Warum heißt das „nasse Zeuchs inner Luft“ eigentlich „Mückenpisse“?

Quelle: Pixabay

Es mag einer jener typischen Frühlingstage in meinen Kindheitstagen gewesen sein, möglicherweise ein Nachmittag im April, und der Himmel wollte sich nicht recht zwischen Strahlen und Trübnis entscheiden. Wir stromerten über die Wiese, auf der wir immer bolzten, wollten gerade ein Spiel beginnen, als einer meiner Freunde skeptisch nach oben schaute, die Hand ausstreckte und schließlich seufzte: „Mückenpisse.“ Irritiert starrte ich wie er nach oben, und – Da! – da hatte auch mich etwas getroffen, ein kleiner, feiner Tropfen. Ich überlegte, ob Mücken sich auf diese Art und Weise ihrer Notdurft entledigten, behielt die Frage aber für mich. Die anderen grinsten, als hätten sie sie doch erahnt. „Das bisschen Regen!“, meinte einer und drosch den Ball in Richtung Tor. Als auch ich lostrabte, hatte ich wieder etwas gelernt: „Mückenpisse bedeutet Regen“, murmelte ich lautlos und … weiter ging‘s.

Auch später, als ich im Sauerland herumkam, habe ich immer aufmerksam hingehört, wenn ich auf die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten im Sauerländischen stieß. Und ja, ich meine mich auch an eine Bemerkung zu erinnern, dass der Sauerländer ebenso viele Bezeichnungen fürs Regnen habe wie der Eskimo für Schnee. Sie kennen möglicherweise die Behauptung, die Eskimos hätten Dutzende bis Hunderte von Wörtern für Schnee. Ein Mythos. Tatsächlich lässt sich in dieser Hinsicht kaum ein Unterschied zwischen der Sprache der Inuit oder der Yupik – so die Bezeichnungen für die beiden Hauptvolksgruppen der Eskimos – und dem Deutschen ausmachen.

Gut, den Mythos mit dem Füllhorn der Eskimo-Sprache für Schnee-Bezeichnungen können wir also ad acta legen. Aber wie steht es denn mit dem Sauerländischen und dem Regen, pardon, der Mückenpisse? Die Frage gehört sicherlich zu jenen, bei denen man einen Fachmann zu Rate ziehen sollte, und das Sauerland ist hier Gott sei Dank reich an Koryphäen. So jemand ist Dr. Nürsel, der darauf verweist, dass der Sauerländer sich hierbei weniger mit Hauptwörtern aufhält, denn damit werde letztlich nur „dieses nasse Zeuchs inner Luft“ bezeichnet. Hier stellt sich die Bandbreite neben unserer „Mückenpisse“ mit Räen, Riänen, dem Räänschur oder Schäuerken relativ überschaubar dar. Wichtiger sei hier vielmehr, wie der Regen wahrgenommen werde. Es „fisselt oder fitzelt“ also, „nisselt oder nieselt, es drüppelt, dröppelt, miegt, schüttet, suppt, schifft, sickt, saut, gießt, räänt, pladdert, pläddert oder plästert, es nubbelt und sabbelt, es ist am Schürren“ oder, wie des Doktors Omma immer zu sagen pflegte, „es ist allzwidder am Regen zugange“. Hier dürften wir also gar nicht so weit davon entfernt sein, wie die Eskimos zukünftig vielleicht Linguisten aus aller Herren Länder zu Forschungszwecken bei uns begrüßen zu dürfen.

Ja, das Sauerländische hält viel Faszinierendes bereit. Das weiß nicht nur ein Dr. Nürsel. Und wenn Sie zukünftig beim ersten Schritt vor die Haustür ein, zwei Tropfen bemerken und leise „Mückenpisse!“ murmeln, vielleicht gar begleitet von einem leisen Fluchen, dann denken sie schnell an eine der Maximen unserer heimischen Philosophen, dass nämlich das, was da an Nassem von oben kommt, am Ende nur eines ist: flüssiger Sonnenschein!