
Quelle: Basilissa Jessberger
Seelenhebamme Basilissa Jessberger
Die Sonne durchflutet das Dachgeschoss des Jugendstilgebäudes in Altrosa. Die Einrichtung ist aus Holz. Ein paar Stühle, ein Bett, eine Liege, ein Bücherregal. Ein zwangloser, bedächtiger Raum, in dem die Zeit stillzustehen scheint – irgendwo in Fröndenberg, dem Tor zum Sauerland. Basilissa Jessberger schaut aus dem Altbaufenster in die Ruhr-Auen – atmet tief ein und aus. Verhaltenes Vogelgezwitscher kündigt zögerlich den Frühling an. Seit 36 Jahren begleitet sie die Schwellenübergänge von Menschen – in beide Richtungen.
„Ich begleite Menschen an Übergängen in ihrem Leben. Am Anfang, am Ende oder mittendrin in persönlichen Veränderungsprozessen“, beschreibt Jessberger ihre Berufung. „Diese Übergänge müssen in Liebe gehüllt, bewusst wahrgenommen und beschützt werden – in anderen Worten: der Eintritt in das Leben und der Austritt in den Tod.“
Inspiration im Alltag
Alles begann mit einem unscheinbaren Zeitungsartikel: „Nach einem Praktikum im Krankenhaus wollte ich keine Ärztin mehr werden. Ich wollte näher am Menschen, an den Herzen, am Heilungsprozess sein. Als meine Schwester mir einen Artikel über freiberufliche Hebammen auf den Tisch legte, wusste ich: Das will ich machen“, erinnert sich Jessberger. Bereits damals sei ihr klar gewesen, dass die Geburt für die Eltern und ganz besonders für die Seele, die da kommt, ein unglaublich wichtiger Moment ist.
Pioniergeist
Über die Jahre begleitete sie über 500 Kinder „ans Licht der Welt“, mit allem, was dazu gehörte: Geburtsvorbereitungskurse, Hausgeburten, frühes Wochenbett. Die Zeit verging. Die gebürtige Münchnerin wurde selbst zweifache Mutter, geliebte Menschen verstarben und der Pioniergeist in ihr regte sich.
„Immer mehr habe ich realisiert, dass der Tod das gleiche wie die Geburt ist – nur andersherum“, erklärt Jessberger. „Der Blick eines Babys ist so klar, weise und ohne Alter. Für mich ist das der Blick der Seele“, sagt Jessberger.
In der Folge verlegte sie ihre Begleitung vom Anfang an das Ende des Lebens. Aus Geburtsvorbereitungskursen wurden Todvorbereitungskurse. Aus der Begleitung vom Schwangerschaftstest bis zur Geburt wurde der Beistand von der Diagnose bis zum Tod. Darüber hinaus begleitet sie Angehörige bis zur Beerdigung und im ersten Trauerjahr.
„Meine Vorstellung ist, dass bei diesen Übergängen eine ‚Schwellenkundige‘, eine Seelenhebamme, dabeisitzen, den Raum halten und beistehen sollte“, erklärt Jessberger ihre Vision.

Das Herz für den Tod öffnen
In den meisten Menschen löst der Tod gemischte Gefühle aus. „Das endliche Menschsein in uns spürt erstmal Schmerz beim Gedanken an das Sterben, aber unsere Seele weiß um die Bedeutung und sie kann den Tod tragen“, sagt Jessberger.
In unserem Alltag werden wir häufig mit dem Tod konfrontiert: „Menschen sterben in Filmen, Serien, überall, aber ein Teil von uns vermeidet die direkte Konfrontation.“
Heute sterben Menschen allein in Krankenhäusern. Wir haben Angst vor dem Anblick eines Toten. Es gibt keine Totenwache mehr – und so auch keine Berührung. Die 60-Jährige versucht in ihren Kursen, Seminaren, Retreats und Lesungen das Herz wieder für den Tod zu öffnen, denn dieser bietet auch Hoffnung: „Wenn wir uns der Endlichkeit bewusstwerden, werden wir uns auch der Kostbarkeit bewusst. Und dann dürfen wir aufhören, aufzuschieben und uns selbst verwirklichen“, sagt Jessberger.
Berufung als Geschenk
Mit dem Wissen vom Anfang des Lebens ist sie an das Ende des Lebens gegangen: „An erster Stelle steht immer der Mensch, der Abenteurer, die Seele, die auf der Reise ist. Die Liebe in uns ist eine starke Energie und keine Energie geht verloren, sie wandelt sich nur – über die Schwellen hinweg“, erklärt Jessberger.
Und genau diese Übergänge können jederzeit und völlig unerwartet geschehen. Neben Geburts- und Todvorbereitungskursen arbeitet Jessberger mit Paaren, Menschen in Krisen und jenen, die mehr zu sich selbst finden wollen. „Mein Alltag ist sehr bunt. Das liebe ich und es hält mich lebendig.“ Ihre Berufung sieht sie als Geschenk an: „Ich darf schon so lang an den Schwellen sitzen, so tiefe Einblicke ins Menschsein bekommen und so viel Wissen einsammeln. Irgendwann damit aufzuhören wäre entgegen dem Leben. Das wäre schräg“, sagt die 60-Jährige.
Handbuch für den Tod

„Im Sturm lernt das Herz fliegen: Abschied, Tod und Sterben.“ Im April 2024 veröffentlichte Jessberger ihre erste literarische Arbeit: Ein Handbuch für die letzte große Reise. Darin geht es um die Versöhnung mit der Endlichkeit – in Form von persönlichen Erfahrungen und praktischen Anregungen. Immer wieder gibt Jessberger Lesungen und Seminare, auf denen sie ihr Buch jedem offenen Menschen näherbringt. „Es lohnt sich immer, sich mit sich selbst und seinen Glaubenssätzen und Überlebensstrategien auseinanderzusetzen. So können wir lernen, der Mensch zu sein, der wir wirklich sein wollen“, schließt Jessberger.