Von Schnippelbohnensuppe und Gerstensaft

Quelle: Werner Moog

Erinnerungen an Ferien in Stormbruch 

Kennen Sie auch so etwas? Man hört den Namen eines Menschen, oder, wie in diesem Fall, den eines Dorfes und schon spielt sich im Kopf ein Film aus vergangenen Zeiten ab, an die man sich gerne erinnert. Mein mir ist es das Dörfchen Stormbruch, mit dem mich viel verbindet.  

Stormbruch heißt das kleine Dorf, in dem ich damals als Großstadtkind meine Ferien verbracht habe. Meine Mutter war dort geboren, Großeltern, Tanten, Onkel, Kusine und Vetter blieben Zeit ihres Lebens in dem Ortsteil, der seit 1972 zur Gemeinde Diemelsee gehört. Oft war ich in den ersten Jahren meiner Kindheit nicht dort, denn in den Fünfzigern war es nicht so leicht wie heute, „mal eben“ die Großeltern zu besuchen, selbst wenn diese nur 120 km entfernt lebten. Keine Autobahnen sowie schlecht ausgebaute Straßen machten den Ausflug zu einem langwierigen Abenteuer. Und wenn dann eine wie ich das Autofahren nicht vertragen konnte, war die Reise zu den Verwandten wahrlich kein Vergnügen. Jedes Mal stieg ich völlig bleich aus dem Auto, im Gegensatz zu meinem kleinen Bruder, der putzmunter heraussprang. 

Ferienarbeit mit Erholungswert 

Oma wartete schon auf uns und tischte uns ihre leckere Schnippelbohnensuppe auf. Bald war der Stress der Fahrt vergessen, die Ferien konnten beginnen. Vielleicht wird sich die jüngere Generation wundern, was wir damals unter „Ferien“ verstanden haben: Früh aufstehen, Brote schmieren, Milch oder Tee abfüllen und ab ging es zur Arbeit, wo in der Mittagszeit auf dem Feld der Picknick-Korb geleert wurde. Doch zuvor hieß es je nach Jahreszeit: Gemüse und Obst ernten, Heu zusammenharken (nix mit Trecker und Maschinen: reine Handarbeit), das Stroh zu Garben aufstellen und die Kühe von der Weide in den Stall treiben. Ich kam mir ziemlich wichtig vor, wenn ich – mit Stock bewaffnet – den Tieren den Weg von der „Laubocke“ oder von der Weide „Hinterm Hagen“ diktierte. Kam dann doch mal der Trecker zum Einsatz, schmetterte Onkel Karl während der Fahrt oft das Lied „Hohe Tannen weisen die Sterne“. Das war besser als Musik aus dem Autoradio! Wenn ich dann noch, wohlgemerkt unter strenger Aufsicht, selbst lenken durfte, kannte mein Glücksgefühl keine Grenzen.  

Natur pur, Bewegung an der frischen Luft und viel Schlaf (wir fielen jeden Abend todmüde ins Bett) sorgten dafür, dass wirklich von Erholung gesprochen werden konnte. Fernsehgerät? Fehlanzeige. Handy? Tablet? Phhh! Filme bot uns die Natur, wir brauchten nicht die aus dem Kasten. Dennoch: Einen Social-Media-Kanal gab es damals auch schon. Der funktionierte allerdings etwas anders als die heutigen. Wichtige Nachrichten wurden von Schüers Anna verkündet. An zentralen Stellen des Dorfes bat sie durch kräftiges Läuten ihrer Handglocke um Aufmerksamkeit. War diese hergestellt, las sie mit lauter Stimme die Informationen für die Dorfbewohner vor, die entweder aus dem Fenster schauten, oder sich um sie gescharrt hatten. 

Warten auf das nächste Schützenfest 

Und dann das Schützenfest, das alle vier Jahre an Pfingsten gefeiert wurde. Das ganze Dorf putzte sich heraus, alle zogen sich festlich an und hatten gute Laune. Da ich mittlerweile Sauerländerin bin, kann ich mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, Schützenfest nur alle vier Jahre feiern zu können! Nun, damals als Kind aus dem Bergischen, wo es so etwas gar nicht in der Form gab, war ich mit dem vierjährigen Rhythmus zufrieden. Man wartete zwar ungeduldig auf das nächste Fest, war dafür aber auch schon vier Jahre älter und durfte mehr. Zum Beispiel Bier trinken, was mir an meinem 17. Geburtstag beigebracht wurde. Wie ich diese Lernphase überstanden habe, werde ich hier nicht beschreiben, nur so viel: Meine Kinder haben von meiner Erfahrung profitiert, indem ich sehr viel Verständnis zeigte, als sie ihre erste Bekanntschaft mit dem Gerstensaft gemacht hatten und dies kurzzeitig bereuten. 

Meine Besuche heute sind seltener geworden. Die Verwandten leben, bis auf Kusine und Vetter, nicht mehr und viele der Menschen, die mich damals begleitet haben, ebenfalls nicht. Nur eines wird sich nie ändern. Meine Erinnerung an sehr schöne, einprägsame Aufenthalte in dem Dorf meiner Mutter.