Von Madonnen und anderen Gründungsmythen

Quelle: pixabay

WOLL-Blick aus Berlin

Als 10 jähriges Schulkind musste ich immer mit dem Bus von Fredeburg nach Schmallenberg fahren. Da meine Familie auf einem eher einsam gelegenem Hof wohnte, wartete ich im Morgengrauen immer allein an der Bushaltestelle, einer sogenannten Bedarfshaltestelle. Hieß: Der Busfahrer konnte selber entscheiden, ob er hielt oder nicht. Im Sommer, wenn es früh hell wurde, gab das selten ein Problem. Anders im Herbst und Winter, bei Nebel, Regen oder Schnee, da sah die Lage gänzlich anders aus. Ich konnte schreien oder winken, soviel ich wollte, nichts half. Vom Bus sah ich dann nur noch die Rücklichter. Manchmal hatte ich Glück, und meine Klassenkameraden, die schon in Wenholtausen oder Dorlar zugestiegen waren, brüllten: „Anhalten!“

Einer der Älteren, der da auch immer mit im Bus saß und unbeteiligter Zeuge des morgendlichen Dramas wurde, war der Sohn eines evangelischen Pfarrers aus Eslohe, sein kleiner Bruder Mathias ging mit mir in eine Klasse. Thomas saß mit den Großen – meine Tochter würde sagen: coolen Jungens – immer feixend auf der Rückbank. Heute lese ich, dass er ein bekannter Künstle geworden ist. Einer, der vor kurzem die Gottesmutter Maria in Jeans gemalt hat, wie sie auf einer Trittleiter steht und einem Mann mit entblößtem Oberkörper ihren Gürtel reicht. Der Mann in dem Gemälde ist ohne Zweifel eine ältere Version von Thomas aus dem Bus.

Altarbild Maria in Jeans DrolshagenQuelle: Sven Brandenburg
Mutter Jesu trägt Jeans Foto: Seven Brandenburg

Über dieses kürzlich enthüllte Altarbild, das Mariae Himmelfahrt neuzeitlich interpretiert, ist nun ein heftiger Streit entbrannt. Darf man das? Ist das gar Gotteslästerung? Das Erstaunliche dabei ist jedenfalls auch, dass dieser Bilderstreit nicht etwa in Berlin, Kassel oder Düsseldorf stattfindet, sondern ausgerechnet in einer kleinen Pfarrgemeinde im sauerländischen Drolshagen. Chapeau! Ob das der katholischen Kirche in Deutschland hilft? Ob sie dadurch offener, durchlässiger wirkt? Wohl kaum. Da können noch so viele Pfarrer Madonnen in Jeans stecken oder mit ähnlichen Aktionen daherkommen, um Gläubige zur Kirche zurückzuholen, da muss schon ein viel grösserer Läuterungsprozess in Gang kommen. Deutlich größer jedenfalls, als das derzeit im Erzbistum Köln beim Umgang mit dem Missbrauchsthema zu besichtigen ist. Da hilft nur Buße tun: Sich den Verfehlungen stellen, den Zeitgeist annehmen, ohne ihm hinterherzulaufen. Sich ändern, ohne den eigenen Werten untreu zu werden oder die Kernkompetenz aufzugeben.

Das gilt auch für die Politik.

In Zeiten des Klimawandels gelingt den Grünen die Beantwortung nach dem ‚Warum‘, nach ihrem Auftrag, nach ihrer Mission am besten. Der Umweltschützer-Gründungsmythos leuchtet so hell wie ein riesiges Feld von Sonnenblumen. Die beiden Berliner Regierungsparteien machen gar nicht erst den Versuch, mit eigenen Themen hervorzutreten. Gibt es wirklich nichts anderes als den CO2 Ausstoss? Digitalisierung, Bildung und Wohnen werden heruntergebetet, aber nicht mit Leben gefüllt. Wo ist er geblieben, der Wille zu gestalten, die Kraft zur Ver nderung? Wenige Wochen vor den Sommerferien hat die Union noch nicht einmal ein Wahlprogramm. Ein Paukenschlag ist kaum zu erwarten. Es sei denn, die Wahlstrategen von CDU/ CSU gehen mit ihren Führungsfiguren ähnlich respektlos um wie die Urheber des kirchlichen Bilderstreits in Drolshagen. Dann müssten sie allerdings auch verstehen, dass angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen wir stehen, ein Slogan wie „Sie kennen mich“ mehr nach Drohung klingt als nach Versprechen.