Was der Bauer nicht kennt …?

Unser Streuobst: der Apfel ist die Nummer Eins

Dabei waren die Früchte der Streuobstwiesen früher ein entscheidender Bestandteil der Ernährung der meisten Mitteleuropäer. Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente und Antioxydanzien machen und machten den Apfel, der den Löwenanteil an Obstbäumen in unserem Streuobst ausmacht, zur beliebtesten Frucht aus dem heimischen Anbau. Mit über 1.000.000 Tonnen Produktion belegt der Kulturapfel den ersten Platz unter allen in Deutschland produzierten Früchten.

Heute baut man das meiste Obst auf niederstämmigen Plantagen an. Diese sind häufig nicht nur auf eine bestimmte Obstart, sondern auch auf eine bestimmte Obstsorte spezialisiert. Das bietet Vor- und Nachteile. Zum einen lässt sich eine solche Plantage deutlich besser bewirtschaften, da Ernte, Pflege und Pflanzenschutz sich motorisiert und standardisiert durchführen lassen. Dafür ist durch den monokulturellen Anbau die Gefahr des Schädlingsbefalls deutlich erhöht. Dies führte, unter anderem, zu einem Wettrüsten von Mensch und Natur, welches schließlich in einem intensiven Pestizideinsatz endete. Auf Apfelplantagen schlägt die chemische Keule teilweise über 30 Mal pro Saison zu.

Ein wertvolles Gut geht verloren

Das Verschwinden von Streuobstwiesen ist schade, weil die Streuobstwiese als Teil unserer über Jahrhunderte gewachsenen Kulturlandschaft den Lebensraum für eine Vielzahl von heimischen, oft selten gewordenen Tieren und Pflanzen bildet. Natürlich lassen sich ohne Kommerzialisierung und Industrialisierung nicht die gleichen Quantitäten und Qualitäten im Obstbau erzielen. Dafür bietet die Streuobstwiese aber die Möglichkeit, Kultur, Natur und Ertrag zu kombinieren und lokal, wenn auch nur für den eigenen Verbrauch, nutzbar zu machen.

Speziell alte Streuobstbestände bieten einer Menge seltener Arten ein Zuhause. Gerade die heute oft im Fokus des Naturschutzes stehende Insektenvielfalt profitiert von der strukturreichen Obstwiese. Bis zu 1.000 verschiedene Gliederfüßer-Arten kommen hier vor. Unter ihnen viele Falter, wie das „Landkärtchen“, der „Schwalbenschwanz“, das „Schachbrett“ und auch besonders der „Admiral“, der sich im Herbst an den gärenden Äpfeln für den Winter stärkt. Auch Bienen und andere Bestäuber profitieren von der Blütenpracht, die diesen Lebensraum im Frühjahr zu einem Genuss für Mensch und Natur macht. Schaut man weiter oben in die Nahrungskette, wird schnell klar, dass diese Vielfalt auch für die größeren Tiere von Nutzen ist. Bei den Vögeln der Streuobstwiese handelt es sich inzwischen oft um ornithologische Besonderheiten, da viele der heimischen Arten ihre  ökologischen Nischen oft nur noch hier finden. Wiedehopf, Steinkauz, Wendehals und Neuntöter sind nur ein Bruchteil der über 60 auf der Streuobstwiese brütenden Vogelarten. Speziell alte Bäume, mit ihren Astlöchern und abgestorbenen Ästen, sind ein begehrter Nistplatz.

Neben der Natur profitiert auch die Kultur von der Vielzahl an alten Sorten. Als genetische Ressource für die Zucht oder als kulinarische Besonderheit entdeckt man sie vielerorts wieder. Eine Sorte entsteht aus einem einzelnen Samen, von dem daraus erwachsenen Baum kann die Sorte dann nur noch durch Veredelung vermehrt werden. Der Ursprungsbaum kann dabei schon lange verschwunden sein, seine Äste aber und damit die Sorte bleiben erhalten.

Westfälische Obstsorten bedroht

Die älteste bekannte Apfelsorte in Deutschland ist der „Edelborsdorfer“. Seine Spuren können bis in 12. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Über 2.300 beschriebene Apfelsorten waren im Jahr 1880 bekannt. Oft haben diese alten Sorten lokale Verbreitungsgebiete und sind somit nur in geringen Stückzahlen vorhanden. Viele von ihnen werden heute vermisst. Westfälische Obstsorten wie „Osterberger Smerfenten“, „Lieser Kantapfel“, „Bürener Zitronenapfel“, „Plettenberger Schmorbirne“ oder die „Ochsenherzkirsche“ sind Repräsentanten unseres heimischen Obstbaus und damit ein Teil unserer Kultur. Fällt der letzte Baum einer Sorte, ist diese damit für immer verschwunden. Zu finden sind diese alten Sorten meist nur noch auf den alten Streuobstwiesen, weil sie im kommerziellen Anbau nur wenig bis gar keine Verwendung finden.

Die dauerhafte Verfügbarkeit von Obst im Supermarkt lässt schnell vergessen, dass dieses in unseren Breiten noch bis vor wenigen Jahrzehnten an die Jahreszeiten gebunden war. Um trotzdem auch im Winter und Frühjahr mit süßen Früchten und wichtigen Vitaminen versorgt zu sein, sorgte man also dafür, dass man ein breites Spektrum an Sorten auf der heimischen Streuobstwiese zur Verfügung hatte. So ist der „Klarapfel“ nur wenige Wochen im August genießbar, während der „Nimmermür“ im Oktober gepflückt wird und erst im Januar seine Genussreife erreicht. Dafür ist er aber bis in den Frühsommer des nächsten Jahres haltbar.

Apfel für Allergiker

Auch wie eine Sorte am besten verwendet wird, spielt bei der Nutzung eine entscheidende Rolle. Bei den modernen Sorten handelt es sich fast ausschließlich um Tafelobst, welches zum direkten Verzehr gedacht ist. Dabei ist bei vielen alten Sorten oft eine Verwendung für Apfelmus, Apfelkuchen, zur Herstellung von Gelee, als Kochzutat oder für Most und Apfelwein bekannt. Die Variation der Inhaltsstoffe zwischen den verschiedenen Sorten sorgt für die teilweise immensen Unterschiede in Form, Farbe, Geschmack, Anwendung und Wirkung. So können beispielsweise Apfelallergiker bestimmte alte Sorten ohne Probleme essen, da diese allergische Reaktionen durch ihren hohen Phenolgehalt hemmen. Die Phenole im Apfel sorgen für den bitter-säuerlichen Geschmack mancher Sorten, dabei sind sie aber auch wirksame natürliche Pilzund Schädlingsbekämpfungsmittel und oft mit gesundheitsf rdernden Wirkungen assoziiert. Schneidet man einen Apfel auf, so lässt sich sein Phenolgehalt anhand von Geschwindigkeit und Grad der einsetzenden Bräunung abschätzen. Alte Sorten zeigen hier deutlich höhere Gehalte als die modernen.

Es flossen die Erfahrungen vieler Generationen in die Vielfalt an Sorten, die jetzt noch auf unseren Obstwiesen zu finden ist. Natur, Kultur und Nutzer sind hier eingeladen, die Früchte unserer Geschichte zu ernten. Deshalb sollte man sich gut überlegen, ob die alten Obstbäume im Hinterhof nicht noch eine Chance verdient haben.