Windpark auf dem Herrscheid

Bürger aus Lennestadt, der Gemeinde Eslohe und der Stadt Schmallenberg wehren sich

Hinter dem Höhendorf Bracht in Richtung Oedingen eröffnet sich dem neugierigen Betrachter ein fantastisches Panorama, das im Südosten bis zum Kahlen Asten und im Nordosten bis zum Stimmstamm und zum Arnsberger Wald reicht. Hier liegt einem das Sauerland in seiner landschaftlichen Vielfalt zu Füßen.

Diese Idylle ist mehr als nur ein Sinnbild für die offene und freie Sauerländer Berglandschaft. „Das kann doch wohl nicht wahr sein!“, war die erschrockende Antwort von WOLL-Fotograf Klaus-Peter Kappest, als er erfuhr, dass in diesem Naturidyll vier über 200 Meter hohe Windräder geplant sind: zwei auf dem Gebiet der Stadt Lennestadt und zwei auf dem Gebiet der Gemeinde Eslohe. Nach Bekanntwerden der Anträge auf Errichtung von industriellen Großanlagen auf diesem Gebiet haben sich in allen drei Kommunen Bürgerinitiativen gebildet, die den Bau mit allen Mitteln verhindern wollen. Mit Christina Baumhoff (37) aus dem Einhofort Vossel, Hubertus Habbel (39) aus Cobbenrode und Christian Biermann (44) aus Oedingen hat WOLL über die geplanten Windenergieanlagen und den sich dagegen ausbreitenden Unmut und Protest gesprochen.

WOLL: Was war der Anlass, dass sich Bürgerinnen und Bürger aus Lennestadt, Schmallenberg und der Gemeinde Eslohe auf einmal mit Windrädern auf den Höhen um Herschede auseinandersetzen?
Christian Biermann:
Mangelnde Kommunikation mit den direkt betroffenen Orten. Auf der Lennestädter Seite (Oedingen, Oedingerberg, Brenschede) gab es bisher noch keine direkte Information seitens der Stadtverwaltung oder durch die gewählten Vertreter im Ort. Das ist bei dem Ausmaß des Projekts und dem massiven Eingriff in das Landschaftsbild sehr schade. Die Planungen laufen schon länger. Im Bereich Oedingen hätten beispielswiese schon längst im örtlichen Blatt Oene-Boten Informationen bereitgestellt werden können. Aber da verhält es sich so wie bei den Gutachten, die bei den Kreisen liegen. Jeder muss sich selbst informieren und hoffen, dass er alle Daten bekommt.

WOLL: Wo genau sind die Windräder geplant?
Christina Baumhoff:
Das Gebiet Herrscheid liegt zwischen Cobbenrode, Bracht und Oedingen. Hier grenzen die drei Kommunen unmittelbar aneinander. Es sollen jeweils zwei Anlagen auf Esloher und Lennestädter Gebiet stehen. Die Fundamente der vier Anlagen sollen auf etwa 500 Höhenmetern errichtet werden.

WOLL: Welche Orte und Häuser sind unmittelbar von den Windrädern betroffen?
Christina Baumhoff:
Auf Grundlage der Informationen von Februar 2020 liegt die geringste Entfernung zu einer der Windenergieanlagen von Oedinger Seite aus bei zirka 820 Metern, zum Oedingerberg sind es knapp 1.000 Meter. Auf dem Esloher/Schmallenberger Gebiet liegen Leckmart und das nahste Gebäude in Herrscheid mit rund 750 Metern am nächsten an den Anlagen.

WOLL: Mit welchen Beeinträchtigungen rechnen Sie?
Hubertus Habbel:
Laut den aktuell vorliegenden Planungen sprechen wir über Anlagen, die eine Höhe von 240 Metern im Peak haben. Zum Vergleich: Der Dortmunder Fernsehturm misst 220 Meter, der Kölner Dom 160 Meter H.he. Die Nabenhöhe der Windenergieanlagen liegt bei 160 Metern. Bei einem Rotordurchmesser von ebenfalls 160 Metern wird es definitiv eine akustische Dauerbeeinträchtigung durch den Betrieb geben. Dazu kommt der Schattenwurf durch den Turm, die Gondel und die Rotoren. Letztere wirken sich extrem störend aus.

