Manchmal muss man umziehen, um sein Glück zu finden. Für Familie Böhler aus Steinfurt im Münsterland lag dieses Glück 100 Kilometer entfernt – für ihr Haus ein Kilometer.
Wer kennt es nicht, das kleine Fachwerkhäuschen, das sich stolz hinterm Ortsausgang Mülheim Richtung Belecke behauptet? Seit einiger Zeit ziert nun ein Schild die Ostfassade: „Kreis Soest – Böhlsdorf – Ortsteil Mülheim“.
„Das Ganze war die Idee eines Familienfreundes und mir“, erzählt Bianca Böhler. „Wir haben das Schild anfertigen lassen und meinem Mann zum Geburtstag geschenkt!“. Daniel Böhler war so begeistert von dem Schild, dass er es prompt am Haus befestigte. Die sympathische Familie, zu der noch die fünfzehnjährige Tochter Denise gehört, war vor rund 1,5 Jahren nach Mülheim gezogen. Der Vater zuerst, Mutter und Tochter folgten.
„Wir hatten immer schon von einem eigenen Haus geträumt. Dann sahen wir dieses hier im Internet. Es war ein Sonntag, wir fuhren spontan hin. Es lag Schnee und der Anblick war einfach atemberaubend.“ Familie Böhler hatte sich auf Anhieb in Häuschen und Landschaft verliebt.
„Wir setzten alles auf eine Karte“, erzählt die 35-Jährige. „Mein Mann und ich waren beide selbstständig und sehr eingespannt. Wir brauchten dringend einen Neustart für uns und unsere Familie.“ Ein mutiger Schritt, den die Familie nicht bereute. „Wir arbeiten jetzt beide weniger. Daniel ist jetzt angestellt und ich gehe auch nur noch halbtags arbeiten“, verrät die Hauseigentümerin. „Und wenn alle nachmittags zuhause sind, machen wir das Tor zu – und dann ist Ruhe, dann genießen wir die Zeit miteinander.“
Langweilig wird es dabei freilich nie: „Haus Böhlsdorf“ verlangt nach jeder Menge Aufmerksamkeit! Ein Glück, dass Herr Böhler handwerklich geschickt ist und Frau Böhler jede Menge Ideen hat. „Außerdem braucht man viel Liebe und Geduld.“ Nun entdeckt die Familie nach und nach auch die Umgebung ihres neuen Zuhauses. „Wir waren total baff, als wir das erste Mal den Möhnesee gesehen haben!“ Frau Böhler lächelt. „Dort ist es so schön, dass wir sogar letztes Jahr unser Hochzeitsessen dort ausgerichtet haben.“
In Mülheim fühlt sich die Familie mittlerweile pudelwohl. Nicht zuletzt, weil die Geschäfte in Sichtigvor auch mit dem Fahrrad bequem erreichbar sind. „Außerdem sind die Menschen hier so offen und nett“, schwärmt die „Böhlsdorferin“. „Auch wenn man sich nicht kennt, sind sie immer für einen Plausch zu haben!“
Nun freuen sich die Hausbesitzer darauf, im Sommer den Zaun rund um das Häuschen zu erneuern und den Garten des insgesamt 600 qm großen Grundstückes weiter zu gestalten.
Dass ihr Haus selbst eine kleine Reise hinter sich hat, wussten die neuen Eigentümer allerdings nicht. Wohl aber Wilhelm Hecker, Ortsheimatpfleger von Mülheim, Sichtigvor und Waldhausen.
„Ursprünglich wurde das Haus 1836 von Ferdinand Abel erbaut“, erzählt er, „einem Enkel des aus Fulda stammenden Deutschordensförsters Nikolaus Abel.“ Der hat es auf einem Grundstück rund einen Kilometer entfernt erbaut: Zwischen dem Ordensritterweg und dem nach Waldhausen führenden Hohlweg, der heutigen „Neue(n) Straße“. In das Haus, welches bis 1851 als Schankwirtschaft diente, zog dann der Postillion Ferdinand Schütte aus Erwitte mit seiner Mülheimer Ehefrau Theresia Schulte-Proppern, die Begründer der Schütten-Linie in Sichtigvor. 1926 dann musste das Haus der Verbreiterung der beiden Straßen weichen.
Familie Schütte baute sich daraufhin ein neues Haus an der neuen „Neue(n) Straße“. Das alte Wegekreuz, das auch weichen musste, kann heute noch am Straßenrand oberhalb ihres Hauses bewundert werden. Zu sehen ist es außerdem auf einem Gemälde, das der Mülheimer Künstler Willi Eickhoff 1994 nach einer alten Fotografie anfertigte. Das Bild zeigt das Haus sowie einen Teil des Klosters im Jahr 1926 und hängt neben weiteren Werken des talentierten Malers in der Mülheimer Schützenstube.
Der Eigentümer des Liethofes, Heinrich Schulte-Nölke, kaufte das Haus und ließ es Stück für Stück abtragen. „Es war damals üblich, gut erhaltene Balken und andere Bestandteile von Abrisshäusern wieder zu verwenden“, so Willi Hecker. „Das waren ja in der Regel Eichenbalken. Die hielten lange.“ Das Auseinanderbauen der Balken war dadurch möglich, dass diese miteinander verzapft waren und so einfach gelöst werden konnten. „Lediglich das Lehmgefache musste erneuert werden.“ Der wohlhabende Bauer fuhr die Bauteile noch selbst mit der Pferdekutsche an ihren neuen Bestimmungsort in der Nähe seines Hofes. Dort wurde das Haus zu 2/3 wieder aufgebaut und diente ihm als Unterkunft für seine Bediensteten. Heinrich Hötte und seine Familie bewohnten das Haus dann bis nach dem zweiten Weltkrieg.
Nun freut sich Ortsheimatpfleger Hecker, dass das Haus neue Besitzer gefunden hat und so ein bedeutender Teil der Mülheimer Ortsgeschichte erhalten bleibt.
Dass das „Haus Böhlsdorf“ etwas Besonderes ist, stand für Familie Böhler seit ihrem ersten Besuch dort fest: „So ein altes kleines Schätzchen sollte bewahrt werden!“ Und das tun sie jetzt auch. Mit viel Liebe, Geduld, handwerklichem Geschick – und in aller Ruhe.