Vom „Sunset Boulevard“ bis zur „West Side Story“

Quelle: Anke Sundermeier

Der 23-jährige Pascal Cremer aus Langenei erobert mit Talent, Leidenschaft und Herzblut die Musicalbühnen Deutschlands

Die taillenhohe Hose sitzt passgenau. Pascal Cremers Dreitagebart und die wuscheligen Haare sind einem glattrasierten Kinn und akkurat sitzender Schmalzlocke gewichen. Das weitgeschnittene Polohemd und die blankgeputzten Schuhe ergänzen seinen originalen 40er-Jahre-Look perfekt. Der Puls des damals 18-Jährigen rast, die Hände zittern, schwitzen. Das Herz pocht … Und es möchte endlich raus auf die Bühne – spielen, singen, tanzen. JETZT!

Es ist der 8. Oktober 2016. Wir befinden uns im Dortmunder Opernhaus, wo in wenigen Sekunden die Premiere von Andrew Lloyd Webbers Musical „Sunset Boulevard“ beginnt und Pascal zum ersten Mal auftreten wird – an der Seite von Musicallegende Pia Douwes. Der Vorhang öffnet sich, 3.500 Augenpaare blicken gespannt zur Bühne. Die Dortmunder Philharmoniker lassen die ersten Akkorde erklingen. Der Lebenstraum eines jungen Sauerländers wird wahr.

Mit vier Jahren fasziniert von klassischer Musik


An den Beginn seiner künstlerischen Laufbahn erinnert sich der heute 23-jährige Pascal noch ganz genau und erzählt schmunzelnd: „Als ich drei Jahre alt war, habe ich zu Weihnachten eine Plastikgitarre und einen Mikrofonständer geschenkt bekommen. Da habe ich dann lauthals „Ich möchte ein Star sein“ von Rolf Zuckowski geschmettert. Mit sechs Jahren saß ich dann im Konzert unseres Blasorchesters und in dem Moment, als die ersten Stücke erklangen, war ich mir sicher – das will ich auch machen!“Pascal lernt Klarinette spielen und wird schnell Mitglied des Langeneier Musikvereins, den er zunächst an der 3. Stimme verstärkt. Schnell mausert er sich zur 1. Klarinette, beschäftigt sich weiterhin mit klassischer Musik. Beim Bundeswettbewerb von „Jugend musiziert“ belegte er 2014 den dritten Platz.

Quelle: Paul Ripke

„Starlight Express“ stellt die Weichen für seine Zukunft

Zwei Jahre später ist es vollends um sein musikalisches Herz geschehen. Der 8-Jährige bekommt von seinen Eltern Musicalkarten von Starlight Express geschenkt. Schon während der Vorstellung weiß er, was er werden möchte: Musicaldarsteller. Da gibt es keinen Zweifel. Seine Zukunftspläne hat er seitdem ganz genau vor Augen.„Meine Familie hat mich bei meinem Traum immer zu 100 Prozent unterstützt. Dafür bin ich bis heute sehr dankbar“, erzählt der Langeneier. Vater Paul, Inhaber einer Autolackiererei, und Mutter Anne, Reiseverkehrskauffrau, ermöglichen ihm im Teenageralter Tanzstunden im Cologne Dance Center in Köln und Gesangsunterricht bei Claus Dam, einem renommierten Musicaldarsteller. „Dadurch lernte ich den Choreografen Selatin Kara kennen, der mich zu der bekannten Serie „Alles was zählt“ bei RTL brachte. Dort tanzte und spielte ich ein Jahr lang einen Studenten der „Steinkamp Dance Factory“, beschreibt Pascal seinen Werdegang.

Einer von sechs Studenten an der Folkwang Universität der Künste

Der Schritt zur Bewerbung an der Folkwang Universität der Künste in Essen ist die logische Konsequenz seiner bisherigen Laufbahn. Während der Oberstufe und noch vor seinem Abitur am Gymnasium der Stadt Lennestadt bewirbt er sich mit über 600 anderen Talenten für den Studiengang „Musical“. Und er schaffte das Unglaubliche: Er wird als einer von sechs Studenten aufgenommen. Mit seinen 17 Jahren ist er der Jüngste.

