Student sein vor über 50 Jahren

Quelle: privat

Hagener Studentenverbindung in Sauerländer Hand

Wer heute in Rente geht oder schon seit einigen Jahren sein aktives Berufsleben beendet hat, erinnert sich vielleicht noch an die Bildungsreform zu Beginn der 70er Jahre. Anfang August 1971 wurde mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Errichtung von Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen der Weg für diese Hochschulart geebnet. Rund ein Viertel (42.501) der 164.032 Studierenden war im Wintersemester 1971/72 an einer der 19 neu gegründeten Fachhochschulen in NRW eingeschrieben. Eine dieser Fachhochschulen gab es in Hagen, der Stadt am Rande des Ruhrgebietes, die sich damals gerne als „Tor zum Sauerland“ bezeichnete.

Student sein

Ende September 1972. Zwei junge Burschen aus den Höhengegenden des Kurkölnischen Sauerlandes, genauer gesagt aus dem Gebiet der heutigen Stadt Schmallenberg, haben sich in Hagen eingefunden. Beide wollen am Montag, dem 2. Oktober ihr Studium an der Fachhochschule beginnen. Der eine im Fach Elektrotechnik, der andere im neu geschaffenen Fachbereich Wirtschaft. Hubertus hat schon sein obligatorisches Studentenzimmer im Haus seiner zukünftigen Schwiegereltern in Hagen-Wehringhausen bezogen. Hermann der angehende Betriebswirtschaftsstudent muss sich noch ein passendes Zimmer besorgen.

Studentenbude suchen

Morgens um 6:00 Uhr am 30. September stehen sie vor dem Redaktionsgebäude der Westfalenpost in einer Reihe mit zahlreichen anderen, vorwiegend jungen Menschen. Sie wollen eine der ersten dicken Samstagszeitungen mit dem Immobilienteil erhaschen. Dort stehen die freien Zimmer und Wohnungen drin. Und da Hubertus einen ansehnlichen Borgward sein Eigen nennt, besteht der Plan darin, schnell ein passendes Angebot auszuwählen und rasch mit dem Auto dorthin zu fahren und das Zimmer oder die Wohnung anzumieten. Ein passendes Angebot, einige Kilometer entfernt von der Stadtmitte, in der Agnes-Miegel-Straße, in der Nähe der Brandt-Zwieback-Werke, scheint zu passen. Rein ins Auto, quer durch Hagen. 7:30 Uhr geschellt. Mit den Hausbesitzern, dessen Sohn irgendwo in Deutschland studiert, ist sich Hermann schnell einig. Und schon war die Studentenbude mit Bad im Hagener Westen für einige Monate Quartier für den jungen Studenten aus dem Sauerland. Das Studium konnte pünktlich am Montag, 2. Oktober 1972 in Hagen beginnen.

Studentenverbindung genau richtig für Sauerländer

In den ersten Tagen in ungewohnter Umgebung macht sich der Betriebswirtschaftsstudent aus dem Kurkölnischen Sauerland auf die Suche nach den Dingen, die für ein ordentliches Studium ebenso wichtig sind, wie die Vorlesungen, Seminare und sonstigen Lehrveranstaltungen. Neugierig an einem Infokasten der Studentenverbindung TV Schlaraffia im BDIC stehend, spricht ihn von hinten ein eloquenter Student, der schon länger hier zu sein scheint, freundlich an. „Am Donnerstagabend treffen wir uns in der Gaststätte Wartburg. Da bist Du herzlich willkommen und kannst sehen, wie es in einer Studentenverbindung zugeht. Für Erstsemester gibt es auf alle Fälle Freibier.“ – Freibier war natürlich für den jungen Sauerländer ein überzeugender Grund, sich am Donnerstagabend auf den Weg in die Gaststätte zu machen. Denn das war eine der wichtigen Grundlagen für das Überleben in den Höhendörfern des Sauerlandes: Niemals ohne triftigen Grund einer Veranstaltung mit Freibier fernbleiben.

