Nicht weit vom nördlichen Ende des Sorpesees entfernt liegt Stemel. Gastronomie und Geschäfte sucht man hier inzwischen vergeblich. Jedoch hat der Ortsteil von Sundern andere Vorzüge, die ihn zu einem besonders lebenswerten Ort machen. Das wissen auch die über 800 Stemeler, von denen die Hälfte erst in den letzten 30 Jahren hierhergezogen ist.
„Über Jahrzehnte war Stemel ein Dorf mit 400 bis 500 Einwohnern“, erzählt Hubert Wienecke, der schon seit 1978 in Stemel lebt. „In den letzten zwei bis drei Jahrzehnten ist das Dorf beinahe explosionsartig größer geworden.“ Die Ursache: Ein Baustopp in den 80er Jahren, da der Ort zu dieser Zeit Probleme hatte, seine Abwässer zu reinigen. Als das Problem Ende der 90er behoben war, durfte weiter gebaut werden. Schon im Vorfeld waren zwei Baugebiete ausgewiesen worden, auf denen nun nach und nach neue Häuser aus dem Boden schossen.
„Stemel hat einen anderen Ursprung als viele andere Dörfer im Sauerland“, weiß Wienecke. „Die meisten Dörfer im Sauerland sind landwirtschaftlich geprägt und dadurch langsam, aber stetig gewachsen. Dort gab es Bauernhöfe, die auch heute noch dort stehen und als solche genutzt werden.“ Mit Stemel verhält es sich etwas anders. „Bis 1812 die Preußen kamen, war Stemel eigentlich gar kein Dorf“, stellt Hubert Wienecke fest. Tatsächlich gab es bis dahin nur das Gut Stemel, das bereits 1286 das erste Mal erwähnt wurde. Daneben standen drei oder vier Häuser, die zum Gut gehörten und deren Bewohner auch dort beschäftigt waren. Die Preußen begannen nun, die Fläche rund um das Gut zu besiedeln. Die Straße, die heute den Namen „Zum Giebel“ trägt, wurde mit Häusern bestückt, sodass Stemel nach und nach zu einem kleinen Dorf heranwuchs. „Nun hatten die Menschen zwar ein paar Quadratmeter für sich selbst, aber leben konnte davon niemand“, erklärt er. 1860 kam der Gutsbesitzer schließlich jedoch auf die Idee, eine Papierfabrik zu eröffnen, in der die Bewohner Arbeit fanden. Stemel war von da an immer stark abhängig von der Industrie. Einen weiteren Zuwachs erlebte das Dorf, als für den Bau der Sorpetalsperre in der Zeit von 1928-1932 Mitarbeiter-Familien nach Stemel zogen. Und auch heute noch finden die Stemeler viele Arbeitsplätze direkt vor ihrer Haustür. „Außerdem führte das dazu, dass Stemel nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Industrie ein reiches Dorf war“, weiß Wienecke. „Da es trotzdem nicht so wuchs, wie andere Orte, nahmen Stemel viele nur als ein Dorf ‚zum Durchfahren‘ wahr.“
Lebenswertes Stemel
Den Gutshof gibt es auch heute noch. Umfunktioniert zu einem Wohnobjekt mit mehreren Wohnungen – wie so viele Gebäude in Stemel. Denn Stemel hat zum Leben sehr viel zu bieten. Neben der Grillhütte gibt es auch einen abwechslungsreichen Spielplatz mit großen Rasenflächen und einem Beachvolleyballfeld. „Egal, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit man hier vorbeikommt, irgendjemand ist immer hier“, so Wienecke. Natürlich gibt es auch eine Schützenhalle. Diese wurde bereits 1948 erbaut und nach und nach erweitert. In diesem Jahr feiert der Stemeler Schützenverein sein 100-jähriges Bestehen – sofern die derzeitige Situation es denn zulässt. Gegründet worden war er bereits 1876 als Gemütlichkeitsverein, 1920 wurde er dann in einen Schützenverein umgewandelt. „Die Schützenbruderschaft ist, wie in den meisten Dörfern, einer der tragenden Vereine“, stellt Wienecke fest. Aber die Schützen sind nicht der einzige Verein in Stemel: „Wir haben unter anderem den Männergesangverein, das Tambourcorps und einen Sportverein – außerdem eine gut funktionierende Caritas und Kirchengemeinde.“