Hubertus Habbel, Christian Biermann und Christina Baumhoff zeigen in die Richtung der geplanten Windenergieanlage.

WOLL: Welche landschaftlichen Folgen befürchten Sie?
Christian Biermann:
Da sollen vier riesige Landmarken entstehen, die optisch in einem sehr, sehr großen Umkreis im schönsten Teil des Sauerlandes weithin zu sehen sein werden. Das ganze Gebiet ist darüber hinaus bei Wanderern und Radfahrern sehr beliebt.

WOLL: Welche Maßnahmen sind geplant, um den Bau der Windräder zu verhindern?
Christina Baumhoff:
Wir wollen die Öffentlichkeit über alle Daten und Fakten informieren und auf die Folgen und Konsequenzen durch den geplanten Windpark hinweisen. Sobald es die Corona-Situation zulässt, sollte eine öffentliche Versammlung für alle Bürgerinnen und Bürger stattfinden.
Hubertus Habbel: Es ist uns auch sehr wichtig, die Menschen im Sauerland zu erreichen, die nicht unmittelbar von diesen Riesenanlagen betroffen werden. Auch alle, die die unvergleichliche Landschaft des Sauerlandes lieben und erhalten möchten, müssen mitmachen und ihren Unmut über diese Verschandelung der Landschaft zum Ausdruck bringen.


Grundsätzlich habe ich keine Probleme mit Windrädern, Solarzellen auf Dächern und anderen Methoden für erneuerbare Energien. Wir haben keinen Plan B, wenn unsere Erde erschöpft ist. Gleichzeitig müssen wir aber immer über die Standorte für solche Anlagen sprechen. Und nun plant man hinter Bracht vier große Windräder bei Herrscheid, auf dem Gebiet der Stadt Lennestadt und der Gemeinde Eslohe. Herrscheid ist wegen seiner tollen Lage und der wunderbaren Ausblicke bekannt: in die Gemeinde Eslohe und gleichzeitig ins Hawerland bis zum Wilzenberg. Der Schmallenberger Sauerland Tourismus und die Ferienregion Eslohe präsentieren die Tagesetappe Reiste-Bad Fredeburg als den schönsten Teil des Fernwanderweges Sauerland-Höhenflug. Warum? Das hat mit dem Fernblick zu tun, den man von hier zum Höhenplateau Hawerland mit den Saalhauser Bergen und den Höhen von Bracht und Herrscheid im Hintergrund genießt. Wenn bei Herrscheid vier rund 240 Meter hohe Windräder stehen, wird dieser einzigartige Ausblick zunichte gemacht. Niederländer und Belgier sind für solche landschaftlichen Verunstaltungen sehr sensibel. Sie finden, dass die Landschaft in ihren Ländern durch Windräder schon genug „verspargelt“ ist. Sie sehen das als „Horizont-Verschmutzung“. Darum ist es gerade in diesem Fall wichtig, neben den Interessen der einheimischen Bevölkerung auch die touristischen Interessen mit in die Diskussion um das Für und Wider von Windkraftanlagen auf dem Herrscheid einzubringen.

Kommentar von Tiny Brouwers, Journalist (Der Niederländer lebt seit 2010 in Bracht.)

Aus touristischer Sicht stehen wir hier in einem fast unlösbaren Spannungsfeld. Einerseits sind Maßnahmen zum Klimaschutz dringend nötig und stehen auch in alltäglichen Überlegungen auf der Agenda. Denn Natur und Landschaft vor Ort sind unsere Grundlage – nicht nur ideell, sondern auch aus rein wirtschaftlichen Aspekten. Andererseits sind zum Bau von Windrädern umfangreiche Eingriffe in die heimischen Wälder nötig, allein schon in der Bauphase dieser großtechnischen Anlagen. Hinzu kommt der vielfach erwähnte optische Effekt, eine gefühlte Landschaftszerstörung, die nicht nur die Einheimischen, sondern auch unsere Gäste stark betreffen wird. Wir plädieren daher für eine Konzentration von Windkraftanlagen in Bereichen, die weniger gravierende topographische Herausforderungen bergen.

