Tourismus im Sauerland steht vor großen Herausforderungen

WOLL-Interview mit den Tourismus-Verantwortlichen aus Medebach, Schmallenberg und Winterberg/Hallenberg

2019, dem letzten normalen Tourismusjahr, verzeichnete das Sauerland in der offiziellen Statistik (Zählung der Betriebe ab zehn Betten) insgesamt 6.759.531 Übernachtungen. In den drei bedeutendsten Tourismusregionen des Sauerlandes, Medebach, Schmallenberg und Winterberg/Hallenberg, wurden allein 2.781.989 Übernachtungen verzeichnet, das sind 41 % aller Übernachtungen im gesamten Sauerland und 68 % aller Übernachtungen im Hochsauerlandkreis. Für das Jahr 2020 lagen die Zahlen rund ein Drittel unter den Werten von 2019. Im Anbetracht der Tatsache, dass fast ein halbes Jahr Lockdown war, müsste man hier unbedingt die Übernachtungszahlen bis zum Jahresende 21 bedenken, denn die Sommer- und Herbstmonate waren überwiegend gut! WOLL hat mit Michael Aufmhof (Medebach), Katja Lutter (Schmallenberg) und Christian Klose (Winterberg) über die Lage der Tourismusbranche auf den Höhen des Sauerlandes gesprochen.

WOLL: Das Sauerland ist groß. Je nach Region punktet es mit unterschiedlichen Besonderheiten und Alleinstellungsmerkmalen. Was haben Schmallenberg, Winterberg/Hallenberg und Medebach gemeinsam?
Katja Lutter:
Natur und Landschaft. Diese besondere Weite, die sich an vielen Stellen zeigt, die grandiosen Ausblicke.
Michael Aufmhof: Über den Zusammenschluss der Sauerland-Wanderdörfer zum Beispiel können wir uns gemeinschaftlich vermarkten. Von der topographischen Lage ist unser Wandernetz sehr reizvoll und in allen drei Kommunen und Regionen sehr gut ausgebaut.
Christian Klose: Das Thema Wandern ist sicherlich etwas, wovon wir touristisch alle drei profitieren, weil der Markt
sich einfach dahin bewegt.
Katja Lutter: Der Gast findet überall ähnliche oder gleich gute Bedingungen zum Wandern und Radfahren vor. Zudem sind unsere Kommunen topographisch höhergelegen. Das ermöglicht es gegenüber anderen Gegenden im Sauerland, den Berg hinab und in die Weite zu schauen. Das ist
schon etwas anderes.

WOLL: Worin unterscheiden sich die drei Destinationen? Welche Personenkreise haben Sie vor Augen, wenn Sie an Ihre Hauptzielgruppe denken?
Christian Klose:
In Winterberg sind klar Familien und Best Ager im Fokus. Sowohl 60- als auch 70-Jährige, die noch topfit sind und aktiv unterwegs sein wollen. Darauf setzen wir. Und natürlich auf Aktiv-Touristen aller Art, unabhängig vom Alter.
Katja Lutter: Da sind wir uns am Ende vielleicht zu ähnlich, als dass man die Zielgruppen aktiv unterscheiden könnte. Insofern: Radfahrer, Wanderer, die das suchen, was wir bieten, nämlich Ruhe, Erholung. Aber manche möchten auch ein sportliches Angebot. Dann sind sie in Winterberg eventuell besser bedient, wenn sie zum Beispiel einen Trail suchen.
Michael Aufmhof: Die Zielgruppen unterscheiden sich nicht wesentlich, wobei durch die Struktur, die wir in
Medebach haben, ich sage jetzt bewusst u.a. durch NRWs größter Einzeldestination, den Center Parcs Park Hochsauerland, liegt der Fokus klar auf Familien. Und hier besonders auf Familien mit Kindern bis zwölf Jahre.

WOLL: Von Niederländern und Belgiern hört man, dass, wenn man nach Winterberg/Hallenberg geht, es eher sportiv ist, und wenn man nach Schmallenberg geht, man dort mehr individuelle Gäste kennenlernt. Trifft das zu?
Katja Lutter:
Schmallenberg und Eslohe haben, allein durch die Fläche, eine andere touristische Infrastruktur. Die Dichte an Liftanlagen beispielsweise, haben wir nicht. Die Gäste verteilen sich auf zahlreiche Ortsteile und genießen Platz und Weite.
Christian Klose: Die Wahrnehmung hat viel mit den Bildern zu tun, mit denen wir nach außen gehen und uns promoten. Und das machen wir natürlich entsprechend dem Image und den Schwerpunkten in unserer Tourismuswerbung.

