Vom Palmenstrand in den Winterwald

Konzertpianistin Sain Rafi Enai aus Aserbaidschan fühlt sich wohl im Sauerland

„An die Temperaturen im Winter musste ich mich gewöhnen. Aber ich bin fasziniert vom Hochsauerland, weil es hier so schöne Wälder und eine faszinierende Natur gibt.“ – Das sagt Sain Rafi Enai (29), Dozentin für Klavier, Klassische Stimmbildung und Korrepetition bei MUSA – Freie Musikschule in Schmallenberg. Bereits mehrmals konnte die ausgebildete Konzertpianistin, die in Meschede wohnt und seit Oktober 2021 mit einem Vermessungsingenieur aus Marokko verheiratet ist, ihr Können bei öffentlichen Veranstaltungen in Schmallenberg und Umgebung unter Beweis stellen. Anfang des neuen Jahres haben wir Sain Rafi Enai, die 1993 in Baku als zweite Tochter des in Aserbaidschan bekannten Ärzteehepaars Rafiyev und Hasanova geboren wurde zu einem Interview in der Musikschule MUSA getroffen.

WOLL: Als Tochter eines Ärzteehepaares wäre doch eher eine Karriere als Ärztin naheliegend gewesen. Wie bist Du zur Musik gekommen?

Sain: Ich spiele schon seit meinem fünften Lebensjahr Klavier. In Aserbaidschan dauert die Schule elf Jahre, dann hat man das Abitur. Innerhalb von diesen elf Jahren war ich auf einer speziellen musikalischen Schule (Bul-Bul Musikschule). In dieser Zeit habe ich auch an internationalen Wettbewerben für Klavier in Paris, Athen und Baku teilgenommen. Danach habe ich meinen Bachelor an der Uzeyir Hacibeyov Musikakademie in Baku abgeschlossen. Anschließend bin ich zum Masterstudium an der Robert Schumann Musikhochschule nach Düsseldorf gekommen.

WOLL: Und wo kommt das musikalische Talent her?

Sain: Als ich vier Jahre alt war, muss ich wohl den ganzen Tag gesungen haben, sagt meine Mama. Und sie hatte das Gefühl, dass ich sehr musikalisch bin. Mit fünf wurde dann festgestellt, dass ich ein absolutes Gehör habe. Ich habe zu Hause immer Mozart gehört, Sinfonien und alles, was Mozart komponiert hat. Ich konnte dann sogar nach Noten singen. Bei uns heißt das Do Re Mi Fa So La Si, und nicht C D E F G.

Do Re Mi Fa So La Si

WOLL: Das heißt, Du hast mit Do Re Mi die Melodie gesungen?

Sain: Genau. Und meine Mamma meinte: Das kann nicht sein. Sie kann das noch nicht wissen. Also sagte sie: Spiel das mal auf dem Klavier, was Du da singst. Das habe ich dann gespielt, und das war genau das Gleiche. Eine große Überraschung für die Familie. Von da an habe ich Musik in der musikalischen Schule geübt.

WOLL: Wieso wolltest Du die musikalische Ausbildung in Deutschland fortsetzen?

Sain: Es war schon früh mein Traum, in Deutschland zu leben, weil hier die großen Komponisten wie Beethoven, Bach, Brahms, Schumann und viele andere gewirkt haben. Das war für mich faszinierend. Kein anderes Land hat so viele hervorragende Komponisten und Dichter hervorgebracht. Ich habe viele deutsche Bücher gelesen.

WOLL: Hast Du auf Deutsch gelesen?

Sain: Nein, ich habe das in meiner Muttersprache gelesen. So auch Erich Maria Remarque, Heinrich Böll und viele andere. Deswegen war es mein Traum, hierher zu kommen.

WOLL: Du unterrichtest Musik und bist Konzertpianistin. Strebst Du eine eigene Musikkarriere an?

Sain: Auf jeden Fall. Ich habe in meinem Leben schon auf mehr als 150 Konzerten gespielt. Ich bin mit sinfonischen Orchestern aufgetreten und habe Schumann- Klavierkonzerte gespielt. Dazu habe ich bei zahlreichen Wettbewerben mitgemacht und in Frankreich und Griechenland schon zweite und dritte Plätze gewonnen. Während des Studiums in Baku und Düsseldorf war das für uns sozusagen Pflicht. Wir haben pro Jahr sechs oder mehr Konzerte gegeben. Ich möchte allerdings nicht nur eine Konzertpianistin sein, sondern auch komponieren. Seit 2020 komponiere ich moderne, instrumentale Musik. Mein Traum ist es, eine erfolgreiche Komponistin für Filmmusik zu werden. Im November 2022 wurde meine Komposition ‚Reflections‘ auf allen Plattformen wie Spotify, Apple Music, YouTube veröffentlicht und derzeit werden weitere Kompositionen zur Veröffentlichung vorbereitet.

Mein Traum nach Deutschland zu kommen


WOLL: Außerdem gehört auch der Gesang zu Deinen Arbeitsbereichen …

Sain: Ich arbeite mit Sängerinnen und Sängern zusammen. Ich bin keine ausgebildete Sängerin, ich habe studiert, mit Sängern zu arbeiten.