Quelle: WOLL Magazin

Studentenleben vor 50 Jahren

Von da an nahm das Studentenleben von Hermann, der als „Pöllzich“ in die Studentenverbindung aufgenommen wurde, seinen Lauf. Hubertus kam schon eine Woche später dazu, nahm den Bierspitz „Gogi“ an, den er zwei Jahre später mit der Doktorwürde adelte. Mittendrin war schon der Sauerländer Willi Donner al. Blitzus, der sich mit der zunehmenden Anzahl an Sauerländern von Woche zu Woche wohler bei der TV Schlaraffia fühlte. Die Sauerländer Spritty, Eumel und Kreck fanden den Weg zur Schlaraffia und noch einige weitere aus allen Gegenden des Hochsauerlandkreises und des Kreises Olpe. Dazu zählten auch noch „John“ aus der Eifel und „Olymp“ aus dem Lipperland, die sich bei den Hochsauerländern wohlfühlten. 1974 konnten sie in verantwortlichen Positionen in der Studentenverbindung das 75-jährige der 1899 gegründeten Studentenverbindung Schlaraffia, die sich inzwischen als TWV (Technisch-Wissenschaftliche Verbindung) bezeichnete, feiern.

Schützenfest auch für Studenten

Viele Ereignisse der TV Schlaraffia in den Siebziger Jahren sind eng mit den Sauerländern aus dem Hochsauerland verbunden. Zwei Besuche der Schlaraffen auf dem Schützenfest in Kückelheim, dem jeweils ersten Schützenfest des Jahres im Sauerland (1973 und 1974), werden wohl immer in Erinnerung bleiben. Nicht nur hier konnten die Jungs aus dem waldreichen Teil des Sauerland den Beweis für ihre bodenständign und nachhaltige Lebensart unter Beweis stellen.

Nun ist es schon mehr als fünfzig Jahre her, dass zahlreiche Sauerländer aus dem Kurkölnischen Sauerland zu den Schlaraffen in Hagen gestoßen sind. Blitzus, John und Spritty sind schon vor einigen Jahren verstorben. Ein Kern der ehemaligen Sauerländer Studenten lebt heute in der Stadt Schmallenberg (Dr. Gogi, Eumel, Kreck und der Schreiber dieser Zeilen). Ende Juni treffen sie sich mit den übrigen Schlaraffen zum 125-jährigen Stiftungsfest der Studentenverbindung TWV Schlaraffia.

Burschenschaften – Landsmannschaften – Studentenverbindungen – Hagen
Eine gewisse Kenntnis der Deutschen Korporationsgeschichte wird vorausgesetzt, um die Gründung einer Studentenverbindung vor 125 Jahren in Hagen nachvollziehen zu können. Studentische Verbindungen, vor allem Burschenschaften, genossen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen guten Ruf. Sie hatten an den Universitäten eine außerordentliche Bedeutung. Burschenschaftler lebten für die Freiheit in jeder Beziehung, wobei die Freiheit für das Vaterland wichtiger war als die persönliche Freiheit im Sinne von Rousseau und der Französischen Revolution oder Schiller und die Freiheit des Geistes und der Wissenschaft. Deshalb auch der Wahlspruch der Burschenschaften: „Ehre – Freiheit – Vaterland“. Die lange Geschichte der Landsmannschaften war ebenso imponierend. Ihr Wahlspruch: „Ehre – Freundschaft – Vaterland“ entsprach der Grundeinstellung vieler Studenten. Gewerbeschulen und technische Schulen entwickelten sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts weiter zu Technischen Hochschulen und staatlichen Ingenieurschulen. Aus dem praktisch handwerklichen Maschinenbau wurde der wissenschaftliche Maschinenbau. 1878 wurde aus der Hagener Gewerbeschule die Königliche Gewerbeschule. Am 17. Mai 1894 wurde ein neues Schulgebäude mit sehr schöner Architektur am Vollmeufer bezogen und ab 1. Juli 1898 der Name in Königliche Höhere Maschinenbauschule geändert. Damit wurden auch die Studenten in ihrem Selbstverständnis beeinflusst und fühlten sich den Hochschul- und Universitätsstudenten ebenbürtig. Zu dieser Zeit war das von dem ehemaligen Corpsstudenten Otto von Bismarck geschaffene vereinigte Deutschland gerade mal knapp 30 Jahre alt. Die technische Entwicklung war rasant und Deutschland blühte. Die Studenten der Königlichen Höheren Maschinenbauschule in Hagen kamen vorwiegend aus dem Hagener Umland und wohnten am Studienort. Was lag also näher, als sich in, wie es damals hieß „Kränzchen“ oder „Stammtischen“ unter Freunden zusammenzuschließen? Und da lag es auch nahe, sich den Wahlspruch der Landsmannschaften zu eigen zu machen: „Ehre – Freundschaft – Vaterland“. Das wurde auch der Wahlspruch der TV Schlaraffia bei ihrer Gründung am 24. Juni 1899.