Weltumsegler Hans-Werner Wienand im Interview

Foto: Tom Linke

„Unser Traum war es, in der eigenen Yacht die Welt zu umsegeln. Irgendwann wachst du auf und du weißt, jetzt ist es Zeit für deinen Traum.“

An Deck seines Bootes AMYGDALA ­ flattern die Flaggen von 30 besuchten Ländern. Fünf Kontinente hat der Arnsberger Hans- Werner Wienand auf seiner Reise kennengelernt, dabei 35.601 Seemeilen, umgerechnet 65.933 Kilometer in 317 Seetagen zurückgelegt. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin hat er sich vor zehn Jahren – im Alter von 58 Jahren – seinen Traum erfüllt.

WOLL: Seit wann segeln Sie?
Hans-Werner Wienand:
Seit meinem 12.Lebensjahr. Ein Bekannter meines Vaters hatte sich damals eine kleine, wunderschöne Segeljolle aus glänzend lackiertem Mahagoni gekauft, wohl mehr aus Repräsentationsgründen, denn sportlich war er eigentlich nicht. Mein kleiner Bruder und ich sollten ihn damit sechs Wochen lang in unseren Sommerferien über den Möhnesee schippern, während er auf dem Vordeck stand und mit weißer, goldbetresster Kapitänsmütze den großen Skipper gab. Für meinen Bruder und mich war das Ganze ein einziges großes Abenteuer.

Ahnung vom Segeln hatten wir bis dahin beide nicht. Aber wir fanden es toll und waren voll kindlicher Neugier. Wir haben alles einfach ausprobiert und es hat funktioniert. Es war eine herrliche Erfahrung, den Wind in die Hand zu nehmen, ihn nutzen und mit ihm spielen zu können. Bis auf den letzten Tag der Ferien. Da sind wir in ein plötzlich nördlich über der Haar aufziehendes Gewitter geraten und haben dabei in einem verpatzten Manöver, einer Patenthalse, den Mast ver-loren. Aber auch das gehörte dazu. Ab dann war ich unheilbar  in­  ziert.


WOLL: Viele Segler träumen davon, die wenigsten machen es, belassen es bei kleinen Törns. Was hat Sie bewegt, eine Weltumseglung zu machen?
Hans-Werner Wienand:
Ja, die Häfen der Welt sind voll von Booten auf dem Trockenen, die von großen, aber gescheiterten Träumen erzählen. Das ist sehr traurig anzusehen. Gründe nicht zu fahren, gibt es genug. Meist wird vorgeschoben, das Boot sei noch nicht perfekt, aber im nächsten Jahr ginge es dann endlich los. Das alles sind aber nur Ausreden, weil der Mut, Neues zu wagen, fehlt. Viele leben mit dieser inneren Lüge Jahrzehnte, bis es dann irgendwann wirklich zu spät ist. „In zwanzig Jahren wird man vermutlich eher von den Dingen enttäuscht sein, die man nicht getan hat, als von denen die man getan hat.“ Das hat Mark Twain geschrieben. Und das war für mich so etwas wie ein Motto und die Medizin, mit der alle Ängste ausgeräumt und die Warnungen der  Besserwisser und Bedenkenträger weggewischt werden konnten. Ach, hättest Du damals doch nur… jetzt ist es zu spät. – So etwas wollte ich mir selbst niemals sagen müssen. Wir haben die Leinen losgeworfen und sind losgefahren. Einfach so. Vieles war zu Anfang alles andere als perfekt. Aber wir haben es wenigstens begonnen und aus unseren Fehlern gelernt. Wir haben es gemacht.

