Vom Fahrradtunnel über den bergischen Panoramaweg ins Trauzimmer

Sicherlich wird diese Variante zu einer standesamtlichen Trauung nur selten genutzt, aber möglich ist sie! Im alten Bahnhof in Hützemert hat der Dorfverein, direkt neben dem regional vielbefahrenen überörtlichen Fahrradweg, seit April 2021 ein Trauzimmer eingerichtet, in dem sich nicht nur Hützemerter Paare das Jawort geben können. Bereits im vorigen Jahr ist auch ein Jausenweg hinzugekommen, Wanderer und Radfahrer können im gemütlichen Ambiente des Bahnhofgebäudes eine erholsame Rast einlegen, die freundliche Außen- und Innengastronomie laden dazu ein. Joachim Nierhoff sprach mit dem Geschäftsführer des Hützemerter Dorfvereins Sascha Koch.

WOLL: Herr Koch, in welchem Jahr kam es zu den Überlegungen in Hützemert einen Dorfverein zu gründen? Denn neben dem Hützemerter SV mit seinen verschiedenen Sportabteilungen gibt es ja auch noch die Gesangsvereine und die kirchlichen Gemeinsamkeiten.

Die Überlegungen zum Dorfverein entstanden im Jahr 2009 im Zusammenhang mit der Konzeptarbeit zum alten Bahnhof. Im Vorfeld hatte es dazu bereits Überlegungen von den Ehrenamtlichen gegeben. Ehrenamt ist in Hützemert ein ganz großes Thema. Neben den genannten Vereinen gibt es noch den Elternverein für den Kindergarten und über viele Jahrzehnte gab es eine sehr rege KJG-Arbeit. Eigentlich fehlte es die ganzen Jahre über an einem Bindeglied bei der Konzeptarbeit zur Bahnhofsgestaltung als Treffpunkt des ganzen Dorfes. Hützemert hatte als Straßendorf bisher keinen eigentlichen Mittelpunkt. Deswegen kam schließlich die Idee auf, einen Dorfverein zu gründen, der als Bindeglied zwischen den Vereinen fungieren und nicht nur ein Bahnhofserhaltungsverein sein sollte. Der Dorfverein sollte als Klammer für die anderen Vereine gegründet werden und damit ein fester Bestandteil des „neuen“ Dorfmittelpunktes um das alte Bahnhofsgebäude sein.

WOLL: Wer waren denn die Frauen und Männer der ersten Stunde und warum war es dann doch der alte Bahnhof? Es gab, wie schon in anderen Dörfern, die Überlegung, an anderer Stelle ein ganz neues Dorfhaus zu errichten.

Die anderen Überlegungen kamen dann doch nicht zum Tragen und bisher gab es eben kein eigentliches Dorfzentrum. Als dann die alte Bahntrasse seitens der Stadt Drolshagen erworben wurde, ergab sich eine neue Situation. Eigentlich war geplant, einen überregionalen Radweg neben der B 55 zu bauen. Es kam aber anders. Die Bahn hatte die Stadt Drolshagen ziemlich unmissverständlich aufgefordert, das Bahngelände innerhalb des Stadtgebietes zu erwerben. Die Stadt hat das gesamte Bahngelände in der Stadt überplant und teilweise an private Nutzer weitergegeben. Für Hützemert wurde das gesamte Bahnhofgelände mit seinem großem Parkplatz als Dorfmittelpunkt interessant und natürlich der alte Bahnhof als zukünftiges Dorfgemeinschaftshaus. In Zusammenarbeit mit dem einzigen verbliebenen Gastronom des Dorfes konnte damit auch eine Gastronomie geplant werden, um im zukünftigen Gemeinschaftshaus Veranstaltungen mit entsprechender Restauration organisieren zu können.

Von Beginn an gehörte Mario Gipperich zu den Teamern, der damals nahezu in allen Vereinen präsent war, aber auch Uli Hilchenbach, der sich sofort intensiv als Ideenentwickler und Konzeptplaner miteingebracht hatte. Ingo Grütz als Vorsitzender vom Männergesangverein sowie der damalige Vorsitzende des HSV (Hützemerter Sport Verein) Andreas Halbe waren aktiv dabei.