Für diesen Studiengang sagt er sogar ein Stipendium ab, das er an der berühmten Stage School in Hamburg erhalten hat. Sogar ein RTL-Kamerateam hatte ihn bei seiner Stipendienprüfung begleitet und strahlte später eine Reportage über ihn aus. Doch für Pascal musste es die Folkwang sein – in seinen Augen die beste Universität für seine Zukunftspläne.

Parallel zu seinem Studium, das im Februar 2015 beginnt, legt er im Mai desselben Jahres sein Abitur ab. Hat man denn da noch Privatleben und Zeit, für die Dinge, die Jugendliche gern tun? Abschlussfahrten, Partys, Faulenzen?

„Man muss schon auf Vieles verzichten. Unsere Tage an der Uni dauerten teilweise von 8.30 bis 23 Uhr. Das war manchmal sehr hart. Ich konnte zum Beispiel auch nicht mit auf unsere Abifahrt nach Bulgarien fahren und unseren Abiball besuchte ich nur kurz. Aber das ist es wert! Ich kann mir keinen schöneren Beruf vorstellen“, Pascals grünbraune Augen leuchten, während er von seiner Leidenschaft erzählt. „Ich stecke mein ganzes Herzblut in das Singen, das Tanzen, das Spielen. Die Musik ist eine universelle Sprache, die jeder auf der Welt versteht und jedes Herz berühren kann.“

Während seines Studiums, das er nach vier Jahren mit dem Bachelor of Arts abschließt, wirkt der Musicaldarsteller bei unterschiedlichsten Produktionen mit: „Sunset Boulevard“ am Opernhaus in Dortmund, „Chicago“ am Staatstheater in Braunschweig, das Wolfgang Petry Musical „Wahnsinn“ auf einer Tournee durch Deutschland. Pascal macht sich einen Namen in der Szene und kurbelt seine Karriere kräftig an. So ist es wenig verwunderlich, dass er als 21-Jähriger bei „Westside Story“ in Dortmund über Nacht zum Hauptdarsteller aufsteigt, als sich der eigentlich dafür vorgesehene Künstler verletzt.

Pia Douws ist begeistert von Pascals klangvoller Tenorstimme und schickt ihn zu Edward Hoepelman, einer weltbekannten Gesangskoryphäe und prominenten Lehrer an der Universität Fontys Hogeschool voor de Kunsten in Tilburg/Niederlanden. Sie bezahlt ihm sogar die erste Gesangsstunde, um Hoepelmans Meinung zu Pascals Stimme zu erfahren. Der berühmte Dozent ist beeindruckt und seit diesem Jahr studiert der junge Langeneier an seiner Uni in Tilburg mit dem Ziel, seinen „Master of Music“ zu absolvieren.

„Du musst aus tiefstem Herzen spielen“

„Das Wichtigste in unserem Beruf ist, dass du für dich selbst spielst und nicht irgendwelchen Erwartungen entsprechen willst. Du musst aus tiefstem Herzen und mit voller Leidenschaft auftreten, sonst wirst du in dem Business nicht bestehen und die Herausforderungen nicht meistern“, betont der sympathische Künstler.

Dass dies keine leeren Worte sind, zeigen Rollenangebote bekannter Choreographen und Regisseure. Sie kennen ihn und seine leidenschaftliche Spielweise und engagieren ihn ohne das obligatorische Vorsingen.

Sein eingangs beschriebener erster Publikumsauftritt bei „Sunset Boulevard“ in Dortmund legt dafür sicherlich den Grundstein und wird ein voller Erfolg:

Der Vorhang fällt. Pascals hat seine erste Vorstellung mit Bravour geschafft. Nicht enden wollender, tosender Applaus brandet auf – das Publikum feiert das Ensemble mit Standing Ovations. Pascal strahlt, ist erleichtert, berauscht von der Magie der Bühne. Genau das ist es, was er will. Sein Herz auf die Bühne bringen und mit voller Inbrunst spielen.

Im Dezember wird Pascal die Rolle des Piccolo im Musical „Zum weißen Rössel“ in Dortmund übernehmen. Doch auch wenn „piccolo“ „der Kleine“ bedeutet – Pascal wird sicherlich ein großer Musicaldarsteller werden.