Wenn ein paar Zeilen die Welt verzaubern

Elke Wirth erzählt Märchen und verzaubert damit für einen Moment die Menschen um sich herum

‚In den alten Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat, lebte ein König, dessen Töchter waren alle schön. Aber die Jüngste war so schön, dass die Sonne selber, die doch so vieles gesehen hat, sich verwunderte, sooft sie ihr ins Gesicht schien‘. So lautet der Anfang des Grimm’schen Märchens über den Froschkönig. Ein Anfang, der verzaubert – die Menschen und Elke Wirth, die die Sprache der Gebrüder Grimm tief in ihr Herz geschlossen hat.

Es war einmal …

„Es war einmal“, spricht Elke Wirth und öffnet damit die Tür in eine Märchenwelt. Eine Märchenwelt, die im Kopf stattfindet. Die keine großen Gesten braucht. Eine Welt, die fasziniert, verzaubert und Mut macht. „Märchen machen keine Angst. Sie machen Mut. Denn am Ende ist immer alles gut. Und es ist wichtig, das zu bemerken, denn das Besiegen des Bösen ist das Schöne an einem Märchen“, erklärt die 80-Jährige, die am liebsten an dem Fenster ihres Märchenzimmers sitzt, über die Altstadt Arnsbergs blickt und in ihre Märchenwelt eintaucht. „In meinem Märchenzimmer stehen unzählig viele Bücher und Sagen. Dort sammle ich Illustrationen und tolle Märchenbilder hängen an der Wand. Ich sitze dort unglaublich gerne und lese. Sobald ich mit einem Buch fertig bin, muss ich nur meine Hand ausstrecken und habe gleich das nächste in der Hand“, berichtet Elke Wirth, die Mitglied in der Europäischen Märchengesellschaft ist und die Märchen der Gebrüder Grimm einfach schrecklich schön findet.

Das gute Ende ist unendlich wichtig

„Die Grimm’schen Märchen haben im Original eine wunderbare Sprache und sind nicht partout grausam. Sie sind nicht brutal und beschreiben zum Beispiel nicht, wie ganz fürchterlich viel Blut spritzt. Natürlich sterben die Bösen und genau das ist vor allem für Kinder ganz, ganz wichtig. Denn es ist ein Unterschied, ob das Böse flieht und theoretisch zurückkommen könnte oder ob das Böse weg, sprich tot, ist. Dann braucht man es nicht mehr zu fürchten, weil man es ein für alle Mal besiegt hat. Dieses klare Differenzieren von Schwarz und Weiß ist einfach wichtig“, unterstreicht die gelernte pharmazeutisch-technische Assistentin. „Schattierungen können Angst machen“, führt Elke Wirth fort und sagt, dass Märchen nicht nur für Kinder wichtig sind.

Wenn der Zauber überspringt

„Kindern erzähle ich so ab dem siebten Lebensjahr Märchen. Vorher sind sie noch etwas zu klein. Aber Märchen sind auch für Erwachsene und Senioren ganz wichtig. Manchmal trage ich Senioren ein Märchen vor und ab und zu passieren dadurch wunderbare Dinge. Einmal habe ich zum Beispiel einer demenzkranken Dame, die seit über einem Jahr nicht mehr gesprochen hat, ein Märchen erzählt. Als dann das berühmte Sprichwort Spieglein, Spieglein an der Wand meine Lippen verlies, vervollständigte sie es plötzlich. Solche Sprichwörter und Sagen vergisst man einfach nicht“, weiß Elke Wirth, die als älteste von drei Töchtern früh angefangen hat, ihren Geschwistern Geschichten vorzulesen.

Die Mär – eine kleine Botschaft

Der Begriff Märchen kommt ursprünglich von dem Begriff ‚Mär‘. Einer kleinen Botschaft, die durch die Silbe ‘-chen’ noch etwas winziger wird, als sie eh schon ist. Eine winzige Geschichte, die immer etwas ganz Bestimmtes vermitteln möchte. „Ich treffe mich einmal im Monat mit meinen Märchenfreunden, mit denen ich Märchen oder Sagen analysiere, und versuche herauszufinden, was genau dahintersteckt. Ein Märchen ist im Ursprung ja etwas, das sich Erwachsene zum Zeitvertreib vor allem im Winter erzählt haben. Etwas, das die Erwachsenen unterhalten hat und bei dem die Kinder mit zugehört haben. Die Märchen verändern sich im Laufe der Zeit immer ein wenig, weil sie von Mund zu Mund getragen werden. So bleiben sie immer aktuell und verraten viel über die Historie, Kultur und die Menschen, die die Märchen auf jene Weise in jener Zeit erzählt haben“, erklärt Elke Wirth, die ihre Märchen stets frei erzählt und sich dabei als Person immer hinter dem Märchen positioniert.

Märchenstunde in Hamburg

„Es geht um das Märchen. Nicht um mich. Das Märchen steht im Vordergrund und deshalb erzähle ich natürlich schon lebendig, aber ich vermittle zum Beispiel keine Angst durch meine Stimme. Ich erzähle normal und übertreibe nicht“, sagt die Arnsbergerin, die im Garten ihrer Schwester in Hamburg stets eine fröhliche Runde vorfindet, wenn sie zu Besuch ist. „Meine Schwester lädt immer all ihre Freundinnen ein, wenn ich komme. Wir setzen uns in ihren Garten, ich erzähle Märchen und meine Schwester macht Musik dazu. Es ist toll, die Märchen, die teils aus der Zeit vor Christi Geburt stammen, weiterzutragen“, sagt Elke Wirth und weist darauf hin, dass das Auftauchen aus der Märchenwelt genauso wichtig sei wie das Eintauchen in die zauberhafte Welt der Märchen und Sagen. Damit das gelingt, enden die allermeisten Märchen übrigens so, wie der Volksmund es kennt: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

WENN EIN PAAR ZEILEN DIE WELT VERZAUBERN Elke Wirth erzählt Märchen und verzaubert damit für einen Moment die Menschen um sich herum