Wenn Träume fliegen lernen

Als die Boeing 737 im Jahre 1994 vom Band lief, um in den Diensten der Continental Airlines und später der russischen Fluglinie UTair Passagiere durch ganz Europa zu fliegen, ahnte sie wohl noch nicht, dass sie ihren Lebensabend nach 26 Flugjahren nicht wie üblich auf einem Verwertungshof verbringen würde. Auf sie warten noch ganz neue Abenteuer im Sauerland, genauer gesagt im beschaulichen Lennestadt-Oberelspe, denn hier wollen drei Sauerländer Burschen ihren Traum vom eigenen Flugsimulator verwirklichen. Was mit einer Idee bei einem kühlen Bierchen in einer Kneipe begonnen hatte, nahm schnell Gestalt an.

Fliegerleidenschaft das gemeinsame Hobby

Der Attendorner Industriekaufmann Mario Hachenberg ist seit seiner Jugend flugbegeistert. Mit 15 Jahren kauft er sich seine erste Kamera und fotografiert Flugzeuge an den verschiedensten Flughäfen in und außerhalb Deutschlands. Seinen Olper Kumpel Alexander Günzel, heute 44 Jahre alt, lernte er vor ein paar Jahren zufällig am Flughafen Frankfurt kennen. Auch Alex ist fasziniert von den Flugzeugen, besonders von Militärfliegern, fotografiert mit großer Leidenschaft. Die beiden kamen ins Gespräch, freundeten sich an und flogen durch halb Europa, um Fotos von Flugzeugen zu machen. Die farbenfrohen Flieger, wie einige Airbusse von Germanwings, faszinieren Mario besonders.

„Mit 11 Jahren hatte ich das erste Cockpit in meinem Kinderzimmer.“

Als Teamleiter der Prozesskontrolle arbeitet Alex bei Gedia, genau wie Tim Schröder. Er ist 21, seines Zeichens Elektroniker und passionierter Simulatorenbauer. „Ich erinnere mich noch genau an den Besuch des technischen Museums in Speyer mit meinen Großeltern und einem anschließenden Besuch des Frankfurter Flughafens. Da war ich fünf Jahre alt und die Flugzeuge haben mich von da an nicht mehr losgelassen“, erinnert sich der Ennester. Soll doch mal jemand sagen, Museumsbesuche seien langweilig. „Zuhause habe ich später im Laufe der Jahre vier Simulatoren nachgebaut. Besonders die 737er faszinieren mich mit ihrer Mischung aus alter und moderner Technik. Mit elf Jahren hatte ich das erste Cockpit in meinem Kinderzimmer. Dann wurden die Simulatoren immer größer und ich bekam zuhause noch ein leerstehendes Zimmer. Zum Glück habe ich eine sehr tolerante Familie“, lacht Tim. Im Teenageralter begann er beim Luftsportclub Attendorn-Ennest mit dem Segelfliegen und erwarb 2018 schließlich seinen Flugschein.

Aerodreams verwirklicht den langgehegten Wunsch

Alex hörte von Tims Fliegerleidenschaft und seinem Simulator. Er rief ihn an und zusammen mit Mario flogen sie nach Österreich zu einer Fliegerausstellung – der Beginn einer außergewöhnlichen (Flieger)Freundschaft.

Im Februar 2020 saßen Tim und Alex zusammen. „Wir sprachen über Simulatoren und sponnen herum, dass wir das Ganze auch noch größer aufziehen könnten. So kam eins zum anderen. Wir riefen Mario an, trafen uns in einer Kneipe zum Bier, rechneten die möglichen Kosten aus und beschlossen: Wir kaufen ein Cockpit, in das wir einen Flugsimulator bauen“, beschreibt Alex die Gründung von „aerodreams“ – so nennen sich die drei Cockpitbauer mit eigener Website (www.aerodreams.de) und eigenem Instagram-Account (aerodreams737), auf denen Mario stetig die Fortschritte des Baus dokumentiert.

„Nachdem wir das Geld überwiesen hatten, herrschte erst einmal Funkstille.“

Alex hat den Kaufprozess genau vor Augen: „Über Facebook fanden wir schließlich ein Cockpit eines Flugzeugverwerters in Moskau. Die Nase, so nennt man das Flugzeugteil, sollte 4.500 Euro kosten, der Transport im LKW nicht inbegriffen. Wir recherchierten im Internet die Seriosität des Anbieters, schauten auf Google Maps, ob es ihn wirklich gab und entschieden: Wir kaufen das Ding! Nachdem wir das Geld überwiesen hatten, herrschte erst einmal Funkstille.“ Auch Tim erinnert sich noch gut: „Meine Kollegen von der Prinzengarde haben auch bis zum Schluss nicht geglaubt, dass wir das Teil wirklich gekauft haben.“

Der Anbieter reagierte wochenlang nicht auf Mails und Anfragen. Schließlich schickte er Dateien mit den angeblichen „Beweisfotos“, dass das Cockpit unterwegs sei. Doch Tim, Alex und Mario ließen sich nicht täuschen, erkannten, dass das Wetter nicht zum Datum passte und der Sonnenstand erst recht nicht. Fast gaben die drei die Hoffnung auf, die 737-Nase noch auf Attendorner Boden begrüßen zu können.