Kommentar von Katja Lutter, Tourismusdirektorin Schmallenberger Sauerland Tourismus

Wir alle lieben Streifzüge durch verträumte Märchenwälder und den Fernblick von Gipfeln aus. Doch leider sieht die Realität in deutschen Wäldern weniger romantisch aus. Brände vernichteten 2019 mehr als 2.700 Hektar Wald, der Boden ist nach drei Dürrejahren in Folge ausgedorrt und Borkenkäfer wüten im geschwächten Forst. Aktuelle Studien verdeutlichen, dass rund 80 Prozent der deutschen Wälder krank sind, weil sich unser Planet immer weiter aufheizt. Um den Klimawandel zu stoppen, ist der Umbau unserer Energieerzeugung essenziell. Windkraftanlagen sind das Rückgrat dieses Umbaus. Schon heute erzeugen sie rund ein Viertel des Stroms in Deutschland. Der Bedarf wird mit der Elektrifizierung des Verkehrs weiter steigen. Diese Windkraftanlagen brauchen Platz. Da Menschen nicht nur ungern in unmittelbarer Nähe von Kohlekraftwerken leben, sondern mit Recht auch einen Mindestabstand zu Windparks fordern, rückt der Bau von Anlagen auch in weniger von Industrie geprägte Bereiche vor – so wie auf dem Herrscheid, wo Anlagen auf Windwurfflächen und Arealen mit Weihnachtsbaumkulturen entstehen sollen. Das verändert natürlich die Landschaft. Doch diese Veränderung muss für den Tourismus nichts Schlechtes sein. Im Hunsrück entstand mit der Geierlay Hängeseilbrücke eine Sehenswürdigkeit, deren Bau nur durch die Pachteinnahmen des angrenzenden Windparks ermöglicht wurde. Die Nordseeküste erfreut sich trotz zahlreicher Windparks wachsender Beliebtheit. Denn viele Touristen wissen genau: Wenn wir die Art unserer Energieerzeugung nicht ändern, werden wir den Weitblick schon sehr bald ohne Wälder genießen müssen.

Informationen:
www.windpark-herrscheid-lennestadt.de,
www.windpark-herrscheid-eslohe.de
Dr. Daniel Duben, Senior Projektleiter Kommunikation ABO WIND AG

Kommentar der Firma ABO Wind AG, die den Windpark auf dem Herrscheid plant

Die Nutzung der Windkraft ist ohne Zweifel sinnvoll und richtig. Die technische Entwicklung bei den Anlagen hat in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Windräder sind in ihren Dimensionen, Ausmaßen und ihrem Leistungsvermögen hochkomplexe Industrieanlagen. Nicht ohne Grund ist es in unserem Land allgemeiner Konsens, dass Industrieanlagen, vor allem, wenn sie große Flächen benötigen, in extra dafür ausgewiesene Industriegebiete gehören. Daher ist es schon paradox, dass wir heute, im Jahre 2021, überhaupt darüber diskutieren müssen, ob Windräder mitten im Wald, im Naturpark Sauerland Rothaargebirge und in landschaftlich reizvoller Umgebung mit allerhöchstem Freizeitwert geplant und gebaut werden. Eine Diskussion über den Sinn und Nutzen von Windkraftanlagen allgemein darf und muss man führen. Doch ein Bau von solchen Industrieanlagen auf dem Herrscheid und tausend anderen Aussichtspunkten im Land der tausend Berge ist und bleibt unvernünftig und eine Sünde gegen Mensch und Natur. Daher haben alle, die sich dafür einsetzen, dass die Höhen des Sauerlandes von solchen Industrieanlagen verschont bleiben, unseren Respekt und unsere Unterstützung verdient.

Kommentar von Hermann-J. Hoffe, Herausgeber