Stein-Zeit-Mensch

Die Kunst auf dem Rothaarkamm

Ein Tempel wie die Akropolis in Athen oder eine überdimensionale Grillhütte ohne Dach – die Kommentare der Wanderer zur Kunstinstallation am Kreuzungspunkt zwischen Waldskulpturenweg und Rothaarsteig bei Kühhude sind so vielfältig und bunt wie die ganz unterschiedlichen Menschen, die dort des Weges kommen. Stein-Zeit-Mensch heißt das Werk des international bekannten Künstlers Nils Udo, das als eines von elf Exponaten an dem Wanderweg von Bad Berleburg nach Schmallenberg steht, der unter dem Namen Waldskulpturenweg die Region auch bei kunstaffinen Menschen bekannt gemacht hat, die zuvor nie etwas vom Sauerland oder gar dem Wittgensteiner Land gehört hatten. Ohne Zweifel ist Nils Udos Beitrag der beliebteste am Weg. Irgendetwas löst das Werk bei jedem Betrachter aus – unabhängig davon, wie viel Erfahrung in der Rezeption von Kunst er im Gepäck hat. Resonanz nennt Michael Gleich, der Autor der Beschreibungen der Sauerland Seelenorte, diesen Effekt. Und diese zuverlässige Resonanz macht das Kunstwerk zu einem würdigen Sauerland Seelenort.

Tiefe Ehrfurcht

Als Seelenort vorgeschlagen wurde es vom viel zu früh verstorbenen Hubertus Schmidt, dem ehemaligen Tourismusdirektor von Schmallenberg, einem der geistigen Väter des Seelenorte-Projektes. Schon gezeichnet von seiner schweren Krankheit empfand er die Ehrfurcht besonders tief, die das Werk von Nils Udo durch seine Bezüge zu Vergänglichkeit und Ewigkeit hervorruft. So wurde Hubertus Schmidt auch zum ersten Erzählpaten des von ihm so tief empfundenen Seelenortes. Nach seinem Tod übernahm Elisabeth Grube diese Aufgabe. Die inzwischen im Ruhestand befindliche, ehemalige Pastorin der evangelischen Gemeinde in Gleidorf führt heute Wanderer, die sich Begleitung wünschen, behutsam durch den Wald zur Skulptur und vor allem durch die Gedankenwelt des Künstlers Nils Udo.Land Art nennt man in Deutschland die Kunstrichtung, der der 86-Jährige aus dem fränkischen Lauf an der Pegnitz angehört. Die englischsprachige Bezeichnung der Kunstströmung ist aussagekräftiger: Earth Works – Werke buchstäblich aus dem Schoß von Mutter Erde, eingefügt in die Erde, die Landschaft und die Natur. Nils Udo sagt selbst dazu: „Meine Arbeit besteht darin, in der Natur, mit der Natur zu arbeiten, parallel zur Natur zu arbeiten und vor allem aus ihr heraus zu arbeiten und für sie zu arbeiten. Das heißt: Meine Arbeit besteht nicht darin, mit Artefakten die Natur zu möblieren, das funktioniert nicht.“ Das ist ihm bei seinem Werk Stein-Zeit-Mensch besonders gut gelungen. Das Material – Stein und Holz – entstammt der Natur und seine Form und Farbe fügt sich harmonisch in das Umfeld eines alten Buchenwaldes.

Erde, Landschaft, Natur

Elisabeth Grube bringt die gedanklichen Bezüge, die Material, Form und Umfeld hervorrufen sollen, perfekt zum Ausdruck: Im Zentrum steht der überraschend gewaltige, massive Felsbrocken – uralt und sehr viel weniger vergänglich als der Mensch, der ihn in die heutige Form gezwungen hat. Legt man eine menschliche Lebensspanne als Maßstab an, ist der Fels nahezu unvergänglich – und doch bröckelt er, es bricht mal was ab. Seine vermeintliche „Ewigkeit“ ist nicht so ewig, wie sie im Vergleich zum Menschen erscheint. Umringt ist er von mächtigen Douglasienstämmen – mindestens anderthalb Jahrhunderte gewachsen und somit im Vergleich zum Menschen ebenfalls alt und langlebig. Aber sie sind auf jeden Fall weniger langlebig als der Stein. Die erste Generation von Holzsäulen – aufgestellt im Jahr 2001 – war nach einigen Jahren so von Baumpilzen innerlich zersetzt, dass sie 2014 ausgetauscht werden mussten. Die gestürzten Säulen liegen heute neben dem Kunstwerk. Der Pilz tut weiter sein Werk und so werden die alten Hölzer in ihrer Vergänglichkeit zu einem integralen Bestandteil des Werkes, dessen Grenzen zur umgebenden Natur somit noch mehr verschwimmen als vom Künstler zunächst geplant.

Wie schon der Titel der Skulptur sagt, ist natürlich auch der Mensch ein Teil des Ganzen – nach Stein und Holz der vergänglichste. Es geht hier aber nicht nur um das Bewusstsein der eigenen Zeitlichkeit. Man kann den Werktitel auch ohne Bindestriche lesen und gelangt zum Steinzeitmensch. Seit vielen Jahrtausenden arbeitet der Mensch mit Stein und Holz. Er steht damit in der Tradition seiner Vorfahren durch die Äonen. Als Teil dieses Ganzen ist er dann doch nicht so vergänglich, wie das kleine Individuum, dass da vor einer großen Skulptur steht.