau im Hintergrund“. Als älteste Tochter wuchs Daniela mit drei jüngeren Geschwistern auf. Ihr besonderes Interesse für das alte Ägypten und ihre zeichnerische Begabung konnte sich niemand in der Familie erklären. 2005 lernten wir uns kennen. Sie hat Ägyptologie, Religionsgeschichte und Grafik & Malerei studiert. Seit ihrem Magister, den sie 2011 mit Auszeichnung abschloss, leitet sie Projekte, hält Vorträge, malt und unterrichtet. 

Seitdem haben wir viele Projekte gemeinsam gestaltet, eins davon sind die seit 15 Jahren stattfindenden „Tage der Ägyptologie“ in Brenkhausen. Seit 2015 ist Daniela Rutica zudem als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für das koptische Kloster in Brenkhausen bei Höxter tätig. Als Performance-Künstlerin ist sie überall tätig, wo es um die Inszenierung des pharaonischen Ägyptens geht. Sie möchte das Wissen um diese alte Hochkultur authentisch, aber auch unterhaltsam vermitteln.  

Unser Leben ist wunderbar, uns wird nie langweilig. Von Anfang an war klar, dass jeder von uns seine eigenen Schwerpunkte hat. Die Begeisterung für das Alte Ägypten teilen wir, aber während ich für die sprachliche und kulturelle Entwicklung von 3000-1000 v. Chr. Experte bin, beschäftigt sich meine Frau eher mit künstlerischen Themen und mit Spezialthemen wie zum Beispiel Kleopatra VII., die von 69-30 v. Chr. lebte, also 1.000 Jahre später.  

WOLL: Kreativität und Wissenschaft können eine gute Symbiose eingehen? 

Daniela Rutica: Wissenschaft ist ohne Kreativität und Begeisterung nicht möglich. Und im Fall von uns beiden ergänzen wir uns perfekt, hier werden analytisches Denken und Fleiß durch Fantasie und Empathie inspiriert und bereichert. Wir haben immer wieder festgestellt, dass Künstler und Wissenschaftler oft dieselben Fragen stellen und ähnlich an eine Aufgabe herangehen. Seit 15 Jahren veranstalten wir zum Beispiel die Tage der Ägyptologie für Laien und Ägyptologen. Jeder ist dort willkommen. Einige Kollegen waren anfangs skeptisch, aber inzwischen haben die meisten es akzeptiert, denn der Erfolg spricht für sich und die Besucher kommen jedes Jahr begeistert wieder und bringen Freunde mit.  

WOLL Gibt es noch Zeit für weitere Hobbys? 

Daniela Rutica: Natürlich hat jeder von uns auch noch seine eigenen Hobbys. Rainer spielt zum Beispiel jeden Tag Schach und ich lese, schreibe oder male in meinem Atelier. Mit einer Freundin und Kollegin zusammen, Angela Kaiser aus Potsdam, habe ich ein Malprojekt gegründet, wir gestalten Wohnflächen in antikem Stil. “Schöner wohnen” mit Pharaonen. 

WOLL: Was verbindet Sie mit Warstein? 

Rainer Hannig: In Warstein steht mein Elternhaus. Wir haben dort einen Wohnsitz. Wir fühlen uns Warstein sehr verbunden und möchten die BürgerInnen ermuntern: Tun sie das, was ihnen Freude macht, leben Sie Ihren Traum. Auch wenn vieles passiert, was wir nicht beeinflussen können, unsere Gedanken sind frei und wenn man sich bemüht, das Beste aus einer Situation zu machen, öffnen sich oft ungeahnte Türen.