Weniger Windräder sind keine Lösung

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Ein viel beachteter Zeitungsartikel von Martin Korte in der Westfalenpost vom 8. März verspricht „Doch weniger Windräder ins Sauerland“. Und weiter: „Eine neue Analyse der Landesregierung stellt eine gerechtere Verteilung der Anlagen in Aussicht“. Dazu hat Martin Korte einen Kommentar verfasst, der WOLL-Leser Thomas Riesenweber aus Frielinghausen, unmittelbar von geplanten Windindustrieanlagen Auf der Sange betroffen, bewogen hat, einen Leserbrief an die Westfalenpost zu schreiben. Das WOLL-Magazin veröffentlicht hier einen überarbeiteten Auszug aus diesem Leserbrief, der um einige Gedanken ergänzt wurde, die sich aus dem anschließenden E-Mail-Wechsel mit der Westfalenpost entwickelt haben.

Windgerechtigkeit

Leserbrief von Thomas Riesenweber zum Kommentar von Martin Korte vom 8.3.2023

Die Unverfrorenheit Herrn Kortes macht einen denkenden Menschen fassungslos; die manifesten Schwächen in seiner Argumentation sind eines Journalisten unwürdig, die Nebelkerzen, die er wirft, um von den Problemen der Windindustrie abzulenken, empörend. So kommentiert ein „Aktivist“, kein unabhängiger Beobachter der Zeitläufte!

Erstens: Wo werden denn eigentlich die Anwohner an den Einnahmen beteiligt? Es profitieren (fast) ausschließlich die Aktionäre der großen Windindustriekonzerne und natürlich die Flächenbesitzer, die für die Verpachtung wertloser Felsen astronomische Summen einstreichen, während die Immobilien der Nachbarn dramatisch an Wert verlieren (das geht in bestimmten Regionen bis zur Unverkäuflichkeit). Daß Anwohner beteiligt werden „können“, ist im übrigen keine Sensation; mir wäre jedenfalls neu, daß es gesetzlich verboten ist, Anwohner zu beteiligen. Die Konzerne sind dazu in den meisten Fällen nicht bereit. Mit seinem Satz will Herr Korte den Eindruck erwecken, daß sie in Zukunft großzügiger werden. Ich kann das nicht erkennen.

Zweitens: An welchem Kriterium will Herr Korte festmachen, daß das Land der tausend Berge nicht „überfordert“ wird, wie er behauptet? Wenn er sich hier unkritisch die Äußerung eines Politikers der (mit den Grünen zusammen regierenden) CDU zueigen macht, hat das mit journalistischer Qualität nicht mehr viel zu tun: Daß die Regierungsparteien beteuern, das Sauerland nicht zu überfordern, ist jedenfalls keine Überraschung. Ob das die CDU-Wähler auch so sehen werden, wenn auf 650 der 1.000 Berge jeweils 250m hohe Türme stehen, wird die Zukunft zeigen. Gewiß: 650 ist nach der reinen Mengenlehre weniger als 1.000. Aber soll das den Hotelier beruhigen, vor dessen idyllisch gelegenem 3-Sterne-Haus ein Windpark mit 14 Türmen errichtet werden soll und der vor den Trümmern seiner Existenz steht? Soll das den Einzelhändler in Schmallenberg beruhigen, dessen Einnahmen einbrechen, wenn die Touristen ins Allgäu fahren statt ins Sauerland? Überforderung ist etwas sehr Persönliches.

