Vom Wahnsinn zum Kult: 10 Top-Ereignisse in 30 Jahren Skispringen in Willingen

Quelle: SC Willingen

30 Jahre Weltcup – eine Erfolgsgeschichte auf der Mühlenkopfschanze. Vom Wahnsinn zum Kult – hier die etwas anderen Top 10 des Skisprung-Spektakels im hessichen Teil des Sauerlandes.

Top 10: Premiere 1995

Schon in den 1990er Jahren waren die Winter warm, mussten selbst in Skandinavien oder den Alpenländern Skispringen ausfallen. Nicht so in Willingen. Mehrfach hatte der Ski-Club trotz Plusgraden oder bei Dauerregen internationale Wettbewerbe ausgerichtet. „Willingen ist reif für den Weltcup“, befand der damalige FIS-Manager Paul Ganzenhuber und der Weg für den Weltcup war frei. Die Premiere erfolgte ausgerechnet nur einen Tag nach dem Finale der Vierschanzentournee 1994/95 in Bischofshofen. Die Hauptdarsteller und ihr Tross waren spektakulär von Salzburg via Paderborn im Charterflugzeug eingeflogen worden. Den ersten Sieger Andi Goldberger feierten 35 000 Zuschauer bei der Tournee-Revanche und Willingen-Premiere.

Top 9: Der erste Dreier

Willingen war ursprünglich im Wechsel mit Oberhof alle zwei Jahre im Kalender eingeplant. Doch es sollte anders kommen. Weltcup Nummer drei 1999 brachte erstmals einen Teamwettbewerb (Sieger Japan) und zwei Einzel – bei denen Noriaki Kasai allen davonsprang. Die Organisation stieß an ihre Grenzen. Die Arena im Stryck platzte mit 80 000 bis 100 000 Fans aus allen Nähten. Unter Sicherheitsaspekten wurde schon 2000 die Zahl der Besucher auf 30 000 pro Tag gekappt, mit mehr Sicherheitspersonal und Rettungswegen. Seitdem steht Willingen auch Jahr für Jahr im Weltcup-Kalender als einer der Premium-Veranstalter.

Top 8: Die deutsche Boygroup

Martin Schmitt, 1999 auf dem Podest, und Sven Hannawald nach seinem Grand Slam bei der Vierschanzentournee 2002 erster deutscher Sieger in Willingen, wurden gefeiert wie Popstars. Der neue deutsche Skisprung-Hype erreichte einen Höhepunkt. Weibliche Fans ziehen Windeln an, damit sie ihren Platz in der ersten Reihe nicht zum Toilettengang räumen müssen. Die jungen Frauen machten Heiratsanträge per Transparent: „Martin ich will ein Kind von dir“ war da zu lesen. Privatsender RTL schaffte mit der Boygroup Sensationsquoten im TV.

Top 7: Schmittmania

Beim 17. Weltcup 2013 erwischte es Willingen: Winter pur mit Schnee, Frost, Sonnenschein – aber Absage am Sonntag trotz Kaiserwetter, weil der Wind zu stark wehte. Die 11 000 Fans blieben und machten trotzdem Party. Ein Dutzend Springer gingen spontan über eine vom Tretkommando gebaute Minischanze. Kanadas Mackenzie Boyd-Clowes aus Kanada stürzte – Schlüsselbeinbruch, Olympia ade. Martin Schmitt „siegte“ mit viel umjubelten 34 Metern. In Willingen feierte er nicht nur mehrfach seinen Geburtstag (zusammen mit OK-Chef Jürgen Hensel am 29. Januar). Schmitt („Es gibt keinen besseren Ort“) beendete auf der Mühlenkopfschanze auch seine aktive Laufbahn.

Top 6: Stars und Sternchen

Neben Bundes- und Landespolitikern oder IOC-Boss Dr. Thomas Bach ließen sich regelmäßig Stars und Sternchen anderer Sportarten im Strycktal blicken – Leverkusener, Schalker und Paderborner Bundesliga-Profis ebenso wie die Formel-1-Piloten Niki Lauda, Gerhard Berger oder Ralf Schumacher. Auch Heiner Brands Handball-Weltmeister rollten im Teambus an. Gern gesehene Gesprächspartner: Box-Weltmeister Henry Maske und die heimischenWeltklassesportler Rainer Schüttler, Patrick Lange oder Carolin Schäfer.

