Wer oder was waren die „Kötten“?

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Oder: Was heute wenig Benimm anzeigt, war einst tiefe Not.

„Wie die Kötten!“, so konnte es uns Kindern früher schon mal entgegenschallen, wenn wir Meinungsverschiedenheiten nicht allzu gesittet, sondern eher lautstark auszufechten hatten. Das Urteil konnte einen aber auch mal treffen, wenn man angesichts der verschiedenen Dreckschichten eines langen Tages an der frischen Luft nicht mehr unterscheiden konnte, wo bei uns vorn und wo hinten war. Tatsächlich aber haben wir Kinder uns nie gefragt, was das denn wohl für ein Menschenschlag war, diese „Kötten“, denen wir so ähnlich zu sein schienen. Sie mussten es aber immerhin weit gebracht haben, es hatte sogar zu einem eigenen Verb gereicht. Denn schließlich hieß es dann und wann auch, dass wir aufhören sollten, uns zu kötten.

Das Ganze mag wenig schmeichelhaftes Licht auf meine Kindheit und die meiner Geschwister werfen. Ich kann den Leserinnen und Lesern aber versichern, dass das Kötten nie an der Tagesordnung gewesen ist und wir uns bis heute ganz manierlich entwickelt und gehalten haben. Und wenn man mal in die eigene Kindheit zurückblickt, muss man sicherlich schnell einräumen, dass wir eben alle nie ausschließlich Chorknaben und Vorzeigetöchter gewesen sind. Mal mehr, mal weniger – das sei eingeräumt – steckt das Kötten in uns allen.

Aber wo rührt diese Bezeichnung denn nun her? Dazu findet man meist Folgendes: Als Kötten wurden einst Menschen bezeichnet, die in Folge des Dreißigjährigen Krieges entwurzelt waren und bettelnd, als fahrendes Volk oder als Tagelöhner durch die Lande zogen. Man kann sich ausmalen, dass in einer solchen Existenz nicht unbedingt die Pflege von Körper, Kleidung und Umgangsformen Vorrang hatte. Was am Ende den dann doch eher abschätzigen Gebrauch des Wortes erklären würde.

Wie sich die Zeiten ändern und dabei mitunter auch den Wortgebrauch verändern, lässt sich ebenfalls am Wort „Kötten“ zeigen. Denn im Rheinischen beschreibt es das, was Kinder dort zum St. Martinstag tun: Singend längs die Häuser ziehen und um Süßes bitten. Das Wort wird auf die lateinische Wortfamilie quaeso/quaestum zurückgeführt, was so viel bedeutet wie „dringlich bitten“. So nah können dann also Despektierliches und schönes Brauchtum zusammen liegen.

Vermutlich sind jene „Entwurzelten“ vor Jahrhunderten auch im Sauerland unterwegs gewesen, um nach Hilfe und Auskommen zu suchen. Und ja, sie haben ihre Spuren dann leider eher in einem Maße hinterlassen, dass man bei Kötten vornehmlich an schmutzstarrende Krakeeler und Streithähne denkt und weniger an Hilfesuchende. Andererseits hat sich der Wortgebrauch weitgehend von den historischen Wurzeln gelöst. Uns Kindern war lediglich bewusst, dass wir uns wohl leicht danebenbenommen hatten. Den Dreißigjährigen Krieg und das Elend, das von ihm wie von allen Kriegen ausgegangen ist, lernten wir erst später in der Schule kennen.

Aber, und das ist doch ein guter Effekt am Ende eines Textes, man hat sich beim Lesen vielleicht für die Geschichten hinter den Wörtern die Sinne geschärft. Und auf einmal ist man nicht länger beim abfälligen Hintergrund einer Bemerkung, sondern hat vom Schicksal jener „Kötten“ erfahren, kann erahnen, was zu Erscheinungsbild und Verhalten von in Not geratenen Menschen geführt hat.