Quelle: Sven Brandenburg

WOLL: Welche Schwerpunkte wollten die Initiatoren neben den üblichen dörflichen Aktivitäten bilden?

Man wollte mit dem Dorfverein eine überörtliche Klammer schaffen als verbindendes Element der verschiedenen Vereinsaktivitäten wie Bildung, Sport und Gesang. Darüber hinaus wollte man das kulturelle Leben im Dorf weiter voranbringen, Historisches aufarbeiten und Traditionen bewahren, denn im Laufe der letzten Jahre sind viele Traditionen ausgestorben, die in den sechziger und siebziger Jahren noch gepflegt wurden. Als Beispiel kann das Neujahrssingen genannt werden, welches es schon seit vielen Jahren nicht mehr gibt, oder das Karfreitagsklappern, welches in Hützemert ebenfalls der Vergangenheit angehört. Ein positives Beispiel hingegen ist die Tradition des Nikolaus-Begehens, die in Hützemert all die Jahre unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und natürlich der Kinder weitergeführt wurde.

WOLL: Nun liegt der alte Bahnhof direkt neben einem regional vielbefahrenen Fahrradweg, der nahe am Wegeringhauser Tunnel, dem längsten Fahrradtunnel Westfalens, liegt. Welche Möglichkeiten sah man oder bildeten sich im Laufe der Zeit heraus?

Es war klar, dass ein Radweg geplant werden musste. Es war die Voraussetzung für die Übernahme des Bahnhofs durch die Stadt. Dass dieser Radweg ein überregionaler Weg wurde, war natürlich besonders schön. Die Idee für den Bergischen Panorama-Radweg wurde erst 2011/2012 bekannt. Diese Planungen aus dem Städtedreieck Remscheid/Solingen/Wuppertal waren insofern ein Geschenk, als der Bahnhof und das Bahnhofsgelände dadurch touristisch eine ganz neue Bedeutung erlangten.

WOLL: Sie hatten gesagt, kulturelle Veranstaltungen wie Musikkonzerte der verschiedensten Art, Lesungen und Vorträge werden im großen Saal durchgeführt. Welche Künstler sind bisher in Hützemert aufgetreten?

Nach der großen Einweihungsfeier haben hier natürlich schon Dorffeste stattgefunden, etwa die 600-Jahr-Feier der ersten urkundlichen Erwähnung Hützemerts. Die Vereine halten hier außerdem ihre Jahreshauptversammlungen ab. Aber auch Veranstaltungen, die vielleicht eher unüblich für ein Dorf sind, organisieren wir: Kleinkunstaufführungen mit Künstlern wie beispielsweise Cilly Alperscheid, Lesungen in Zusammenarbeit mit der Buchhandlung am Markt in Drolshagen und Events mit Gästen wie etwa Klaus-Peter Kappest mit einem Multivisionsvortrag. Besonders beliebt sind unsere musikalischen Konzerte von A-Capella bis Blues, von Klezmer-Musik bis Irish-Folk- Musik, die  besonders gut beim Publikum angekommen ist. Die meisten Veranstaltungen waren ausverkauft, was auch daran liegt, dass hier immer eine echte Wohlfühlatmosphäre herrscht, obwohl in dem großen Saal 80 bis 100 Sitzplätze eingerichtet werden können. Bei Bedarf können wir sogar bis zu 130 Besucher in den Saal einlassen – allerdings dann nur noch bei geringer Bestuhlung.

WOLL: Als weitere Attraktion ist seit April 2021 ein Trauzimmer eingerichtet worden, wie kam es dazu?

