Wo findet man heute noch Mauerblümchen?

Quelle: Britta Säckler

Eine Geschichte aus dem neuen Buch „Liebesperlen, Mauerblümchen und Pissnelken – Originelle Geschichten und Bilder aus dem Garten“ von Thomas Kramer und Britta Säckler – WOLL-Verlag 2023

Unscheinbare Mädels – Mauerblümchen, wie man früher sagte – hatten meistens nur eine Chance, um auf die Tanzfläche zu kommen: Damenwahl. Einige von ihnen hatten von allem ein bisschen zu wenig und die Kerle schauten lieber woanders hin. Ob der Begriff Mauerblümchen in dem Zusammenhang heute noch geläufig ist, weiß ich nicht, aber dass es noch Mauerblümchen gibt, das weiß ich sehr wohl. Allerdings weiß ich wiederum nicht, wieso man weniger Attraktives mit wahrer Schönheit verglichen hat oder noch tut.

Die Mauerblümchen, die ich meine, sind nicht nur zäh und robust, sondern glänzen mit wahren Blütenexplosionen schon sehr zeitig im Frühjahr. Sie sind beim besten Willen nicht zu übersehen. Wie farblos wäre doch die Welt ohne Steinkraut, Polsterphlox oder Schleifenblume. Ob sich mal jemand auf ein Blaukissen gelegt und so den Begriff Polsterstaude erfunden hat, weiß ich auch nicht, aber denkbar wäre es. Ob im Steingarten, in oder oberhalb von Mauern, Treppenritzen, Beeten, Töpfen oder auf Dachflächen, diese Mauerblümchen machen immer eine gute Figur. Ok, vielleicht nicht immer, denn irgendwann ist ihre Blütezeit vorbei und die meist immergrünen Stauden verlieren ihre Pracht, aber wer von uns sieht schon das ganze Jahr über gleich gut aus? Wer jetzt sagt: „Geh weg damit, das sind doch Oma-Pflanzen!“ hat zum einen recht, denn unsere Omas haben sie geliebt, und zum anderen unrecht, denn gerade im Zeitalter des Klimawandels brauchen wir diese Alleskönner mehr denn je. Die frühen Polsterstauden stammen alle aus Regionen, in denen es karg und felsig ist. Sie haben an diesen Standorten gelernt, sich den dortigen Gegebenheiten anzupassen und zu überleben. Dazu gehört auch die frühe Blüte und nachfolgende Samenbildung, denn im Gebirge ist die Wachstumsphase oft nur sehr kurz. Aber nicht nur wir freuen uns über die üppigen kleinen Blüten, sondern auch viele Insekten, die förmlich darauf fliegen. Die Blütenkelche sind voller Nektar, und Bienen und Falter bekommen nach dem Winter eine ordentliche Mahlzeit.

Wer auf Farbenpracht steht, hat mit den Polsterstauden alle Möglichkeiten. Beim Blaukissen ›Aubrieta x cultorum‹ könnte man zwar meinen, dass alle Farbtöne bläulich wären, dem ist aber nicht so. Es gibt Sorten, die sind rosa, weiß, rot oder violett. Beim Polster- Phlox ›Phlox subulata‹ ist es noch vielfältiger. Von einfarbig bis streifenförmig oder weiß mit blauer oder rosafarbener Zeichnung ist alles möglich. Viele dieser Polsterstauden lassen sich sehr gut kombinieren. Hellblauer Phlox mit gelbem Felsen-Steinkraut oder für Schalke-Fans Blaukissen ›Sorte ‚Blaumeise’‹ mit weißer Schleifenblume ›Iberis sempervirens‹. Wenn man sie jetzt pflanzt, sind die Vereinsfarben schon mal im Beet und die Pflanzen können sich bis zur nächsten S04-Meisterschaft gut entwickeln. Einfarbig und ruhig geht natürlich auch. Mit entsprechenden Stückzahlen kann ein imposantes Bild erzeugt werden. Beim Pflanzen muss man nur einiges beachten: Nur die Schleifenblume verträgt etwas Schatten, alle anderen Frühlingspolsterstauden wollen in die Sonne. Sie wollen kargen Boden wie im Gebirge und keinen fetten Lehmboden. Kommt es zu Staunässe und das Wasser kann nicht im Boden versickern, bedeutet das das sichere Aus für diese Pflanzen. Dünger wollen sie auch nicht, denn Humus und Nährstoffe sind im Gebirge ebenfalls Fremdwörter. Ab und an etwas Kompost reicht völlig. Wässern müssen Sie nur wenig im ersten Jahr, danach kommen die Pflanzen alleine klar. Nach der Blüte können Polsterstauden eingekürzt werden, damit sie schön kompakt bleiben und zur Nachblüte angeregt werden. Für die zweite Blüte braucht man zwar etwas Glück, aber warum sollten Sie kein Glück haben? Wenn Sie diese paar Dinge beachten, haben sie über Jahrzehnte zuverlässig die Garantie, dass es im zeitigen Frühling in Ihrem Garten üppig blüht, summt und brummt. Aber für mich haben diese Pflanzen auch im Sommer ihren Reiz, wenn ihre grünen Blätter locker über einer Mauerkrone hängen oder Ecken verdecken und dadurch abrunden.

Ich hoffe, Kritiker sehen Mauerblümchen jetzt mit einem anderen Blick und führen sie demnächst sicher über die Tanzfläche, egal ob männlich oder weiblich.

Quelle: WOLL-Verlag

Das Buch „Liebesperlen, Mauerblümchen und Pissnelken – Originelle Geschichten und Bilder aus dem Garten“ ist im WOLL-Verlag erschienen und in den Sauerländer Buchhandlungen, beim WOLL-Verlag und diversen Online-Portalen erhältich.

ISBN 978-3-948496-72-2 – 19,90 Euro