Verrückte Welt: Boom auf Winterberg im „Corona“-Sommer und Herbst 2020

Michael Beckmann

Quelle: Privat

(giba) Lange Jahre war er erfolgreicher Touristikchef in Winterberg: Michael Beckmann (56) – seit dem 1. November 2020 neuer Bürgermeister von Winterberg. Im WOLL-Interview blickt er zurück als auch nach vorne: Beckmann erzählt Persönliches, wie er selbst von Corona „überfallen“ wurde, und er analysiert eine „Verrückte Welt“: wie und warum die Wintersport-Metropole unterhalb des Kahlen Astens im Corona-Sommer und Herbst 2020 so gut gebucht war wie nie zuvor.  

WOLL: Was ging Ihnen durch den Kopf, als im März 2020 plötzlich das Thema Corona hoch kochte?

Da mein Sohn in Italien eine Ferienparkanlage leitet, waren wir im Februar aufgrund der Entwicklung in Italien bereits vorgewarnt und haben bereits Ende Februar einen engen Austausch zu unseren Unternehmerinnen und Unternehmern gehalten. Als ich dann selbst erkrankt bin und für fünf Wochen in Quarantäne musste, war ich froh, dass ich den Betrieb und die Verbindung in die Stadt so gut halten konnte.

WOLL: Wie haben Sie reagiert, als die Winter-Saison quasi noch nicht zu Ende- und Corona längst auch über Winterberg „eingebrochen“ war? Frühling und Sommer standen vor der Tür…

Wir haben bereits vor dem Lockdown mit den maßgeblichen Hotelbetreibern und Einzelhändlern abgestimmt, dass wir die Betriebe stufenweise runterfahren und schließen. Die Liftbetriebe sind dann am 16. März 2020 runtergefahren worden, also auch noch vor dem Lockdown. Dafür gebührt allen Beteiligten heute noch ein großer Dank, denn das war damals in Europa nicht selbstverständlich. Zumal sich auch andeutete, dass sich ab Mitte März bis tatsächlich Mitte April eine der stabilsten Winterwetterlagen des gesamten letzten Winters einstellen würde. Das hat wirtschaftlich schon sehr weh getan.

WOLL: Wann hat der enorme Sommer-Tourismus 2020 in Winterberg eingesetzt und warum?

Nachdem klar war, dass die Beschränkungen schrittweise aufgehoben werden, setzte auch sehr vorsichtig das Reisen ein. Unsere Vermutung, dass die Menschen aufgrund der Corona-Lage eher in Deutschland bleiben, zeigte sich dann auch bei den Buchungszahlen. Tagestouristisch muss man sagen, dass unsere Freizeitangebote bereits seit Anfang Juni wieder sehr gut besucht waren. Im Übernachtungsbereich hat dann die Nachfrage sehr spürbar und deutlich Anfang Juli angezogen. Und seit Juli bis Ende der Herbstferien hat es einen unglaublichen Boom auf die gesamte Region Sauerland und Winterberg gegeben.

WOLL: Was war denn außer Wandern, frischer Luft und schöner Landschaft an touristischen Sommer-Highlights besonders gefragt?

Natürlich punkten wir immer mit unserem Wander-Angebot sowie der wohl einzigartigen Natur und Landschaft. Dies gilt auch beim Radtourismus. Auch da haben wir ein attraktives Angebot, das im Sommer sehr gut angenommen wurde. Der Trend zum E-Bike zeigt sich auch bei uns, die Verleihzahlen unserer Fahrrad-Betriebe sind erheblich gestiegen, der Verkauf von E-Bikes boomt ohnehin. Dies zeigt sich auch bei den Besucherzahlen des Bikeparks und im Stadtbild. Man hatte zeitweise das Gefühl, man würde nur noch Radfahrer sehen. Insgesamt waren alle Erlebnisangebote sehr gefragt. Dies gilt besonders für die Angebote im Rahmen der Sauerland SommerCard sowie der Bürgerkarte bis hin zu unserem Freibad in Siedlinghausen oder den Angeboten am Hillebachsee in Niedersfeld.

WOLL: Hat es so einen Ansturm von Touristen auf Winterberg wie im Sommer und Herbst 2020 schon einmal gegeben?

In dieser Form von Anfang Juli bis Ende Oktober hat es so eine Nachfrage auf die Angebote sowohl tagestouristisch wie auch im Übernachtungsbereich nicht gegeben. Wir waren von Juli bis einschließlich Oktober über fast alle Übernachtungsbereiche über dem Vorjahres-Niveau. Wir stellen gerade auch fest, dass die Hotels aufgrund der Pandemie zum Ende Oktober nicht mehr so gut gebucht wurden. Ferienwohnungen erlebten hingegen einen regelrechten Boom.  

WOLL: Hatten Sie keine Befürchtung, dass die Tourismus-Massen sich und andere anstecken könnten? Gibt es so etwas wie eine Negativ-Bilanz des Winterberg-Sommers 2020?