Bei den Umbauarbeiten 2014/15 gab Claudia Heite aus Hützemert den Anstoß für dieses Vorhaben. Die Idee war, neben den verschiedenen Standorten für Trauungen in Drolshagen, dem alten Gewölbekeller im ehemaligen Klostergebäude, dem Heimathaus und Gut Kalberschnacke, ein Trauzimmer im ehemaligen Wartesaal der königlich-preußischen Bahnstation, also in historischer Umgebung, einzurichten. Es galt natürlich einige Hindernisse zu überwinden wie die Erlaubnis der Stadtverwaltung einzuholen. Auch das Trauzimmer musste entsprechend dem Ambiente eingerichtet werden. Neben dem Blumenschmuck, der zu den Trauungen aufgestellt wird, hängt als fester Bestandteil des Zimmers ein großes Foto an der Stirnwand, auf dem ein frisch vermähltes Paar vor einer alten Dampflok posiert. Die erste Trauung fand bereits am 10. April statt.

WOLL: Auf dem Bahnhofsgelände steht eine alte Dampfspeicherlok und es gibt einen tollen Kinderspielplatz. Seit kurzem steht dort auch ein öffentlicher Bücherschrank. Wie finanzieren sie diese Attraktionen? Nur durch Eigenhilfe?

Ohne öffentliche Finanzierungshilfen wäre dies alles nicht möglich gewesen. Eigentlich gibt es einen Fördermix aus den verschiedenen Finanztöpfen von LEADER- und Landesmitteln, wie ILEK, Gelder aus der NRW-Stiftung und aus der Denkmalförderung des Landes, der Rest war jedoch tatsächlich Eigenleistung. Mit den Überschüssen aus den verschiedenen Veranstaltungen zahlen wir die laufenden Kosten und den seinerzeit aufgenommenen Kredit ab.

WOLL: Ein Jausenpfad ist im vorigen Jahr dazu gekommen, wie wird die Jausenstation bewirtschaftet?

Zusammen mit dem Haus Wigger, das ja direkt am Bahnhof liegt, wird eine Gastronomie betrieben, ohne die eine wirtschaftliche Existenz des Bahnhofs und der Jausenstation gar nicht denkbar wäre. Seitens des Hauses Wigger wurde bereits früh bei der Planung eine Zusammenarbeit mit dem Dorfverein beschlossen, die auch für das Gasthaus ein zweites Standbein bedeutet und mit Herzblut betrieben wird. Zusammen mit der SGV-Hütte in Benolpe, dem Stupperhof in Gipperich unterhalb des Labyrinths, dem Backes in Essinghausen und unserem Dorfverein haben wir dann den Jausenpfad Drolshagen buchstäblich auf den Weg gebracht. In Zusammenarbeit mit dem SGV und Drolshagen Marketing ist dann der Jausenpfad entstanden. Coronabedingt konnten wir ihn leider noch nicht der Öffentlichkeit präsentieren. Wir würden dies natürlich gern mit einer entsprechenden öffentlichen Veranstaltung feiern. Immerhin gibt es schon einen Flyer, der den Pfad beschreibt. Die entsprechenden Tafeln sind bereits aufgestellt, sodass man den Jausenpfad schon jetzt begehen kann.

Quelle: Sven Brandenburg

WOLL: Gibt es weitere Planungen für die Zukunft?

Nachdem wir gerade im Innenbereich das Hochzeitszimmer eingerichtet haben, wollen wir im Außenbereich den Spielplatz noch attraktiver gestalten und ein weiteres Spielgerät aufstellen. Ein richtig großes Projekt ist im Moment nicht geplant, aber nach den vielen kleineren Projekten warten wir jetzt erst einmal auf den Bewilligungsbescheid für die Außenanlagen. Da die vor dem Bahnhofsgelände notwendigen Straßen- und Kanalarbeiten zur Erschließung eines neuen Wohngebietes erst fertiggestellt werden müssen, wollen wir unsere Arbeiten im Außenbereich abrunden und uns zunächst einmal mit der Pflege der beiden Güterwaggons befassen, die dringend einer Renovierung bedürfen.

Herr Koch, wir bedanken uns für die interessanten Informationen zum Dorfverein Hützemert und das nette Gespräch. Für die Zukunft dem Dorfverein weiterhin eine gute Zukunft!