Vor allem das Pfarrheim ist ein wichtiger Ort für die Stemeler: „Da uns ein Ort fehlte, an dem wir uns alle treffen konnten, nachdem die letzte Gastronomie geschlossen hatte, haben wir nun seit 2007 das Pfarrheim. Es ist quasi unser Wohnzimmer und sehr wichtig für das Dorfleben.“ Neben einer Küche, Toiletten und Dusche gibt es auch einen Jugendraum. Auch wenn die Zeiten vorbei sind, in denen die Jugendlichen immer im Dorf bleiben, ab und an trifft man hier doch eine kleine Gruppe an. Seit 2008 hat sich auch ein eigener Jugendförderverein im Ort gegründet, der sich mit zahlreichen Freizeitangeboten um die dörfliche Jugendarbeit kümmert.
Auch die Naturfreude kommen in Stemel nicht zu kurz. Die Stemeler haben – wie so oft in Stemel in Eigeninitiative – einen Wanderweg rund um ihren Ort ausgezeichnet. „Ich bin den Weg selbst schon gewandert und höre auch immer wieder – auch von Menschen, die nicht aus Stemel kommen –, dass es ein toller Weg sei“, erzählt Hubert Wienecke.
Und wer es doch etwas „städtischer“ mag, wem Geschäfte und Gastronomie fehlen, der setzt sich einfach in den nächsten Bus, der für Sauerlandverhältnisse sehr regelmäßig fährt: alle halbe Stunde sowohl in die eine, als auch in die andere Richtung.
Erinnerungen
Aus der großen Glasfront des Pfarrhauses blickt man auf den Berg auf der anderen Seite des Dorfes. „Der Berg war voll mit 100-jährigen Fichten – bis Kyrill kam“, erzählt der Stemeler. Daran erinnert auch ein hölzernes Kreuz, dessen Enden zersplittert sind und das im Pfarrsaal hängt.
Unterhalb von Kirche und Pfarrheim befindet sich das Ehrenmal. Es steht noch nicht lange an dieser Stelle und hat sich auch in seiner Gestalt verändert. „Das alte Ehrenmal war unbedingt renovierungsbedürftig und so haben wir uns ein Herz genommen und ein neues gebaut.“ Der Kostenvoranschlag für das neue Ehrenmal war horrend. Doch am Ende konnte das Geld aufgebracht werden: durch Spenden, durch das Feiern von Festen, durch den Verkauf des Dorfkalenders. Und natürlich wurde wieder sehr viel in Eigenleistung erbracht. Nun ist das neue Ehrenmal gut sichtbar, wenn man vom Pfarrhaus herunterschaut: Die Bronzeplatten des vorherigen Ehrenmals wurden in Steinsäulen eingearbeitet. „Jede dieser Säulen ist unterschiedlich groß und anders gestaltet. Und jede einzelne steht für einen Gefallenen.“ Wenn die Stemeler nun ihre Toten ehren, dann schaut das Tambourcorps und die Bevölkerung vom Platz vor dem Pfarrheim auf das Ehrendenkmal herab, die Schützenbruderschaft steht mit seinem Kranz davor und daneben die Stemeler Feuerwehr mit ihren Fackeln und der Gesangverein. „So haben alle freie Sicht. Und auch wenn es nicht direkt auf Begeisterung stieß, haben sich die Mühen im Nachhinein doch gelohnt. Was will man mehr“, sagt Hubert Wienecke, dem man die Liebe für seinen Ort anmerkt.
von Sonja Nürnberger