Wo die Geschichte des Sauerlandes begann

1.250 Jahre Obermarsberg

Wo hat die Geschichte Deutschlands, wie wir sie heute kennen, ihren Ursprung genommen? Vermutlich wird es mehrere Antworten geben. Welche Stadt oder welcher mehr oder weniger bekannte Ort möchte nicht am Anfang einer historischen Epoche stehen und Einzug in die Geschichtsbücher halten? Hätten Sie jedoch gedacht, dass der Sauerländer Ort Obermarsberg wohl einer der wichtigen historischen Orte Deutschlands ist?

Arminius, Irminsul und Eresburg

Wäre „Die Hermannsschlacht“ von Heinrich von Kleist nicht im 20. Jahrhundert zur Pflichtlektüre an Schulen geworden, hätte man nichts von Thusnelda erfahren. Thusnelda war die Tochter des Cheruskerfürsten Segestes, der – so erzählt man sich – auf der Eresburg (Obermarsberg) lebte. Der Anführer der Hermannsschlacht gegen die Römer, Hermann der Cherusker oder Arminius, soll Thusnelda von dort entführt und zur Frau genommen haben. Das 400 Meter hohe Bergplateau mit der ehemaligen Eresburg, das durch die Flusstäler Diemel und Glinde eingefasst wird, spielte somit schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt eine bedeutende Rolle und war Ort geschichtsentscheidender Gespräche und Schlachten. Seit wann der Eresberg in Obermarsberg besiedelt ist, lässt sich nicht genau sagen. Grabungen haben jedoch ergeben, dass dies bereits vor Christi Geburt der Fall war. Belegt sind die Eroberung der Eresburg durch den Frankenkönig Karl (später Karl der Große genannt) im Jahr 772. Damit begannen die über 30 Jahre dauernden Sachsenkriege, die mit der Eingliederung des sächsischen Siedlungsraumes in das fränkische Reich endeten. Die Eroberung und Unterwerfung der Sachsen hatten immense Auswirkungen auf Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur. Karl ließ auf dem Berg die erste Kirche im Sachsenland bauen und die Missionierung im Umfeld der Diemel durch Benediktinermönche um den Heiligen Sturmius durchführen. Bereits im Winter 784/785 wird eine steinerne Basilika mit Klostergebäuden bestanden haben, da Karl mit seinem gesamten Hofstaat dort überwinterte. Das Kloster wurde 826 dem Kloster Corvey an der Weser unterstellt und bestand bis zur Säkularisation im Jahr 1803.

Nachkommen Karls des Großen

Das Sauerland hat in der langen Geschichte unseres Landes also schon früh eine bedeutende Rolle gespielt. Heiner Duppelfeld (70), ehemaliger Lehrer am Gymnasium Petrinum in Brilon und jetzt Leiter des Museums der Stadt Marsberg, Manfred Volbracht (69), Dipl. Maschinenbau-Ingenieur, und Detlev Steinhoff (73), Starkstromelektriker, kennen die Geschichte ihres Heimatortes genau. Bei einem Besuch der Ausstellung erzählen sie mit großer Begeisterung, was vor 1.250 Jahren (erste urkundliche Erwähnung) geschah und Obermarsberg zu dem wohl geschichtsträchtigsten Ort im Sauerland macht.

„Der Abbau von Kupfer und seine Weiterverarbeitung waren schon lange vor Karl der wesentliche Grund für die Besiedlung. Eresberg heißt nichts anderes als Erzberg“, berichtet Heiner Duppelfeld. Dank eines geologischen Schnittpunktes rund um Marsberg wurden hier verschiedene Metalle gefunden. „Wir hatten auch Eisenerz-, Blei-, Zinn- und Zinkabbau. Von daher konnten hier entscheidende Legierungen wie Messing und Bronze hergestellt werden.“ Gefeiert wird in diesem Jahr jedoch nicht der frühe Erzbergbau in Marsberg. Erinnert wird an den Eingriff Karls des Großen in dieses Gebiet: „Der Beginn der Sachsenkriege 772 und damit verbunden die Christianisierung, beziehungsweise die neue Art zu leben, sind der Startpunkt für die 1.250-jährige Geschichte von Marsberg“, sagt Heiner Duppelfeld. Aus Sicht des fränkischen Hofschreibers Einhard waren die Feldzüge des Frankenkönigs gegen die Sachsen Strafexpeditionen. Das sieht die Wissenschaft heute nicht so. Und auch die Marsberger Historiker sind sicher: „Karl der Große hat damals eine sehr harte Missionierung in Gang gesetzt. Ihm war wohl bewusst, dass eine Integration des Sachsengebietes in das fränkische Reich ohne Christianisierung nicht dauerhaft möglich war. Es war eindeutig eine Schwert-Mission.“

Die Neugier nach dem, was geschehen ist, wie es gekommen ist, wird größer. Wie haben sich die Ereignisse rund um Marsberg auf das Sauerland ausgewirkt?

