Quelle: Frank Ullrichskötter
Schwerelosigkeit und Farbenrausch für Taucher
Stellen Sie sich vor, liebe Leser, Sie stehen am Ufer eines Sees, beispielsweise des Sorpesees. Ihre Kleidung fällt auf, denn Sie tragen einen Neoprenanzug, Flossen und eine Tauchermaske. Ein ungewohntes Gefühl – gleichzeitig pocht Ihr Herz wild und aufgeregt. Heute ist der Tag, auf den Sie sich schon lange gefreut haben, denn zum allerersten Mal geht es tief unter die Wasseroberfläche. Nach dem Erlernen der Theorie und einem Übungswochenende im Pool steht Ihr erster Tauchgang im „Open Water“ an!
Die Pressluft in der Flasche auf Ihrem Rücken wird für Ihre ersten 45 Tauchminuten ausreichend sein, haben Sie erfahren. Man hat Ihnen prophezeit, dass Sie geflasht sein werden von dem, was Sie sehen und erleben werden, und sie können es kaum erwarten, endlich das „Go“ vom Tauchlehrer zu hören.
Kein Vergleich zu den Erwartungen
Meter für Meter geht es tiefer in diese ganz andere Welt. Sie haben sich vorab Bilder und Videos davon angesehen, aber das war in keinster Weise ein Vergleich zu dem, was Sie hier nun live erwartet. Natürlich haben Sie als Kind mal geschnorchelt und dabei vielleicht zwei Meter hinabgeblickt; mit Glück dabei ein paar Fischlein umherschwimmen gesehen. Wenn Sie nur geahnt hätten, was irgendwann, viel tiefer, noch auf Sie zukommen würde!
Ein fetter Hecht, der direkt in Ihre Richtung schwimmt, zum Beispiel. Und dort rechts die beiden bunten Flussbarsche! Spontan bedauern Sie, Ihre Kamera nicht parat zu haben, um diesen Augenblick im Foto festzuhalten, doch schon wird Ihre Aufmerksamkeit auf die sich im Wasser hin und her bewegenden Pflanzen gerichtet. Ihr Tauchlehrer hatte im Theorieunterricht gesagt, dass deren Vorhandensein und ihre Vielfalt ein Zeichen für die gute Wasserqualität seien. Die Theorie ist die eine Sache, aber die Realität haut sie fast um. Nur gut, dass Sie in der Gruppe hier unten sind und sich nachher über das Erlebte austauschen können!
„Immer wieder anders – immer spannend“
„Genau DAS erleben wir immer wieder mit unseren Schülern“, erzählt Tauchlehrer Matthias Richter. Als Inhaber der Tauchschule Sauerland ist er hier an vier Stand-, nein Tauchorten tätig. Sein eigenes erstes Taucherlebnis liegt bereits rund 40 Jahre zurück, aber er kann sich noch gut an die damaligen Emotionen erinnern. „Diese Faszination hört niemals auf“, verrät er. „Jeder Tauchgang, egal ob irgendwo in den Seen und Meeren der Welt oder hier zuhause in den bekannten Gewässern, ist immer wieder anders, daher bleibt es spannend.“
Eine Welt in Blau und Grün
Richter schmunzelt, wenn er über Menschen berichtet, die seine Leidenschaft nicht verstehen können und ihn beim Blick von oben auf den Sorpesee fragen, was er „in dieser Plürre“ denn wolle. Klar, hier hatten vor rund 100 Jahren ein paar Häuser gestanden, aber die wurden noch vor der ersten Flutung abgerissen. Versunkene Schiffe mit Piratenschätzen – ebenfalls Fehlanzeige! „All das braucht man nicht, wenn man erfüllt wird vom Farbenrausch. Das von der Oberfläche eindringende Licht verzaubert das Wasser in eine Welt in Blau und Grün. Die große Vielfalt an Lebewesen, die dort unten anzutreffen sind, ist bemerkenswert. Hechte, Seeforellen, Aale, Krebse, Rotaugen, Süßwassergarnelen und noch vieles mehr sind dort unten zu beobachten. Wer Glück hat, begegnet sogar den wenigen, im See lebenden Wasserschildkröten, oder man findet sich mitten in einem Schwarm aus Jungfischen wieder. Und live dabei zu sein, wenn in der Dämmerung die großen Barsche Jagd auf kleinere Fische machen – das sind immer wieder sehr beeindruckende Erlebnisse.“
Sommer- und Wintertauchplatz
Zwei ganz unterschiedliche Tauchgebiete befinden sich an der westlichen Seite des Sorpesees: In einer rund 27 Meter tiefen, durch Bojen abgegrenzte Bucht werden die Taucher für die Dauer der Sommermonate vor Booten und Surfern geschützt. Wintertags wird das Areal im Bereich eines alten Steinbruches zum Tauchen freigegeben. Es gilt als einer der schönsten Tauchplätze in Deutschland und ist mit seinen 36 Metern Tiefe zum Eldorado für Taucher aus Nah und Fern geworden.
Schwerelos und unbekümmert dahinschweben
Das eigentliche Highlight aber, das mit dem Tauchen verbunden ist, kommt auf all das Genannte noch obendrauf: „Die Schwerelosigkeit! Nirgends sonst auf der Welt kann man Vergleichbares erleben wie im Wasser“, schwärmt Matthias Richter. „Sich ohne Erdanziehungskraft in alle Richtungen bewegen, sich treiben lassen, keine Widerstände überwinden müssen … nach diesem Gefühl wird man süchtig“, weiß er. Der Spruch vom Wohlfühlen wie ein Fisch im Wasser kommt einem in den Sinn. „Genau“, so Richter, „unten im Wasser wird man leicht und beweglich. Gesundheitliche Beeinträchtigungen, wie beispielsweise Gelenkschmerzen, sind wie weggeweht. Und selbst der größte Alltagsstress verblasst im schwerelosen Zustand innerhalb kurzer Zeit.“
Wenn Sie nun, liebe Leser, nach Ihrem ersten Tauchgang wieder an Land kommen, werden Sie vermutlich aus dem Erzählen nicht mehr herauskommen. Vollgepumpt mit Adrenalin werden Sie noch tagelang an Ihr wunderbares Erlebnis denken und auf den nächsten Tauchgang hinfiebern. Die Frage „warum hab ich das nicht schon viel früher angefangen“ stellt sich fast jeder Anfänger, weiß Richter. „Das Gute ist“, so der Tauchlehrer, „dass es für diese Sportart kaum ein Höchstalter gibt. Wer sich wohlfühlt und die Regeln einhält, darf sein Hobby Tauchen lange ausüben, Adrenalinschub und Herzklopfen inklusive!“