WOLL: Winterberg ist von den Sauerländer Urlaubsorten wohl am bekanntesten. Lässt sich dieser Faktor in einen Übernachtungsbonus umrechnen? Ist die Bekanntheit für den touristischen Erfolg von großer Bedeutung? Macht es ihn einfacher oder reicht in digitalen Zeiten ein gutes Produkt, um am Markt zu punkten?
Michael Aufmhof:
Das ist ein Zusammenspiel aus vielem. Wir profitieren sicherlich auch davon, dass Winterberg eine Marke ist, die über viele Jahre aufgebaut wurde. Ohne gute Produkte läuft das aber am Ende des Tages auch nicht, denn schlussendlich braucht es immer einen Anlass, um überhaupt auf die Region aufmerksam zu werden und in die Region zu kommen.
Katja Lutter: Das ist stark von den Zielgruppen abhängig. Ich z.B. bin nicht sportaffin. Wenn in den Sportnachrichten berichtet wird, dass jemand in Berchdesgaden von der Schanze gehüpft ist, beeinflusst das nicht meine Wahl für einen Urlaubsort.
Christian Klose: Ich halte das für eine spannende Frage. Es ist, wie Katja sagt, zielgruppenabhängig. Es ist auch die
Frage, was ich will. Also beides bedingt sich gegeneinander. Am Ende ist es meiner Meinung nach immer das Produkt, das einfach greift.

WOLL: Wer aus dem Rheinland oder Münsterland ins Hochsauerland fährt, unterscheidet nicht zwischen Medebach, Schmallenberg und Winterberg/Hallenberg. Er nimmt diesen Teil des Sauerlandes eher als Ganzes wahr. Wie wird in den einzelnen Tourismusregionen gesehen, dass man hier etwas Gemeinsames vermarktet?
Katja Lutter:
Das wird durch den Sauerland-Tourismus e.V. ein Stück weit abgedeckt, in dem wir ja ein Gesamtmarketing für das Sauerland machen. Der Sauerland-Tourismus ist für uns ein wichtiger Kanal, um eigene Geschichten zu platzieren.
Michael Aufmhof: Es sind insbesondere die Kooperationen unter dem Dach des SauerlandTourismus, sowie weitere Produktzusammenschlüsse. Das heißt, die gemeinsame Arbeit bei den Sauerland-Wanderdörfern, bei der Sauerland-Radwelt oder auch der GeoRadroute, beim Rothaarsteig, der Wintersportarena und vielem mehr. Hier kann ich gezielt auch mein Produkt vermarkten.

WOLL: Welches Tourismus-Modell ist das zukunftsträchtigste? Winterberg/Hallenberg, Schmallenberg oder Medebach?
Christian Klose:
Eigentlich wurde es eben schon gesagt – das Produkt muss stimmen. Und alle schauen auf die Qualität, angefangen vom Gastgeber, der die wichtigste Quelle von Qualität in Richtung Gast ist, bis zu den Wanderwegen. Auch die müssen natürlich in Ordnung sein. Und es muss attraktive Freizeitziele geben. Ebenso wichtig ist das Empfehlungsmarketing, das sich überall wie ein roter Faden durchzieht. Wenn das nicht stimmt, geht es schief. Den Fokus auf das Produkt zu legen, ist für die Zukunft richtungweisend.
Katja Lutter: Wichtig ist, dass wir das Angebot und die Qualität, die wir haben, halten. Das bedeutet, dass auch unter der Woche das gastronomische Angebot und die Qualität der Einkehr stimmen. Da braucht man das Rad nicht neu zu erfinden, denn das hat sich bewährt.
Michael Aufmhof: Man muss sehen, mit welchen Vorstellungen die Gäste kommen, beziehungsweise auch, welche Aufenthaltsdauer relevant ist. In der Regel handelt es sich um Kurzurlaube mit drei, vier oder fünf Tagen in der Woche, nach dem Motto: schnell mal raus.

