Sehr klein und sehr eigen
Hätte es vor 350 Millionen Jahren in den Tiefen des Urmeers am Äquator keinen gewaltigen Vulkanausbruch gegeben, sähe die Landschaft rund um Willingen-Welleringhausen wohl komplett anders aus. Die Lavafetzen, die auf die beschauliche Gegend heruntergeprasselt sind, prägen heute als „Grotenberg“ und „Kuhtenberg“ die hügelige Mittelgebirgs-Landschaft. Und haben den Menschen, die sich dort viel später niedergelassen haben, reichlich Bodenschätze und fruchtbare Erde beschert. Darunter Gold und seltene Apfelsorten. Die Welleringhäuser nutzen beides bis heute…
85 Einwohner und 25 Häuser
Willingen-Welleringhausen ist der kleinste Ortsteil der Gemeinde Willingen und vermutlich auch deshalb schwer zu finden. „Wir liegen ziemlich ab vom Strom“, sagt Ortsvorsteher Karl Briehl, „aber das macht uns auch aus. Willingen selbst gilt ja als ziemlich trubelig, und wir bieten das komplette Gegenteil.“ Wellinghausen ist aber nicht nur der kleinste Willinger Ortsteil, sondern auch der älteste. Vor rund 1.000 Jahren ließen sich die ersten Menschen in der Senke und im Schatten vom Grotenberg und Kuhtenberg nieder. Die Suche nach Gold und Eisen und die fruchtbaren Böden zogen sie an.
„Das ist auch bis heute so geblieben. Wir haben noch drei Vollerwerbs-Landwirte und einen Betrieb im Nebenerwerb“, ist Karl Briehl sichtlich stolz, „für einen so kleinen Ort ist das schon sehr außergewöhnlich. Der Goldrausch ist zwar lange vorbei, aber wir nutzen ihn für den Tourismus.“
Zwei zertifizierte Wanderwege
Nur fünf Quadratkilometer ist Wellinghausen klein, da ist man schnell durch und schnell rum. Den besten Überblick bieten der „Vulkanpfad“ und „Geschichtspfad“, zwei je sieben Kilometer lange Rundwanderwege, die das bundesweite Qualitätssiegel „Wanderbares Deutschland“ tragen. Die Wege sind gespickt mit Infotafeln, die über die Gesteinsformationen und die Siedlungsgeschichte informieren. „Wer mehr wissen will, kann sich ausführlich auf unserer Homepage darüber informieren. Auch während des Rundgangs, denn auf den Infotafeln gibt es QR-Codes, mit denen man direkt per Smartphone auf unsere Seite kommt“, erklärt der Ortsvorsteher (www.welleringhausen.de). Und wer die Augen aufhält und etwas Glück hat, der findet in den Bachläufen oder Schieferhalden sogar noch Gestein mit Goldpartikeln. Start ist am Feuerwehr-Gerätehaus.
Der Tourismus steht in Welleringhausen eher an zweiter Stelle. Sechs Ferienhäuser gibt es im Ort, davon stehen vier auf dem Erlebnisbauernhof der Familie Faß. „Wir bieten Urlaub und Entspannung im Schatten des Tourismus-Magneten Willingen“ ,sagt Karl Briehl gelassen, „das tut unserer Dorfgemeinschaft ganz gut. Und unsere Besucher wissen das zu schätzen.“
Butter und Äpfel nach alter Tradition
Ein bisschen „vom Schuss zu liegen“, heißt für die Welleringhäuser allerdings noch lange nicht, sich einzuigeln. Seit 30 Jahren sind sie regelmäßig mit fünf Ständen auf dem mittelalterlichen Markt im benachbarten Korbach vertreten, ein Drittel der Bewohner ist dann vor Ort im Einsatz. Vor allem ihre selbstgemachte Butter ist der Renner, frisch abgepackt aus einer historischen Holzform. Mit den Einnahmen wurden zum Beispiel Geräte für den Spielplatz oder Tische für das Welleringhäuser Dorfgemeinschaftshaus angeschafft. Aktuell steht dort auch der Bau einer neuen Küche an.
Wer’s eher gesund und fruchtig mag, der ist im Sommer auf der Welleringhäuser Apfelallee gut aufgehoben. Vor allem historische Sorten, die es heute kaum noch gibt, sind hier zu finden: der „Große rheinische Bohnapfel“ oder der „Prinzenapfel“, im Willinger Upland besser bekannt als „Schluder- oder Klapperapfel“. Die Apfelallee geht auf die Fürsorge des Fürsten zu Waldeck zurück. Vor allem die Kinder sollten so auch in der Winterzeit genügend Vitamine bekommen. Die Allee wächst übrigens ständig weiter – denn will ein Fremder in den Ort einheiraten, muss er zuvor zwei Apfelbaumstämme pflanzen…
Beerdigungen mit Presslufthammer
Überhaupt haben in der Abgeschiedenheit des Ortes noch viele Traditionen überlebt. Stirbt ein Wellinghäuser, so heben auch heute noch die Nachbarn auf dem Friedhof die Grabstätte aus. Im Sommer ist das mit Spaten und Schüppe gut machbar. „Im Winter haben wir allerdings auch schon mal zum Presslufthammer gegriffen“, erzählt Ortsvorsteher Karl Briehl mit einem verlegenen Schmunzeln, „der Boden war so tief gefroren, wir sind einfach nicht anders reingekommen…“ Entscheidend ist auch, auf welcher Seite des Friedhofs die Grabstätte liegt. Rund um die romanische Abrahams-Kirche gibt es nämlich einerseits lockeren erdigen Untergrund, aber auch harten Felsen. Je nachdem fließt dann mehr oder weniger Schweiß bei den Nachbarn. Der aktuelle Trend kommt den Welleringhäusern allerdings entgegen. „Die letzten beiden Beisetzungen waren Urnen-Begräbnisse, das war dann überhaupt kein Problem“, erzählt Karl Briehl.
Hausnummern nach Milchkannen-Prinzip
Noch bis vor zwanzig Jahren musste man sich schon genau in Welleringhausen auskennen, um im Ort klarzukommen. Es gab nämlich keine Straßennamen, sondern die Adressen waren nach der Nummer der Milchkannen sortiert. „Für uns kein Problem“, sagt der Ortsvorsteher, „aber für den Rettungswagen von auswärts könnte das fatale Folgen haben. Deshalb gibt es jetzt Straßennamen.“ Die Namen haben sich die Welleringhäuser natürlich selbst ausgedacht. Für die örtliche Feuerwehr gab’s sowieso nie ein Problem. „Bei nur 25 Häusern ist praktisch in jedem Haus ein Feuerwehrmann“, sagt Karl Briehl und lacht, „da weiß jeder, wo er im Notfall hin muss!“