Gespräch mit einer hörgeschädigten Mutter
Eine junge Mutter geht mit ihrer 1 ½ Jahre alte Tochter spazieren. Als das Kind einen Vogel sieht, zeigt es mit der Hand dorthin. Dabei führt es Zeigerfinger und Daumen mehrfach zusammen. Die Mutter macht dasselbe und antwortet: „Ja, ein Vogel“. Die Neugierde des Autors, selbst von einer Hörschädigung betroffen, ist geweckt. Mit der Gebärde für „Guten Morgen“ ist der Kontakt schnell hergestellt. Angelika Gerke aus Brilon, kann keine hohen Töne hören. Da dazu auch Kinderstimmen wie die ihrer Tochter zählen, hat die junge Mutter einen guten Weg gefunden, wie sie ihre Tochter „hören“.
WOLL: Sie ergänzen ihr kommunikatives Miteinander durch den Einsatz ihrer Hände und der Mimik. Um was für eine „Sprache“ handelt es sich dabei?
Angelika Gerke: Lautsprachlich begleitende Gebärden, kurz LBG.
WOLL: Wie sind sie darauf gekommen, das fehlende Hören oder besser gesagt, das Verstehen, durch die Unterstützung von Gebärden auszugleichen?
Angelika Gerke: Die Hörschädigung liegt schon lange bei mir vor. Aausschließlich lautsprachliche Kommunikation klappt bei mir nicht so gut. Informationen können verloren gehen. Das Gesagte kommt in meinem Ohr nicht so an, wie es gesagt wurde. Das führt oft zu Missverständnissen. Lautsprachliche Kommunikation ist dann für beide Seiten frustrierend, weil es nicht zum gewünschten Ergebnis kommt.
WOLL: Ihre Tochter wächst dann ja zweisprachig auf. Wie stellen Sie sicher, dass auch die Lautsprachenentwicklung optimal gefördert wird?
Angelika Gerke: LBG stellt keine eigene Sprache dar und darf nicht mit Deutscher Gebärdensprache (DGS) verwechselt werden.
Meine Tochter wächst „normal“ in einem hörenden Umfeld auf. Im Familien- Freundes- und Bekanntenkreis wird ganz „normal“ gesprochen. Lediglich bei der Kommunikation mit mir soll sie unterstützend zur Lautsprache Gebärden einsetzen.
WOLL: Wie reagieren Ihr Umfeld, Familie, Freunde, Bekannte aber auch Fremde darauf, dass Sie – und natürlich ihre Tochter – durch den Gebrauch der Gebärdensprache miteinander reden?
Angelika Gerke: Meine Tochter kann mit eineinhalb Jahren noch nicht sprechen. Es fällt also derzeit kaum auf. Sie kann sich aber durch Gebärden tatsächlich schon relativ gut äußern. Dies wird allerdings nicht so wahrgenommen, dass dies auch langfristig so angewendet werden soll.
Manfred Eigner hat ́s (noch) nicht verstanden = “ein Loch im Kopf”
WOLL: Menschen mit Hörschädigungen gibt es mehr, als man auf den ersten Blick erkennen kann. Der Laie denkt sicher sofort an ein Hörgerät und gut ist es. Doch so einfach ist es ja scheinbar nicht. Welche Ideen haben Sie aus eigener Erfahrung, damit Hörgeschädigte im alltäglichen Leben hilfreiche Unterstützung bekommen?
Angelika Gerke: Zum einen durch Öffentlichkeitsarbeit und zum anderen durch Aufklärung jedes hörgeschädigten Menschen selbst. Durch die derzeit bestehende Maskenpflicht fehlt das Mundbild und zusätzlich wird die Lautstärke gedämpft. Hier erfahren auch oft Guthörende, dass Verstehen nicht mehr so einfach ist.