Top 5: Feuerwerk und Lasershow

Ein Weltcup-Highlight war Jahr für Jahr auch das Feuerwerk oder die Lasershow. Wenn die weltbesten Skispringer und später auch Skispringerinnen im Auslauf der Schanze den Fans präsentiert wurden, spielten auch prominente Vertreter der Musik- und Popszene auf einer eigenen Showbühne auf. Glasperlenspiel, Alvaro Soler, Felix Jähn oder Scooter heizten die Stimmung an, im großen Festzelt gab es volkstümliche Musik. Aber auch ungebetene Gäste „tauchten“ am Skistadion auf. Der Direktor eines kleinen Zirkus führte sein Kamel an der Leine und verlangte Einlass. Er wollte für sein in Not geratenes Unternehmen sammeln und hoffte auf viele Spenden. Doch die Kontrollen am Eingang wurde für das Duo zum Nadelöhr, das nicht zu überwinden war.

Top 4: Mit und ohne Fans

„Leicht kann jeder“, heißt das Motto in Willingen. Ob der Schnee vom Himmel fällt, per Kanonen produziert werden oder aus allen Himmelsrichtungen per Lkw herangeschafft werden muss – am Mühlenkopf wird gesprungen. Ob mit vielen tausend, oder während Corona auch ganz ohne Zuschauer findet Skispringen statt. Nirgendwo anders werden an einem Wochenende so viele Sprünge absolviert wie auf der Mühlenkopfschanze. Und wenn das Wetter mal nicht so richtig mitspielt wie beim Continental Cup 2021 werden binnen 24 Stunden gleich vier Konkurrenzen ausgetragen, die dann auch noch der Österreicher Wohlgemuth allesamt gewann. Auch wieder ein Fall für das Guiness-Buch der Rekorde.

Top 3: Bruchlandung

Der skurrile 161,5-Meter-Flug von Timi Zajc ließ der Skisprung-Szene beim Weltcup 2022 den Atem stocken. Der 22-Jährige Weitenjäger hatte beim Mixed Wettbewerb bei stark wechselnden Winden besonders viel Aufwind erwischt und im eigentlichen Landebereich der Mühlenkopfschanze noch drei bis vier Meter in der Luft gestanden. Obwohl Zajc den Sprung sogar noch vorzeitig abbrach, kam er auf die unglaubliche Weite jenseits des Schanzenrekords (155,5m) und stürzte. Kaum ein anderer Springer statt des slowenischen Weitenjägers hätte diese Bruchlandung unverletzt meistern können, die aber auch unterstrich, dass der Auslauf der größten Großschanze der Welt wieder einmal bestens präpariert war.

Top 2: Free Willis

Rund um die gelungene Mischung aus Sport und Party sind an die 1500 freiwillige und ehrenamtliche Helfer im Einsatz. Sie sind seit nunmehr 30 Jahren Garant dafür, dass alle FIS-Funktionäre von Walter Hofer bis Sandro Pertile immer wieder ins Schwärmen geraten; „Willingen setzt Maßstäbe.“ Und der Schweizer Bernie Schödler schwärmt sogar von einer „besonderen Spezies“ der freiwilligen Helfer im Waldecker Upland: „Immer freundlich, immer zuvorkommend. Hier wird Skisprung gelebt.“ Und noch einmal Martin Schmitt: „Willingen ist professioneller als die Vierschanzentournee. Daran hat sich bis heute nichts geändert – dank der vielen „Free Willis“.

Top 1: Wie im Märchen

Die Grimm`schen Märchen spielten in Nordhessen. Im Waldecker Upland aber wurde am 8. Februar 2020 sogar ein Märchen wahr, das kein berühmter Geschichtenerzähler besser hätte erfinden können. Der junge Nachwuchsspringer Stephan Leyhe hatte als Kinderreporter im „Tigerentenclub“ der ARD Sven Hannawald interviewt und gefragt, was man tun müsse, um so erfolgreich zu werden wie er. „Du musst fleißig trainieren und es einfach versuchen“, gab „Hanni“ dem Talent aus Schwalefeld mit auf den Weg. Und Leyhe schaffte nicht nur den Sprung in die Weltelite, wurde mit Medaillen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen dekoriert, sondern feierte an diesem 8. Februar auch seinen ersten Weltcup-Sieg. Zuhause in Willingen, vor den Augen der „Free Willis“, die allesamt zu Tränen gerührt waren und sich keinen größeren Lohn für ihren Einsatz als diesen Triumph des „Uplandadlers“ ausgerechnet beim Heimspiel auf der Mühlenkopfschanze vorstellen konnten.

Fotos: Schmittmania in Willingen und Wintermärchen um Stephan Leyhe © SCW / Upland-Tips