Mit der 737 über die Sauerländer Landstraßen

Doch am 1. September 2020 kommt der erlösende und überraschende Anruf: Der LKW, beladen mit dem Traum der Flugbegeisterten, ist beim Zoll. „Mario war leider im Urlaub. Und Alex und ich mussten eigentlich arbeiten, aber wir konnten unseren Chef glaubhaft unseren dringenden Termin vermitteln, ein Cockpit beim Siegener Zoll abzuholen. Vier Stunden im Zollamt und 80 Seiten Zollpapiere später konnten wir ihn endlich nach Hause holen“, erzählt Tim vom bisher größten Meilenstein ihres Simulatorbaus.

„Omas Garten diente als Zwischenlager.“

„Nachdem die Flugzeugnase in Attendorn angekommen war, hievte ein Kran der benachbarten Firma Kniep das 750 Kilogramm schwere Teil in den Garten von Tims Oma, das als Zwischenlager diente. Wir entkernten es und brachten es auf Vordermann. Ein gigantisches Bundeswehrzelt wurde organisiert, welches dem 3 x 3 x 3 Meter großen Flugzeugteil als Unterstand diente. In einer Art kleinem Richtfest haben wir natürlich darauf angestoßen“, erinnert sich Alex. Im Dezember 2020 fand sich ein Lagerraum in der alten Feder-Fabrikhalle in Lennestadt-Oberelspe als neue Unterkunft für aerodreams Traum.

„Aber der Höhepunkt war wirklich der Transport dorthin. Einer der schönsten Tage!“, freut sich Mario. „Wir hatten die Nase auf einen Anhänger geladen und sind damit über die Landstraße bis zu unserer Lagerhalle gefahren. Das Staunen stand den Autofahrern ins Gesicht geschrieben. Grüne Ampeln wurden übersehen, Daumen hoch wurden uns gezeigt. Wirklich Wahnsinn! Danach haben wir drei erst einmal gefeiert!“

Der alte Vogel mausert sich

Mittlerweile hat das klassische Cockpit nicht nur einen neuen schwarzen Anstrich bekommen, auch innen erstrahlt der alte Vogel in neuem Glanz. „Wir verbauen zu 98 Prozent Originalteile, die wir größtenteils im Internet, zum Beispiel bei Ebay, kaufen und ersteigern. Die Pilotensitze haben wir aus Berlin für 950 Euro bei einem Händler ergattern können. Auch wenn das Cockpit eigentlich zu einer älteren Serie der Boeing 737 gehört, möchten wir ihm ein Facelift verpassen und das Cockpit der Next Generation (NG) nachbauen. Passagiersitze sollen auch noch eingesetzt werden“, so Alex, den die Technik besonders fasziniert. Tim, der Erfahrenste unter den Simulatorbauern, ergänzt schmunzelnd:

„Ich kann mich noch genau daran erinnern, als wir zum ersten Mal den Strom angeschaltet haben und eine Lampe geleuchtet hat. Ein weiterer Meilenstein. Mario hat die Lampe, glaube ich, fünfzigmal an- und ausgeschaltet.“ Der Flugsimulator sieht für Laien schon ziemlich komplett aus, allerdings rechnet das aerodreams-Team erst im Winter mit dem ersten „richtigen“ Flug. Dafür fehlen nur noch ein paar Teile: eine große Leinwand und drei Beamer, sodass das Flugerlebnis möglichst realitätsgetreu sein kann. „Dafür fehlt uns noch eine Schreinerei mit

CNC-Fräse – vielleicht finden wir ja hier im Umkreis noch einen Betrieb, der uns unterstützen könnte,“ so Mario. Denn die finanziellen Mittel stammen alle aus dem eigenen Geldbeutel. Sponsoren gibt es keine. Der 31-Jährige ergänzt: „Unser Traum ist uns jeden Cent wert.“

„Wir arbeiten jeden Tag an unserem Simulator.“

In Zukunft wollen die drei Flüge in alle Teile der Welt simulieren, mit allen technischen Herausforderungen und die Fliegerei hautnah erleben. Denn außer Tim hat niemand der drei einen Flugschein, auch wenn Alex und Mario das bedauern. Alex erklärt: „Das hätten wir sehr gerne gemacht, allerdings bleibt bei diesem großen Projekt keine Zeit mehr. Wir arbeiten jeden Tag an unserem Simulator.“ Und wer weiß, vielleicht dürfen irgendwann auch andere Flugbegeisterte den Weg ins Cockpit der Boeing 737 von aerodreams antreten und abheben. Eines ist jedoch jetzt schon gewiss: Die alte 737-Flugzeugnase wird wohl noch viele Abenteuer und Flüge erleben dürfen. Ein gemütlicher „Ruhestand“ ist nicht in Sicht.