Herr Korte zum Beispiel ist schnell mit der Wahrheit überfordert: Wo ist denn der von ihm angepriesene „Planungsspielraum“ der Kommunen? Die Wahrheit ist: Die meisten Kommunen haben ihre Steuerungsinstrumente durch die Klagen der Projektierer längst verloren, der Einstieg in neue Flächennutzungspläne ist durch die neue Gesetzeslage im Grunde unmöglich gemacht worden. Vielleicht wird im Jahre 2027 an ihre Stelle ein wie auch immer beschaffener Regionalplan treten. Daß dieser Zeitplan eingehalten werden kann, ist indes mehr als unwahrscheinlich. Zitat aus der WP von heute (11. März 2023): „Bezirksregierungen in NRW arbeiten nach zahlreichen Krisenhilfen am Limit“; die SPD warnt, „schon jetzt sei klar, dass die Bezirksregierungen die ihnen zugedachte Schlüsselrolle etwa beim Ausbau der Windenergie gar nicht spielen könnten“. In einem Rechtsstaat können Regionalpläne im übrigen auch noch beklagt werden. Es ist daher schon heute absehbar, daß der Regionalplan erst viel später als 2027 in Kraft treten wird. Bis dahin, also mindestens vier Jahre lang, unter Umständen aber erheblich länger, bewegen wir uns in einem von unseren Politikern bewußt herbeigeführten rechtsfreien Raum! Die Projektierer dürfen in dieser Zeit überall im Außenbereich bauen! Überall! Denn ihre Gewinnmaximierung liegt ja neuerdings im „herausragenden öffentlichen Interesse“. Wer hier von „Planungsspielraum“ schwadroniert, macht sich einer groben Irreführung seiner Leser schuldig.

Erschütternd ist auch, daß von Natur- und Artenschutz in Herrn Kortes einseitiger Windkraftpanegyrik keine Rede mehr ist. Nicht mit einer Silbe. So schnell kann man das ursprüngliche Ziel aus den Augen verlieren. Warum verschweigt er, daß durch Herrn Habecks brachiale Gesetzgebungsorgie Umweltverträglichkeitsprüfungen quasi abgeschafft wurden? Von einem grünen Minister! Was ist das für eine perverse Logik, die Natur zu zerstören, um sie vor eventuellen, heute noch gar nicht genau prognostizierbaren Folgen des Klimawandels zu schützen? Daß Herr Krischer Vogelschutzgebiete zu Tabuzonen erklärt, ist juristisch unerheblich, wie man im Weltnaturerbe Wattenmeer eindrucksvoll sehen kann.

Niemand verlangt übrigens von den Herstellern von Windrädern, auf ihre Lieferketten zu achten. Herr Korte sollte sich mal anschauen, unter welchen Bedingungen für Mensch und Umwelt im globalen Süden die Rohstoffe für die sog. Energiewende gewonnen werden. Wir reden hier nicht von ein paar Kilos, sondern von Millionen von Tonnen. Und wo ist die vielgepriesene Nachhaltigkeit, wenn die Räder im Schnitt alle 20 Jahre verschrottet werden müssen? Wir wissen alle, wie „gut“ in Deutschland das Recycling funktioniert.

Die vom Borkenkäfer heimgesuchten Waldflächen will Herr Korte möglichst schnell in Industriegebiete verwandeln: Aber Waldfläche bleibt Waldfläche, mit oder ohne Bäume, und nur auf Waldböden kann in naher Zukunft wieder der CO2-Speicher Wald nachwachsen, von dem es in Deutschland ohnehin schon zu wenig gibt; auf versiegelten Betonpisten wird noch in Hunderten von Jahren kein Baum mehr wachsen. Es geht also nicht etwa um eine kurze Übergangszeit der Windkraftnutzung, nach deren Ablauf dort erneut Wald entsteht: Niemand wird sich die Mühe machen die zwei Millionen Kubikmeter Beton der 650 Windradfundamente wieder aus den Wäldern des Sauerlands zu entfernen. Es ist schon ein bemerkenswertes Kabinettsstückchen: Eine Partei, die mal mit dem Slogan „Rettet den Wald!“ angetreten ist, vergreift sich an den Wäldern! Warum? Um den Profit ihrer Freunde aus der Windlobby zu steigern! Denen aber geht es nur ums Geld, nicht um den Klimaschutz, wie sie abseits der Mikrophone auch sofort zugeben würden. Daß das Weltklima am deutschen Wesen nicht genesen wird, sieht jeder, der die Augen öffnet.