Stadtentwicklung ab 1222

Die ganze Gegend um Marsberg und den Eresberg war stets ein äußerst umkämpftes Gebiet. Bei Ausgrabungsarbeiten in den 90er Jahren unter Leitung der Landesarchäologin für Westfalen, Dr. Gabriele Isenberg, an der Stiftskirche in Obermarsberg konnte festgestellt werden, dass schon vor den Sachsen und später erneut fränkische Einflüsse vorhanden waren. „Erst im späten Frühmittelalter und im frühen Hochmittelalter kann man von einer Stadtentwicklung sprechen. Ab 1222 zogen Niedermarsberger aus dem Tal hier auf den Berg. Da erst entwickelte sich eine mittelalterliche Stadt mit allen Rechten, die eine solche Stadt hatte: Marktrecht, Freiheitsrechte, Münzrecht, Zollrecht und die Gerichtsbarkeit. Die Niedermarsberger Kaufleute hatten schon um 900 an der jetzigen Hauptstraße in Niedermarsberg eigene Zollrechte und so weiter“, berichtet Heiner Duppelfeld über die Entwicklung des Ortes. Dabei werden es vor allem Sicherheitsaspekte gewesen sein, die die Bewohner von Niedermarsberg bewogen haben, den fast uneinnehmbaren Ort auf dem Eresberg als Wohn- und Lebensort auszubauen. In dieser Zeit hatten die Bewohner an der Diemel hin und wieder mit Raubzügen der Ritter aus Padberg zu tun. Und auch das ständige Hochwasser im Diemel- und Glindetal machte das Wohnen in der Siedlung am Fluss gefährlich.

1180 wird das Herzogtum Sachsen aufgelöst und das Marsberger Gebiet dem Herrschaftsbereich des Bistums Köln zugeordnet. Heiner Duppelfeld: „Sehr bald, im 13. Jahrhundert, haben die Kölner Bischöfe die Hälfte der Oberstadt unter ihre Herrschaft bekommen. Mit dem Kloster Corvey haben sie sich auf dem Eresberg die Herrschaft geteilt. Im 16. Jahrhundert ging das Gebiet um Obermarsberg komplett an die Erzbischöfe in Köln. Auch Marsberg war ab da kurkölnisch.“ Detlev Steinhoff ergänzt: „Wir sind die letzten Ausläufer des Sauerlandes, wobei die östlich von Marsberg liegenden Gebiete eigentlich nichts mit dem Sauerland zu tun haben. Die sind erst mit der kommunalen Reform 1975 zu Marsberg gekommen. Diese Dörfer orientieren sich auch heute noch eindeutig mehr in Richtung Paderborn.“

Als Hansestadt erreichte Marsberg dank der Erzvorkommen und Metallverarbeitung eine große Bedeutung im Verbund der Hansestadt Brilon und Warburg. „Die Hansestädte Brilon, Marsberg, Warburg können als eine Achse im Verbund der westfälischen Partner der Hanse gesehen werden“, sagt Heiner Duppelfeld.

Stammbaum seit Kaiser Karl

Ein Höhepunkt der Ausstellung im Stadtmuseum Marsberg ist die lange Ahnentafel von 20 Marsberger Familien. Wer sie vom Ende bis zum Anfang verfolgt, wird mit staunenden Augen feststellen, dass Karl der Große, so hat es den Anschein, in Marsberg ganz maßgebliche Spuren hinterlassen hat. Der Sauerländer Schützenbruder Manfred Volbracht weist auf einen bestimmten Obermarsberger hin: „Der hier war bis zu diesem Sommer Schützenkönig, wegen Corona drei Jahre lang.“ Ein ferner Nachfahre von Karl dem Großen wird Schützenkönig im Sauerland. Das wäre doch mal eine Geschichte wert.

Heiner Duppelfeld hat noch viel über die Geschichte von Obermarsberg und der ganzen Gegend rund um den Eresberg zu erzählen. Dabei räumt er auch mit dem ein oder anderen Märchen auf, das sich rund um die Irminsul, das Heiligtum der Sachsen, dreht. Duppelfeld: „Wir wissen außerdem nicht, wo die Irminsul tatsächlich gestanden hat und wie sie aussah. Das Denkmal war wahrscheinlich aus Holz. Es ist nie ein Stück von der Irminsul gefunden worden.“

Am 17. Dezember, dem Todestag des Heiligen Abts Sturmius, der als Glaubensbote unserer Gegend gilt, findet der letzte große Festgottesdienst im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten statt. Es folgt der abschließende Festakt in der Schützenhalle, mit dem das Jubiläumsjahr in Marsberg endet.