Tausche Ballkleid gegen Richterrobe

Quelle: Schützenverein Medebach

Jessica Lehwark ist Richterin in Korbach

Schützenkönigin wird man relativ schnell. Manchmal, wie im Fall der Medebacher Schützenkönigin Jessica Lehwark, sogar schneller als einem lieb ist. Während ihr Freund schon unter der Vogelstange stand, saß sie noch ahnungslos beim Frühstück mit Familie und Freunden. Schützenkönigin? Das hatte Jessica ganz sicher nicht auf dem Plan. Im Gegenteil: Bis sie unter der Vogelstange ankam, wäre ihr das nicht im Traum eingefallen! Zweifel gab es dann trotzdem nicht, als Matthias Schreiber schließlich den Vogel runterholte. So wurde Jessica Lehwark, die eigentlich aus Dreislar kommt, 2019 zur Schützenkönigin in Medebach.
Und blieb es bis heute.

Richterin hingegen wird man nicht so schnell. Auch davon kann Jessica ein Lied singen, denn nun ist sie nicht nur Schützenkönigin, sondern auch Richterin. Seit August 2021 arbeitet sie am Amtsgericht Korbach. Mit dem Richteramt geliebäugelt hatte sie schon länger, sie wollte aber die Heimat dafür nicht verlassen. „Dreislar ist mein Herzensort“, sagt sie, obwohl sie durch ihren Freund und ihre Freundinnen eigentlich mehr Bezug zur Kernstadt Medebach hat und auch dort wohnt. „Aber Dreislar ist einfach mein Zuhause.“ Die Region verlassen? Das kam für Jessica nicht infrage, was sie bezüglich des Richteramts vor Herausforderungen stellte. Denn man bewirbt sich nicht auf eine bestimmte Stelle, sondern ganz allgemein beim zuständigen Bundesland.

Doch als Jessica Lehwark hörte, dass in Korbach Richter gesucht werden, ergriff sie die Chance. Dieses Mal lag das Schicksal nicht unter der Vogelstange, sondern in ihren eigenen Händen – von der Bewerbung beim Land Hessen über die Vorstellung beim Justizministerium in Wiesbaden bis hin zum Gespräch mit dem Staatssekretär.

Quelle: Jessica Lehwark

Das Klischee vom Richterhammer

Das Bild vom Richter, das vor allem von US-amerikanischen Filmen und Serien gezeichnet wird, lässt uns an ältere Herren in dunklen Roben denken, die mit einem Richterhammer für Ruhe im Saal sorgen. Wie viel ist dran an dem Klischee? Nicht viel, wie Jessica erzählt. „Wenn ich mir meine Kollegen im Amtsgericht Korbach anschaue, würde ich sagen wir sind tendenziell eher jung.“ Ältere Kollegen gibt es genauso wie Jüngere, die bereits mit Ende 20 in den Beruf einsteigen. Eine Richterrobe hat die 30-Jährige natürlich, diese muss sie auch tragen, wenn sie eine Verhandlung führt. Und was ist mit dem ikonischen Richterhammer? „Das ist wahrscheinlich das größte Vorurteil“, sagt Jessica lachend. Als sie die Zusage für das Richteramt erhielt, bekam sie sogar zwei Hammer geschenkt – nutzen darf sie die im Gerichtssaal allerdings nicht

Nur Gesetz und Gewissen unterworfen

Den Wunsch, Jura zu studieren, hatte Jessica schon lange. Scherzhaft sagte sie schon zu Schulzeiten, dass sie sich irgendwann um Nachbarschaftsstreitigkeiten kümmern würde, bei denen es um Gartenzwerge geht. An der Richtertätigkeit reizt Jessica besonders, dass sie unabhängig ist und ihre Entscheidungen nur dem Gesetz und ihrem Gewissen unterliegen. Die frühere Tätigkeit als Rechtsanwältin hatte ihr zwar auch Spaß gemacht, zum Teil fand sie es aber schwierig, lediglich die einseitigen Interessen von Mandanten zu vertreten. Das Richterinnenleben besteht aber natürlich nicht nur aus Verhandlungen. Die meiste Zeit ihres Arbeitsalltags verbringt Jessica Lehwark recht unspektakulär in ihrem Büro, wälzt Akten, schreibt Urteile und Beschlüsse, trifft Vorbereitungen oder holt Gutachten ein. Eine Gartenzwerg-Streitigkeit hatte sie bis jetzt aber noch nicht auf dem Tisch.

„Man wird überhäuft mit Aufmerksamkeit.“

In einer Sache sind sich der Job als Richterin und das Regieren als Schützenkönigin recht ähnlich: Viele Augen sind auf Jessica Lehwark gerichtet. Als Schützenkönigin fand sie das zunächst befremdlich: „Wie viel Interesse die Leute an einem haben, das hätte ich niemals gedacht.“ Sie selbst hat sich zwar auch gerne den Schützenzug angeschaut und in der Halle mitgefeiert – ein gesteigertes Interesse am Königspaar war aber nie da. „Man wird so überhäuft mit Aufmerksamkeit, aber auch Freundlichkeit, das habe ich nicht erwartet“, erklärt sie. Auch im Gerichtssaal richtet sich die Aufmerksamkeit auf sie: In den Verhandlungen, die sie führt, ist sie Einzelrichterin. „Alle schauen einen an und erwarten, dass man die Verhandlung leitet, dass man die passenden Antworten geben kann, das ist auch aufregend“, resümiert sie ihren ersten zwei Monate im Amt.

Viel Verantwortung und Demut

Ein langes Studium und das Referendariat haben Jessica Lehwark darauf vorbereitet, Richterin zu werden. Diese Vorbereitung hatte sie für ihr Amt als Schützenkönigin nicht. Umso dankbarer war sie für die Hilfe von Freunden und Familie. Heute erinnert Jessica sich an anstrengende, aber auch schöne Schützenfesttage zurück. Dass sie gemeinsam mit Matthias Schreiber nun die dritte Amtszeit als Schützenkönigspaar bestreitet, sieht sie mit gemischten Gefühlen. „Der Anlass, warum das so ist, ist ohne Frage doof. Andererseits sind wir auch irgendwie stolz“, erklärt sie und fügt lachend hinzu: „Irgendwann würden wir es aber auch gerne wieder abgeben.“ Ganz so lange ist sie als Richterin noch nicht im Amt, trotzdem zieht Jessica ein erstes Fazit: „Man trägt sehr viel Verantwortung, dessen bin ich mir auch bewusst. Ich werde zum Teil sehr demütig vor dem, was ich da tun darf. Dieses Gefühl hat mich tatsächlich sehr überrascht.“ Bereut hat sie die langwierige Entscheidung, Richterin zu werden nicht – genauso wenig, wie die relativ spontane Entscheidung, Schützenkönigin zu werden.