Menschen mit Autismus nehmen Reize anders wahr und sind täglichen der Gefahr einer Reizüberflutung ausgesetzt. Die DRK-Autismus-Ambulanz unterstützt sie dabei, angemessen mit diesem Stress umzugehen.
„Ich hatte schon immer das Gefühl, irgendwie anders zu sein“, erzählt der 25-jährige Robert. „Es fällt mir schwer, Gesprächen zu folgen und ich gerate immer wieder mit meinen Arbeitskollegen im Büro aneinander, weil es zu Missverständnissen kommt. Sogar schöne Ereignisse wie Geburtstagsfeiern sind unheimlich anstrengend für mich. Schon eine Stunde in einer Menschenmenge erschöpft mich und ich fühle mich extrem gestresst. Am liebsten bin ich allein zu Hause und beschäftige mich mit meinen Astrologie-Büchern. So kann es nicht weitergehen.“
Was ist Autismus?
Schilderungen wie die von Robert sind typisch für Menschen mit Autismus. „Sie verarbeiten Umweltreize ganz anders als sogenannte „neurotypische“ Menschen wie wir. Sie können unwichtige Eindrücke, wie beispielweise ein vorbeifahrendes Auto, während eines Gespräches nicht ausblenden und werden ständig abgelenkt. Dadurch sind sie einer stetigen Reizüberflutung ausgesetzt, was natürlich unglaublich stressig und erschöpfend ist“, erläutert Aline Zenz, Leiterin der DRK-Autismus-Ambulanz in Lennestadt-Altenhundem. „Oft fällt es Ihnen schwer, Mimiken zu lesen, Gefühle zu verbalisieren und sozial angemessen zu reagieren, wodurch sie häufig anecken, ähnlich wie Robert.“
Jeder ist anders
„Kennst du einen Autisten, kennst du einen“, beschreibt Aline Zenz die Vielfalt der Entwicklungsstörung. „Jeder Autist, jede Autistin ist anders, zeigt andere Symptome und Verhaltensweisen – genauso wie wir Menschen alle verschieden sind. Manche Autisten trauen sich kaum aus dem Haus, andere wiederum führen nach außen hin ein normales Leben. Unsere Therapieansätze sind daher ebenso individuell und richten sich nach dem jeweiligen Klienten. Diese Vielfältigkeit und die Begegnung mit ihnen sind unglaublich bereichernd, manchmal aber auch herausfordernd.“
DRK-Autismus-Ambulanz als Rettungsanker
Aline Zenz und ihre beiden Kolleginnen beraten Menschen, die vermuten, autistisch zu sein, und Unterstützung im Alltag benötigen. „Wir können jedoch keine Diagnose stellen; das muss ein Facharzt oder eine Fachärztin übernehmen. Wir vermitteln Kontakte und bieten Therapien an, sobald eine Diagnose wie Autismus-Spektrum-Störung gestellt und eine Therapie bewilligt wurde“, erläutert die Autismus-Therapeutin. Der Begriff verdeutlicht, dass Autismus keine Krankheit, sondern eine tiefgreifende Entwicklungsstörung ist, die sehr breit gefächert ist. Eine bekannte Ausprägung ist der sogenannte Asperger-Autismus, bei dem Betroffene häufig gute sprachliche Fähigkeiten aufweisen, aber beispielsweise Schwierigkeiten mit sozialer Kommunikation und Interaktion haben. Perspektivwechsel fallen ihnen oft schwer. Der sogenannte frühkindliche Autismus ist eine eigenständige Form von Autismus, die mit einer geistigen Behinderung einhergeht.
Bis zur Diagnose können leider oft Monate oder Jahre vergehen. „Wenn der Leidensdruck besonders hoch ist, versuchen wir von der DRK-Autismus-Ambulanz, die Vermittlung zu Fachärzten zu beschleunigen. Während der Wartezeit lassen wir die Menschen nicht allein und bieten Tipps für den Alltag und zur Stressbewältigung an, was oftmals schon hilfreich ist, und eine Art Rettungsanker für die Klienten darstellt.“ Die Therapiestunden finden in der Regel als wöchentliche sechzigminütige Einzel- oder Gruppensitzungen statt. „Unsere Ziele sind es, die Gesamtpersönlichkeit der Klienten zu stärken, die kognitive Entwicklung zu fördern und damit mehr Selbstständigkeit und Lebenszufriedenheit zu ermöglichen.“
Autismus bei Kindern
Auch einige Kinder gehören zu den Klienten. „Mit ihnen arbeiten wir natürlich anders als mit Erwachsenen. Kindern helfen oft Bildkarten zur Verdeutlichung ihrer Gefühle oder wir besprechen mit ihnen, wie sich Gefühle im Körper äußern können, damit sie damit besser umgehen können. Autisten sind sehr feinfühlige Menschen.“ Die Eltern haben die Möglichkeit zum Austausch in einer Selbsthilfegruppe im DRK-Haus in Lennestadt-Meggen. Diese trifft sich einmal pro Monat und heißt auch Neuankömmlinge herzlich willkommen. Hier können Eltern im geschützten Raum Fragen stellen, sich gegenseitig Tipps geben und sich unterstützen.
Zusammen ist man weniger allein
Robert nimmt heute, kurz nachdem bei ihm das „Asperger-Syndrom“ diagnostiziert wurde, an einer Gruppensitzung teil, bei der das Thema Smalltalk und Konversation im Mittelpunkt stehen. Zusammen mit drei weiteren Betroffenen, alles Männer, die generell häufiger von Autismus betroffen sind, soll jeder sich vorstellen und über ein beliebiges, unverfängliches Thema sprechen. Es herrscht Stille. Robert bricht das Schweigen: „Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Und wozu ist Smalltalk überhaupt gut? Er ist doch überflüssig.“ Zustimmendes Nicken der anderen Teilnehmer. Aline Zenz, die Leiterin der Sitzung, versteht ihre Klienten und erläutert die Funktion von Smalltalk als soziale Verbindung zwischen den Gesprächspartnern und Mittel zum gegenseitigen Kennenlernen. Für uns mag Konversation eine alltägliche Situation sein, für Menschen mit Autismus stellt sie eine herausfordernde Aufgabe dar, bei dessen Bewältigung die DRK-Autismus-Ambulanz Betroffene unterstützt.„Jeder sollte verstehen, dass Autismus keine Krankheit ist. Es ist wichtig, autistischen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und ihre Besonderheiten zu akzeptieren. Schließlich sind wir alle einzigartig“, betont Aline Zenz. Bei der nächsten Feier plant Robert, sich mit einem fremden Menschen zu unterhalten. „Vielleicht erzähle ich von meinen Astrologie-Büchern. Das könnte andere möglicherweise auch interessieren“, erzählt er von seinen Plänen. Das klingt nach einem Schritt in die richtige Richtung. Ich jedenfalls würde gern zuhören.