„Auf Galapagos gab es eine Menge Lebewesen um mich herum, die waren doppelt so alt wie ich und sie waren noch immer gut drauf. Da wusste ich, dass ich alles richtig gemacht hatte.“ H.-W. Wienand. Foto: H.-W. Wienand
„Auf Galapagos gab es eine Menge Lebewesen um mich herum, die waren doppelt so alt wie ich und sie waren noch immer gut drauf. Da wusste ich, dass ich alles richtig gemacht hatte.“ H.-W. Wienand. Foto: H.-W. Wienand


WOLL: Wie alt waren Sie bei der Umsegelung? Mit wem waren Sie unterwegs?
Hans-Werner Wienand:
Wir waren zu zweit. Conny Wulf, meine Lebenspartnerin und ich. Beide mit viel mehr Fern-weh als Heimweh. Zwei Personen, die auf weniger als 10 m² Lebensraum monatelang miteinander auskommen konnten, ohne ­ nstere Gedanken gegeneinander zu entwickeln. Ich musste aktuell in der Corona-Krise daran denken, als bei vielen Paaren in Quarantäne schon nach wenigen Tagen die Nerven blank lagen. Mit solchen Leuten hätte die Reise nicht funktioniert. Conny war ein Glücksfall. Und wir hatten den größten Pool der Welt um uns herum. Über das Alter habe ich mir nie Gedanken gemacht. Die innere Einstellung ist wichtig und die Kraft des Traums. Alles andere sind nur Zahlen. Als wir losgefahren sind, war ich 58. Meine beiden Söhne hatten da gerade ihr Studium beendet, standen auf eigenen Beinen. Jetzt oder nie habe ich mir gedacht. Meinen 60. Geburtstag habe ich dann auf Galapagos gefeiert. Das war ein irrsinnig gutes Gefühl. Dort gab es eine Menge Lebewesen um mich herum, die waren doppelt so alt wie ich und sie waren noch immer gut drauf. Da wusste ich, dass ich alles richtig gemacht hatte.

WOLL: Was war Ihr schönstes Erlebnis auf der Reise?
Hans-Werner Wienand:
Ein einziges Erlebnis als das Schönste herauszugreifen, wäre sehr unfair gegenüber all den vielen anderen wunderschönen Ereignissen, die ich dann nicht nennen würde. Vielleicht war es das Schönste, auf der ganzen Reise niemals, nirgendwo auf der Welt, schlechte Erfahrungen gemacht zu haben. Es war aufregend, nach vielen Tagen auf See eine dieser kleinen Inseln anzulaufen, gespannt zu sein auf die Menschen dort und zu erfahren, wie sie lebten, wie willkommen wir waren, mit wieviel Neugier und Interesse und Hilfsbereitschaft uns begegnet wurde. Wir haben tolle Freundschaften geschlossen. Manchen eingefleischten Segler wird das enttäuschen, aber schöne Momente auf See waren nichts gegen die Erlebnisse mit Menschen an Land, auf den abgelegensten Inseln.

Foto: H.-W. Wienand
Foto: H.-W. Wienand

WOLL: Wenn es Ihnen irgendwo besonders gut ge­fiel, haben Sie dann mal überlegt, für immer dort zu bleiben?
Hans-Werner Wienand:
Ja, mehrmals sogar. Es gibt so viele wunderschöne Stellen auf diesem kleinen gemeinsamen Planeten. Heimat könnte überall sein. Und sehr oft hatten wir noch lange feuchte Augen, wenn wir irgendwann wieder den Anker lichten mussten, um der Sonnenstraße immer weiter zu folgen.

WOLL: Hat, und falls ja, wie hat Sie die Weltumseglung verändert?
Hans-Werner Wienand:
Als wir zurückkamen, haben wir in den ersten Tagen unsere eigentlich vertraute Heimat mit ganz anderen Augen gesehen. Wir sind staunend durch unsere Stadt, durch das Sauerland gefahren wie Touristen und haben bewundert, wie schön es hier ist. Manches war uns vorher noch gar nicht aufgefallen. Wir haben unser ganzes Leben hier verbracht und dadurch war viel Schönes so selbstverständlich geworden, dass wir den eigentlichen Wert gar nicht mehr richtig würdigen konnten. Das ist jetzt anders.

Buchtipp:
Den ausführlichen und faszinierenden Bericht seiner Reise hat Hans-Werner Wienand in dem Buch „Amygdala – Protokoll einer Weltumseglung“ niedergeschrieben. Darin erzählt er von seiner Reiseroute, berichtet von den schönsten und gefährlichsten Situationen. Spannend –
auch für Nicht-Segler.
ISBN-13-978-3-94632-404-1