WOLL: Könntest Du auch einen Chor leiten?


Sain: Als Korrepetitorin habe ich auch schon gearbeitet. Am Solinger Theater durfte ich „Die lustigen Weiber von Windsor“ begleiten. Das war ein sehr, sehr schönes Projekt. Ich habe die ganze Oper am Klavier begleitet und gleichzeitig den Chor bei den Proben dirigiert. Auch in den kommenden Sommerferien werde ich ein Chorprojekt in der MUSA leiten.

WOLL: Und wie bist Du ins musikalische Sauerland gekommen? Was hat dich daran gereizt?

Sain: Nach meinem Masterstudium war ich auf der Suche nach einer Arbeit. Für Ausländer ist es nicht einfach, hier zu bleiben. Damals habe ich mich auch bei MUSA beworben. Das Vorstellungsgespräch mit Agnetha Bräutigam, der Leiterin der Musikschule ist gut verlaufen und deswegen bin ich jetzt hier. Ich habe mehrere Angebote, auch von städtischen Musikschulen, bekommen. Doch am Ende habe ich mich für MUSA entschieden, weil hier die Arbeitsbedingungen und das Arbeitsklima besser waren.

WOLL: Hat sich die Entscheidung als richtig erwiesen?


Sain: Ich finde schon. Derzeit habe ich 46 Schülerinnen und Schüler. Insgesamt haben wir bei MUSA in den drei Jahren, in denen ich hier arbeite, eine große Entwicklung durchgemacht, sowohl Sänger wie auch Pianisten, einfach alle. Ich finde, jeder hat das Potenzial, zu musizieren. Man muss nur wissen, wie man das Mögliche aus jedem Schüler herausholt.

Schützenfest habe ich noch nicht kennengelernt


WOLL: Wenn man im Sauerland über Musik redet, muss man auch über das das Schützenfest reden. Wie beurteilst Du diese Feste in Bezug auf die Musik?

Sain: Das Sauerländer Schützenfest habe ich leider noch nicht kennengelernt. Ich wohne hier erst seit drei Jahren und zwei davon waren von der Pandemie geprägt. Ich war viel im Homeoffice. Deswegen kenne ich viele Ereignisse und Bräuche noch nicht.

WOLL: Ist das für dieses Jahr angesagt?

Sain: Ja, sehr gerne.

WOLL: Wie hast Du die Mentalität der hier lebenden Menschen wahrgenommen?

Sain: Sehr überraschend. Ich möchte nicht sagen, dass es anderswo schlechter ist. Auf keinen Fall. Aber was ich hier vorgefunden habe, das habe ich in Deutschland so nirgendwo erlebt. So warme Menschen und so freundlich. Ich habe eine tolle Beziehung zu meinen Schülern und Schülerinnen. Meine Kollegen und ich sind sehr gut befreundet. Auch meine Vermieterin hat mir immer geholfen. Das war für mich eine Überraschung. Ich frage mich immer: Wie kann man hier so warmherzig sein? Ich fühle mich sehr wohl.

WOLL: Manche sagen den Sauerländern eine gewisse Zurückhaltung, Sturheit und ähnliche Dinge nach …

Sain: Das habe ich nicht bemerkt. Zu mir sind alle sehr nett. Ich habe hier meine Freunde gefunden.

WOLL: Was macht eine Pianistin und Musiklehrerin, wenn sie mal keine Musik macht?

Sain: Ich koche und tanze sehr gerne. Doch Reisen ist meine Nummer eins. Die Welt kennenlernen. Ich habe schon viele Länder gesehen. Ich hoffe, ich kann das noch lange machen.

WOLL: Was gefällt Dir am Sauerland besonders?

Sain: Die Natur, die Menschen, meine Arbeit. Generell alles – außer den kalten Tagen.

WOLL: Was sind Deine Zukunftspläne?

Sain: Ich hoffe, dass ich hier noch lange arbeiten darf, und viele Projekte, die ich schon im Kopf habe, ermöglichen kann. Im November hatte ich ein großartiges Konzert für meine Schüler und mich selbst organisiert. Es hieß „Magische Filmmomente“. Es ist für mich wichtig, nicht nur als Lehrerin tätig zu sein, sondern auch meine Kreativität und alle anderen Fähigkeiten, die ich habe, einzubringen. Das klappt ganz gut in unserer Musikschule. Ansonsten werde ich weiter Musik komponieren, um irgendwie in die Musikindustrie reinzukommen und auch als Komponistin erfolgreich zu werden.

Am 26. März findet mein Solokonzert ‚So klingt die Welt‘ in Musikbildungszentrum Südwestfalen statt. Es wird ein fantastisches Programm mit einem Schwerpunkt von ethnischer Musik aus aller Welt aufgeführt.

WOLL: Vielen Dank, Sain, für diese interessanten und spannenden Einblicke in Dein Leben. Alles Gute und viel Erfolg auf Deinem weiteren Weg.