Weihnachtsdecken – aus Waldecker Spinnstuben

Quelle: Heimat-, Kultur und Geschichtsverein Willingen

Was wäre das Weihnachtsessen ohne festlich geschmückte Tafel? Selbst Tischdecken-Muffel müssen lobend anerkennen, dass der Anblick von Omas Damasttischdecke – frisch gestärkt und gemangelt – die feierliche Stimmung zusätzlich hebt. Wo das gute Stück vor langer Zeit gefertigt wurde, lässt sich jetzt kaum noch feststellen? Vielleicht war es sogar an einem der Webstühle in der alten Grafschaft Waldeck … 

Ein bronzener Leinenhändler steht an der Waldecker Straße in Willingen. Er erinnert an die Zeit, als der Leinenhandel noch die Haupteinnahmequelle des Ortes war. Hans-Herbert Kesper, Vorsitzender des Heimat- Kultur- und Geschichtsvereins Willingen kennt sich in der Heimatgeschichte bestens aus und weiß, „dass es die Wanderhändler in Willingen schon im Mittelalter gab. Man hat mit Eisen gehandelt. In der Epoche ‚Hammer- und Hüttenwesen’ hat man schmiedbares Eisen erzeugt und das Roheisen wurde nach außen verkauft. Nach dem Erliegen des Hammer- und Hüttenwesens wurde der Wanderhandel – und zwar speziell der Leinenhandel (Linnenkerle) – für 100 Jahre der absolute Schwerpunkt, die Einnahmequelle. Zunächst waren es gesponnene Wollwaren, später und dann aber fast nur noch Leinenhandel.”  

Quelle: Heimat-, Kultur und Geschichtsverein Willingen
Schwalefelder Frauen beim Flachsbrechen und -hämmern in der Scheune

Reine Frauenarbeit 

Das Leinen wurde aus Flachs gewonnen, der im Sauerland und im Waldecker besonders gut gedieh. Bis aus Flachs aber Stoff entstand, war viel Arbeit, Mühe und das Wissen um die richtige Verarbeitung nötig. Mit der Hand wurden die Flachspflanzen samt Wurzeln aus dem Boden gezogen, später die getrockneten Stengel für den “Gärvorgang” auf dem Feld ausgebreitet und bis zu vier Wochen lang alle zwei Tage gewendet. Erst wenn der Pflanzenleim gelöst, die Holz- und Rindenteile mürbe waren, konnten die Fasern vom Stroh getrennt werden. Dazu wurde das Flachsstroh mit einem Schlegel gebrochen und später gehechelt, also durch ein kammartiges, landwirtschaftliches Gerät gezogen. So aufbereitet kamen die Flachsfasern zu den Spinnerinnen, die aus den einzelnen Fasern Fäden spannen. Von der Aussaat des Flachs bis zum Weben lag diese zeitaufwändigen Arbeiten fast ausschließlich in der Hand der Frauen.  

Quelle: Heimat-, Kultur und Geschichtsverein Willingen
Nicht nur im Winterberger Raum, sondern auch im Waldeck’schen gab es viele Wanderhändler wie diesen Linnenhändler.

Aus dem Leinen wurden Tücher, Bettwäsche und Kleidung gefertigt. Manchmal wurde nicht nur einfaches Leinen, sondern auch besonders schönes. In Diemelsee-Benkhausen z. B. fertigte man früher “Tirtelei”: grobes, dicht gewebtes Material mit schönem Glanz: der Waldecker Damast. Es gab es ihn auch mit Bildwerk, also eingewebten Pflanzen, Tieren und Ornamenten.  

Für die Niedersfelder war der Flachsanbau bis 1929 ein wichtiger Erwerbszweig. Auch in Meschede-Eversberg und Sichtigvor bei Warstein waren die Leinenweber noch lange aktiv, bis ins späte 19. Jahrhundert hinein. 

Dann aber verdrängten andere Stoffe wie die Baumwolle das Leinen fast vollständig. Heute wird aus dem anspruchslosen Flachs vor allem Leinsamenöl und Leinsamen gewonnen, von besonders ernährungsbewussten Menschen vor allem wegen seiner gesunden Omega-3-Fettsäure geschätzt.  

Kein Flachs: Sportgeräte aus Flachs 

Erst in der jüngeren Zeit entdeckt man den Flachs als Rohstoff in der Textilverarbeitung zurück. Außerdem – kein Flachs – findet Flachs auch in der Autoindustrie Verwendung, denn er ist die beliebteste Zugabe für Naturverbundstoffe. Flachs ist sehr reißfest und leichter als Glasfasern, zusammen mit Polymeren, entstehen dann auch z. B. hochwertige Helme und Sportgerät aus der alten Nutzpflanze. 

Die Flachspflanze ist aber nicht nur sehr nützlich, sondern bietet mit ihren wunderschönen, blauen Blüten auch einen herrlichen Anblick.