WOLL: Stichwort Nachhaltigkeit. Es gibt Hotelkooperationen, die sich verpflichtet haben, binnen der nächsten drei Jahre dafür zu sorgen, dass sie klimaneutral werden. Winterberg als Ort möchte bis 2035 klimaneutral werden. Welche Bemühungen gibt es konkret in den Betrieben, um das Thema Nachhaltigkeit zu leben?
Michael Aufmhof:
Ich glaube, dass dieses Thema in den Kommunen definitiv angekommen ist. Auch interkommunal, wenn ich an Naturschutz-Großprojekte denke, neben den ganzen Landschaftsschutzgebieten, die wir schon haben. Ob wir am Ende alle Gastgeber mit einem grünen Daumen auszeichnen können, lassen wir mal dahingestellt. Das ist meines Erachtens auch nicht notwendig. Eine gewisse Differenzierung muss am Ende des Tages auch bleiben. Aber gelebt wird es definitiv.
Christian Klose: Es ist total schwer und total groß, Lippenbekenntnisse hin oder her. Es ist im Moment tatsächlich so, dass man das gar nicht konkretisieren kann. Es gibt einzelne Betriebe, die schon ausgezeichnet sind. Aber Nachhaltigkeit kostet auch erstmal Geld. Die Betriebe so umzustellen, dass sie am Ende klimaneutral sind, ist nicht
so einfach. Es gibt hier viel zu tun.
Katja Lutter: Viele Gastronomen haben die Corona-Pandemie für Modernisierungen genutzt. Viele tun auch schon sehr viel in Sachen Nachhaltigkeit und reden gar nicht darüber. In der ganzen Kinderlandgruppe zum Beispiel wird seit Jahren Nachhaltigkeit gelebt, in der Kommunikation wurde das aber nie umfassend zum Thema gemacht.

WOLL: Es ist sicherlich wichtig, dass das Thema authentisch kommuniziert wird. In Deutschland wird hierbei über Zertifizierung und Zertifikate gesprochen. Niederländer sagen eher: Wichtig ist die Atmosphäre, wie ein Gastgeber denkt.
Michael Aufmhof:
Das ist tatsächlich das Entscheidende. Wichtig ist, was beim Gast direkt ins Auge sticht.Wenn
z.B. das Warmwasser nachhaltig aufbereitet wird, ist das für die Wahrnehmung durch den Gast vor Ort und sein gutes Gefühl erstmal zweitrangig. Wir haben beim Sauerland-Tourismus darüber diskutiert, was an Zertifizierungsmöglichkeiten, Labeln, Plaketten usw. im Umlauf ist. Da verliert man den Überblick, das gilt auch für den Gast.
Christian Klose: Genau, Nachhaltigkeit muss kommuniziert, aber gleichzeitig auch verstanden werden. Das beste
Siegel nützt uns nichts, wenn es am Ende keiner kennt. Das sehe ich ganz genauso. Das ist ein Thema, woran wir arbeiten müssen.
Katja Lutter: Natürlich, das ist auf jeden Fall eine Aufgabe, die wir unterstützen. Hier müssen wir vielleicht auch Beratungsmöglichkeiten für Betriebe finden. Das sind große Herausforderungen, die sich da ergeben.
Christian Klose: Das Thema ist aufgrund von Corona ein bisschen in den Hintergrund gerückt. Das ist schade. Wir müssten eigentlich alle damit beschäftigt sein. Wie kriegen wir Nachhaltigkeit wieder angekurbelt, und vor allen Dingen: Wie kriegen wir erstmal wieder Freude, Leben, Emotionen, Glücklichsein in die Betriebe rein?

WOLL: Unsere wichtige Abschlussfrage: Sie bekommen Gelegenheit, am schönsten Ort in einer der beiden anderen Kommunen Platz zu nehmen. Wo wäre das?
Christian Klose:
Das ist eine interessante Frage, aber auch ein bisschen gemein, weil ich noch nicht so lange in der Region bin. Ich schiebe den Ball mal an die Kollegen.
Katja Luther: In Winterberg wäre es eine Tasse Kaffee in einem der Betriebe am Marktplatz. Das finde ich immer
sehr nett. Und in Medebach habe ich dieses tolle Outdoor-Angebot am Schlossberg neu entdeckt. Diese OutdoorEscape-Spiel für Erwachsene. Das haben wir letztes Jahr ausprobiert und es war total schön. Das kann ich jedem nur empfehlen.
Michael Aufmhof: Im Winter nutzen wir auch gerne die Infrastruktur in Winterberg. Meine beiden Kinder konnten beide über die Grundschule die Rodelbahn nutzen und Erfahrungen sammeln. Solche Angebote finde ich klasse.

WOLL: Wir bedanken uns ganz herzlich für das ausgiebige Gespräch und wünschen den drei Destinationen ein gutes Urlaubsjahr 2022.