Quelle: Disput/ Berlin!GmbH
WOLL-Blick aus Berlin
Neulich mal wieder eine ordentliche Portion Sauerland getankt. Barfuss über Wiesen und Waldwege gelaufen, in Seen und Fischteichen geschwommen. Tausendsommerland, sagte meine Tochter, als sie klein war, zum Leben auf dem Lande. In diesem August habe ich das erste Mal seit Jahren wieder Schützenfest gefeiert. Eine Freundin, zu Besuch aus Berlin, mochte gar nicht mehr nach Hause gehen. Besser als Karneval und Oktoberfest zusammen sei die Party-Stimmung im Sauerland. Doch auch beim Schützenfest flüchtete man beim Frühschoppen vor der Mittagshitze in die Halle. Da, wo viel Sonne ist, ist nicht nur Schatten, sondern auch extreme Trockenheit. Und das in einer Gegend, von der die Menschen früher sagten: Urlaub im Sauerland: Ferien ohne Sonnenbrand.
Damit ist es nun vorbei. Dürre hat die einstigen Regenwälder deutscher Mittelgebirge in leichte Beute für Borkenkäfer oder gefräßige Waldfeuer verwandelt – der Klimawandel lässt grüßen. Andere ernste Probleme prägen Sommer und Herbst 2022: immer noch der Ukrainekrieg , die Energieknappheit, steigende Preise. Das alles in Dauerschleife jeden Tag.
Das Sauerland geht mir auf der Fahrt zurück nach Berlin nicht aus dem Sinn. Die Unterschiede im Lebensgefühl in der Großstadt und auf dem Land fallen auf. In Dörfern wie Gleidorf, Eslohe oder Huxel springen soziale Verwerfungen auf den ersten Blick nicht so sehr ins Auge wie in den Straßen und U-Bahnschächten Berlins. In Deutschland, so der Politologe Lukas Haffert in seinem Buch „Stadt, Land, Frust“, seien Städte nicht mehr grundsätzlich reich und ländliche Regionen nicht arm.
Es hat eine denkwürdige Verschiebung stattgefunden: Waren früher die urbanen Ballungszentren Sitz der Industrie, hat sich die Wirtschaftskraft in Deutschland längst woanders hin verlagert. So gilt Südwestfalen als drittstärkste Industrie-Region Deutschlands.
In Städten, so Haffert, boome der Kreativsektor, Dienstleistung und Universitäten, in ländlichen Regionen gedeihten mehr das produzierende Gewerbe und Exportindustrien. Und die Politik stellt sich auf die unterschiedlichen Bedürfnisse ein: für die Städter das 9 Euro-Ticket, für die Landbevölkerung die Tankumlage. Wohnen ist in den Städten ein Thema für Mieter. Auf dem Land geht es um Eigentum.
Neulich machte eine Studie von Harvard-Forschern von sich reden. Kinder einkommensschwacher Eltern, die reiche Freunde finden, verdienen demnach als Erwachsene deutlich mehr als die, die nur mit Menschen aus ihrer Einkommensschicht zu tun haben. Ist diese Mischung der Milieus nicht gerade eine Stärke des ländlichen Raums?
Der Handwerker, Bäcker, der Unternehmer, die Buchhändlerin oder der Facharbeiter sind dort eher Teil derselben Community als in Berlin, wo sich die verschiedenen sozialen Milieus auf verschiedene „Kieze”, und damit auch auf unterschiedliche Schulen, verteilen. Der Reichtum der Städter, schreibt Haffert, sei eher „immateriell”. Er basiere auf Wissen, Innovation und Ideen. Auch die Begriffe „weltoffen“ und „liberal“ fallen. Auf dem Land seien die Menschen stärker an den Ort gebunden, an dem sie arbeiten und leben.
Das hat Vorteile: Wenn auch das Sauerland bisher nicht gerade als „woker” Taktgeber für internationale Lifestyle-Trends in Erscheinung getreten ist, gibt es dort wirtschaftlich viel Innovation und eine lebendige, integrative Bürgergesellschaft. Mit Bodenständigkeit und Gemeinschaftssinn.
In diesem Sinne könnten sich die oft auf Abgrenzung bedachten Städter vom Leben auf dem Lande noch etwas abgucken – und das nicht nur in der Schützenhalle.
Von Jutta Falke-Ischinger erscheint im Oktober das Buch Der Unbeugsame. Friedrich Merz, die Union und der Kampf um die Macht.