Eine sichere Energieversorgung NRWs läßt sich auf diesem Weg, wie wir alle wissen, erst recht nicht erreichen: Ein modernes Windrad (es wird bald doppelt so hoch sein wie der Kölner Dom) liefert im Schnitt etwa 10 GWh Strom pro Jahr (das LANUV scheint ein bißchen optimistischer zu sein); das ergibt bei geplanten 1.000 neuen Windrädern bis 2027 einen Zubau von ca. 10 TWh, vielleicht etwas mehr. Aber bis 2030 wollen wir 90 TWh Braunkohlestrom abschalten, irgendwann sicher auch 130 TWh Steinkohlestrom. Und das bei steigendem Strombedarf. Denn wir wollen ja deutschlandweit auch jedes Jahr 500.000 Wärmepumpen einbauen und bis 2030 15 Millionen (!) Elektroautos fahren. Merkt denn niemand, daß diese Rechnung nicht aufgeht? Daß der Kaiser nackt ist? Sollen wir schwerste Eingriffe in unsere Kultur- und Naturlandschaft hinnehmen für etwas, das ohnehin nicht funktionieren wird?

Es ist schon ein Zeugnis ganz bemerkenswerter Unverfrorenheit, einen derartig einseitigen Kommentar unter die Überschrift „Windgerechtigkeit“ zu stellen. Leider ist der Begriff der Gerechtigkeit seit seiner Erfindung immer dazu mißbraucht worden, andere für dumm zu verkaufen. Warum soll man Windräder nicht ins Flachland stellen dürfen? In Niedersachsen hat man das doch auch gewagt und gute Erfahrungen damit gemacht. Wirtschaftlich lassen sich die Windräder laut einer Studie der NZZ in NRW ohnehin nur an ganz wenigen Standorten betreiben. Es gibt übrigens Entwürfe in Herrn Habecks Ministerium, den bösen Mindestabstand auf 300m herabzusetzen. Dann käme man sehr nah heran an den Haupt-Stromverbraucher, die energiehungrigen Großstädte, und könnte sich die Zerschneidung der Landschaft mit Stromtrassen sparen. Man darf gespannt sein, ob dann die wahren Nimbys aus der Deckung kommen: die Grünenwähler in den Ballungsräumen, die ihr graues Stadtleben grüner machen wollen, indem sie die Wälder zubetonieren lassen, und den Ausbau der Windindustrie befürworten, solange er im Sauerland erfolgt und die eigene Komfortzone nicht tangiert. Diese Aspekte der Gerechtigkeit klammert der gerechte Herr Korte leider vollständig aus.

Die WP will nach eigener Aussage keine Windindustrie-Propaganda betreiben und schreibt sich die wundersame „Entlastung“ des Sauerlands zum Teil sogar auf die eigenen Fahnen. Es liegt mir fern, diese noble Intention anzuzweifeln. Man ist bestimmt in Kopf und Herz ganz unabhängig und überparteilich. Aber Herr Korte sollte dann bitte in Zukunft anders schreiben, sonst fällt es dem Leser schwer, das zu erkennen: „das Sauerland als grüner Generator Nordrhein-Westfalens“ – das hätte sich keine Marketingabteilung einer grünen Parteizentrale schöner ausdenken können!

Prof. Dr. Thomas Riesenweber (Eslohe)

Das WOLL-Magazin hält eine offene Diskussion über das Wenn und Aber, über Sinn und Unsinn und über Nutzen und Schaden von Windindustrieanlagen auf unseren Bergen für extrem wichtig. Hier geht es nicht nur um das Für und Wider einzelner „Windräder“, hier geht es um die Zukunft unserer einzigartigen Kulturlandschaft und das Bild des Sauerlandes.

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