Wenn‘s mal nicht nur Trübsinn ist

Es  ist keine Schande, für sich selbst zu sorgen

Da sitze ich und möchte einen Artikel darüber schreiben, was unserer Seele in der anstehenden dunklen Jahreszeit gut tun kann. Ich lasse es also mal einfach fließen und schwinge mich ein. Das Thema ist ein echter Dauerbrenner, auch in all den bunten Lifestylemagazinen und der Apotheken-Umschau. Oft steht neuerdings noch „Resilienz“ dabei. Doch ist das überhaupt nötig? Immerhin besteht das erwartete Lesepublikum doch größtenteils aus Sauerländerinnen und Sauerländern, denen man ohnehin eine gewisse psychische Robustheit zuschreibt. Aus fleißigen, ehrbaren Männern und Frauen, die seit jeher durch zahlreiche Feste im Jahreskreis, viele gute Freundschaften und enge Familienbande, ein hohes Bewusstsein für die Schönheit ihrer Heimat sowie einen frommen Glauben ihre psychisches Wohlbefinden erhalten konnten. Nach dieser Logik könnte ich diesen Artikel schon jetzt mit folgenden Worten beenden: Liebe Leserinnen und Leser, ihr wisst selbst am besten, was euch hilft. Ich wünsche euch einen fantastischen Herbst mit zahlreichen ausgelassenen Feiern im Freundes- und Familienkreis, langen Spaziergängen durch die Natur des Sauerlandes und vielen hilfreichen Besuchen im Gotteshaus eurer Wahl!

Doch was ist, wenn der Rausch des Schützenfestes in diesem Jahr nicht alle Trübe verjagen konnte, wenn nach dem langen Waldspaziergang die Dämonen, etwa die eines Verlustes oder die der Angst davor, weiter an einem nagen, wenn einen die Worte der Bibel längst nicht mehr inspirieren, wenn die Nacht weiterhin auf einen einschlägt wie ein Hammer?

Denn nicht nur werden viele immer unverschämter auftretende Wirtschaftsunternehmen weiterhin von Machbarkeitslügen und Machtphantasien zersetzt und dividieren die Gesellschaft bis in engste Familienbindungen hinein auseinander. Auch der Keil, den gesellschaftliche, gesundheitliche und geopolitische Unwägbarkeiten selbst zwischen die Angehörigen von Familien- und Freundeskreisen treiben, wird immer spitzer. Wer aufrichtig versuchen möchte, im Umgang damit häufiger auf Scheinlösungen zu verzichten, (zum Beispiel Macht oder Gewalt ausüben oder ertragen, Mehrarbeit, Alkohol und andere Drogen, Zwang, Depression), denkt möglicherweise zu irgendeinem Zeitpunkt über Unterstützung von außen nach.

Es gibt da draußen viele gut ausgebildete Psychotherapeuten aller Geschlechter, die mit einer wissenschaftlich fundierten Auswahl an Therapien auch stoische Sauerländerinnen und Sauerländer (und Buiterlinge und Zugezogene natürlich auch) dabei unterstützen können, ihre erlebten oder erwarteten Knack- oder Brechpunkte zu integrieren, eine gute, stimmige Geschichte ihres Lebens zu finden und auf selbstschädigende Gedanken und Handlungen zu verzichten. Daneben gibt es Beraterinnen, Berater und Coaches, die aus einem sich von der Psychiatrie oder Psychologie unterscheidenden Fachbereich (zum Beispiel Pädagogik, Sozialarbeit oder Betriebswirtschaft) kommend dasselbe Ziel verfolgen. Für alle gilt: Die Idee, erst einmal auf einer Couch liegend einem alten bärtigen Onkel sein tiefstes Inneres vorweinen und seine gesamte Kindheit aufdröseln zu müssen („ … und dann, schluchz, ist mir das Töpfchen umgekippt … “), bevor Besserung eintritt, ist nicht mehr zeitgemäß. Auch die Vorstellung, man müsse in einem Stuhlkreis mit anderen „Betroffenen“ („Hallo, ich bin Guntram.“ – „Hallo, Guntram!“) und einem dauerlabernden Moderator Wollknäuel durch die Gegend werfen, geht extrem weit an der Wirklichkeit vorbei. In Wahrheit bietet das Sauerland eine breit aufgestellte, überwiegend gut koordinierte Landschaft an professionellen wie ehrenamtlichen (Selbst-)Hilfeangeboten für klare Kante im Umgang mit all den finsteren Gesellen, die unseren Lebensatem abschnüren oder anzapfen möchten, in welcher Gestalt auch immer sie uns begegnen.

Wenn der Erhalt seelischer Gesundheit auch ohne die angesprochenen Angebote gelingt, ist es genau so okay. Vieles hat sich längst als Therapie bewährt, ohne so zu heißen. Ein Mittvierziger, der stundenlang an seiner Klemmbaustein-Raumstation aus der Kindheit baut, ein Paar, das sich als fantastischer Gastgeber erprobt, ein Bierbauch, der nach zehn Jahren wieder an der Tischtennisplatte steht, eine Dame, die Tierheimhunde ausführt, bis ihr Rücken nassgeschwitzt ist: Immer geht es um die Erfahrung echter Selbstwirksamkeit, positiver Resonanz und guten Miteinanders. Wer in seinem Wirkungskreis die Erfahrung macht, nicht nur ein Spielball schädlicher Viren, schlechter Politiker oder unerträglicher Wetterkapriolen zu sein, lebt glücklicher. Natürlich auch, wer anderen solche Erfahrungen ermöglicht. Noch immer nämlich haben oder sehen nicht alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen einen Zugang dazu.

Und Vorsicht, eines sollte man ebenso bedenken: Seelische Gesundheit ist ein Prozess mit Fortschritten und Rückschlägen, kein endgültiger Zustand. Wer glaubt, unter dem aktuell inflationär und daher hier nur zweimal verwendeten Begriff „Resilienz“ sei ein Panzer zu verstehen, den man sich nur anzuziehen brauche, um im Großen und Ganzen mitkämpfen zu können, möge vielleicht doch nochmal auf „Los!“ gehen.

Geht es doch viel mehr ums Fließen und Schwingen.