Von der Angst zurück ins Leben
Während meiner aktuellen Zeit im Hochsauerland sehe ich die Region im Vergleich zu meinem Weggang vor zwölf Jahren mit völlig neuen Augen. Damals war ich 19 Jahre jung, hatte mein Abitur in der Tasche und stand vor der gewaltigen Frage, wie ich den Rest meines Lebens beruflich gestalten möchte. Eine Entscheidung von großer Tragweite, da sie den Leitfaden bildet, dem ein Leben lang gefolgt werden soll, ohne Lücken oder nennenswerte Abweichungen im Lebenslauf. Doch dieser rote Faden existiert bei mir schon lange nicht mehr und eine Lücke ist auch entstanden.
Mein Leben steht Kopf
Diese Lücke hat ihren Ursprung in einem Unfall, der mein Leben etwas auf den Kopf stellte. Um für fünf Tage vor Beginn einer stressigen Arbeitsphase abschalten zu können, begab ich mich nach Griechenland, wo ich mit einem Freund auf dem Roller die Insel Paros erkundete. Unglücklicherweise übersah uns ein Motorradfahrer bei seinem Überholmanöver.
Einen Tag später fand ich mich im Krankenhaus wieder. Ohne Erinnerung an die letzten drei Tage, aber mit Schrammen und Prellungen am gesamten Körper. Abgesehen von einer Gehirnerschütterung hatte ich den Unfall doch erstaunlich gut überstanden. So kehrte ich in die Schweiz zurück, wo ich zu dieser Zeit lebte.
Aus den geplanten fünf Tagen in Griechenland wurden allerdings plötzlich fünf Wochen, dann doch fünf Monate und nun schließlich fünf Jahre. Meine Arbeit in der Schweiz konnte ich nicht wiederaufnehmen. Ich litt unter Panikattacken, konnte nicht in Gesellschaft sein, mich nicht konzentrieren oder auf einen Bildschirm schauen. Noch bevor uns Covid in den Lockdown schickte, verbrachte ich die Tage allein in meiner Wohnung.
Die Ärzte erklärten mir, dass ich diesen Zustand akzeptieren solle, da es nun mein neues „normal“ sei. Doch heute sieht mein Leben ganz anders aus. Ich habe keinen festen Wohnsitz mehr, lebe viel mit mir unbekannten Personen auf Segelbooten und bereise damit Orte wie Island und die Arktis.
Abenteuer auf dem Segelboot
Bei meinem letzten Abenteuer führte mich meine Reise nach Spitzbergen, wo wir von einem Eisbären verfolgt wurden, als der Motor unseres Beiboots ausfiel. Während der Eisbär zu uns schwamm, paddelten wir so schnell wie möglich zu unserem Segelboot zurück, um uns vor ihm in Sicherheit zu bringen.
Kurz vor dem besagten Unfall in Griechenland, durfte ich das Segeln für mich entdecken. Es hatte mich nie gereizt, bis ich auf einen Segeltörn in Kroatien ging und mich ein absolutes Gefühl von Authentizität überkam. Mit meiner Kamera in der Hand auf einem Segelboot zu leben, mit dem ich nicht nur die Natur erkunden konnte, sondern so eng mit ihr zusammenlebte, löste ein Gefühl in mir aus, das ich bisher nicht kannte. Auf einmal war klar, dass ich mein Leben umstellen möchte, mir ein Segelboot kaufen und eine Arbeit aufbauen, die ich von dort aus durchführen kann.
Halten Ängste mich auf?
Ich sah mich nie als Selbständige, konnte nicht Segeln und hatte Angst im Meer zu schwimmen. Doch dieses Gefühl von absoluter Freiheit und Authentizität war stärker als meine Angst. Schritt für Schritt stellte ich mich diesen Ängsten, Unsicherheiten oder Glaubenssätzen und bekam langsam die Person, die all diese Ziele erreichen könnte.
Das Bild von mir auf meinem eigenen Segelboot war mein Antrieb, die Unfallfolgen zu überwinden. Es war eine schwierige Zeit, in der mein Vater mir im Sauerland teilweise wochenlang alle drei Stunden Essen vorbereiten musste, nur um mein Energieniveau ausreichend hochzuhalten, um die Reize der Außenwelt zu verarbeiten. Die Ruhe, die wir hier im Hochsauerland finden können, bot mir in meinen schwierigsten Momenten einen sicheren Rückzugsort, den ich in der Schweiz nicht hatte.
Durch die Schwierigkeiten dieser Zeit wurde mir bewusst, dass unsere größte Angst nicht der Tod ist. Vielmehr ist es die Zeit bis zum Tod, die Angst davor, diese Zeit nicht mit Momenten zu füllen, die uns erfüllen, uns lebendig fühlen lassen. Diese Angst lähmt uns oft. Daher hatte ich genügend Gründe zu sagen, dass der Traum vom Segeln für mich nicht möglich sei und ich mein bisheriges Leben weiterführen sollte.
Doch der Moment, in dem ich von dem Motorrad in Griechenland erfasst wurde, machte mir bewusst, dass ich nicht zulassen wollte, dass meine Angst mein Leben bestimmt, sondern stattdessen das Beste aus dieser Zeit machen und “all in” gehen wollte.
Das neue „Normal“
Heute nutze ich meine Zeit hier im Sauerland, um meine Selbständigkeit endlich aufzubauen. Es hat fünf Jahre gedauert, um von den Folgen des Unfalls zu genesen und die Person zu werden, die all das wagt, aber nun bin ich bereit.
Ich bin bereit, andere Menschen auf spielerische Weise in einem abenteuerlichen Umfeld wieder mit sich selbst in Kontakt zu bringen. Denn das Leben soll Freude bereiten, vor allem dann, wenn wir mutig sind und uns unseren Ängsten stellen. So entwickle ich nun Abenteuer sowohl in der äußeren als auch in der inneren Welt.
Wir unternehmen abenteuerliche Segelreisen in der Arktis, bei denen wir wortwörtlich, in einer sicheren Umgebung, in kaltes Wasser springen. Und mithilfe von „Breathwork Journeys* erreichen wir auch zuhause auf der inneren Ebene einen außergewöhnlichen Zustand der Wahrnehmung. Dieser Zustand ermöglicht es uns, Blockaden zu lösen, denen wir uns nicht einmal bewusst waren.
Die Breathwork Technik lerne ich von Owaken Breathwork, einem voll tätowierten Paar, das absolut authentisch mit Boxern und Rappern in diese tiefen Ebenen geht, um Flugängste loszulassen oder sich auf einen wichtigen Kampf vorzubereiten. Die Authentizität ist mir wichtig, denn die Arbeit an uns selbst soll uns schließlich helfen in dieser Welt besser zurecht zu kommen und ihr nicht zu entfliehen.
Mein Umfeld, so wie das Sauerland, betrachte ich nun aus den Augen einer Abenteurerin. Die sich immer neuen Erlebnissen stellt und andere mitnimmt auf Reisen in neue Regionen und zu sich selbst.
*) Breathwork Journey – „Breathwork“ ist ein Begriff für all die Momente, in denen du bewusst und kontrolliert atmest, um deinen Körper, deine Psyche oder deine Emotionen positiv dadurch zu beeinflussen.