Natürlich haben wir uns gemeinsam mit unseren touristischen Betrieben, dem Einzelhandel und dem städtischen Ordnungsamt nicht erst im Sommer intensive Gedanken dazu gemacht, wie wir unsere Angebote gestalten. Es konnte ja niemand wirklich vorhersehen, wie die Nachfrage sein wird. Uns war klar, dass wir sehr gute Konzepte benötigen, um die Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten, mit denen wir unsere Gäste, aber auch uns selbst und die Einheimischen schützen. Dies ist uns dank des großen Engagements gelungen. Unsere Konzepte haben den erwünschten Erfolg gebracht, trotz wirklich vieler Gäste gab es kein erhöhtes Infektions-Geschehen in Winterberg. Dies zeigt, dass unsere Maßnahmen und die Anstrengungen unserer Betriebe gefruchtet haben.

WOLL: Wenn die Menschen erstmal weiterhin mit Corona leben müssen: wie sehen da die touristischen Konzepte aus?

Wir haben aus diesem Sommer unsere Lehren gezogen und haben für den nächsten Sommer, bei dem ich davon ausgehe, dass Corona uns weiter begleiten wird, viel gelernt. Wir werden neben der weiteren Optimierung der Konzepte zur Einhaltung der Hygiene- und Abstandregeln in allen Bereichen auch eine deutlich Höhere Präsenz des Ordnungsamtes haben, wir werden Radfahrer und Fußgänger stärker sensibilisieren und möglicherweise auch trennen müssen und wir werden unser Beschilderungs- und Verkehrslenkungssystem weiter optimieren. Gleiches gilt für die Wintersaison. Hier sind wir gerade dabei, die erarbeiteten Hygiene- und Infektionsschutzkonzepte immer weiter zu verfeinern, die Verkehrslenkung deutlich zu verbessern und auch innerstädtisch zu schauen, wie wir die Menschen besser führen könnten. Darüber hinaus waren auch unsere Liftbetriebe alles andere als untätig und haben gute Konzepte für die Wintersport-Saison erarbeitet.

WOLL: Wenn Schnee und Eis in den nächsten Jahren wegen des Klimawandels „Schnee von gestern“ sein sollten und der Winter kein Winter mehr ist – ist Winterberg mit seinen Dörfern auf so ein Szenario vorbereitet? Schließlich wurde in den letzten Jahren sehr viel investiert z.B. für hochmoderne und kostspielige Liftanlagen wie man sie nur noch aus den Alpen kennt …

Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass wir auch in den nächsten 10 Jahren noch Winter haben werden. Das ist ein Zeitraum, den man noch überschauen kann. Allerdings, wer hätte vor 10 Jahren vorhergesagt, dass der Dieselantrieb in Frage gestellt wird. Vorhersagen sind und bleiben schwierig. Wie in der Vergangenheit werden wir Winter auch mal mit mehr, mal mit weniger Schnee haben. Natürlich befassen wir uns intensiv mit dem Klimawandel und den Konsequenzen hier vor Ort. Deshalb haben wir die Zeit in den letzten Jahren genutzt, um Winterberg von einem reinen Wintersportort hin zu einem Ganzjahresurlaubsort zu entwickeln. Dies ist uns erfolgreich gelungen, auch wenn es in Teilen ein langer und mühseliger Weg war und noch ist. Auch, um insgesamt den Lebensraum Winterberg positiv zu entwickeln sowie damit einhergehend die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger spürbar zu fördern und weiter zu verbessern.

WOLL: Wie gehen Sie persönlich mit Corona um?

Da ich selber an COVID 19 erkrankt bin, kann ich gut ermessen, wie schwierig es für Menschen aus Risikogruppen sein muss, diese Krankheit zu überstehen. Insofern bitte ich auch immer um Verständnis für die getroffenen Maßnahmen, insbesondere für die AHA+A+L-Regeln, weil sie die Menschen schützen. Das galt und gilt für die Teams in der WTW und beim Stadtmarketingverein ebenso wie für die Stadtverwaltung und für alle weiteren touristischen Akteure sowie die Unternehmen und die Menschen in unserer Stadt, die dieses auch beherzigen.

WOLL: Sie haben kürzlich – noch als Touristikchef – beim Online-Event „The Power of Outdoors“ (Veranstalter: European Network of Outdoor Sports) mit 160 Teilnehmern aus ganz Europa das Winterberger-Verständnis eines aktiven Naturtourismus vorgestellt. Wie lautet das?

Aktiver Naturtourismus heißt für uns als erfolgreiche Tourismus-Destination in einer der schönsten Regionen in Deutschland, Menschen in Bewegung zu bringen. Der aktive Naturtourismus erwirtschaftet neben gesundheitlich positiven Effekten auch eine soziale Rendite. Er bewegt nicht nur die Menschen, er bringt sie auch zusammen. Auch wenn das aktuell in Corona-Zeiten schwierig ist. Wichtig ist uns, dass diese Angebote niedrigschwellig sind und darüber hinaus auch eine Wertschöpfung für unsere Ferienregion branchenübergreifend erzielen. Dies bedeutet, wir bieten über unsere Natur sowie unserer attraktiven Infrastruktur und gemeinsam mit unseren touristischen Freizeitbetrieben einen Mix aus vielfältigen Angeboten: für die gesamte Familie oder auch für ältere Generationen, die einen sanften Einstieg in den aktiven Naturtourismus ermöglichen. Wir bieten aber auch körperlich ambitionierte Möglichkeiten wie zum Beispiel die Winterberger Hochtour oder auch die schwarzen Strecken der Bike Arena. Wir wollen Menschen bewegen und dieses Ziel erreichen wir dann, wenn unsere Gäste jeglicher Generation begeistert sind von dem, was sie hier erleben können.