Starline der Sauerländer Familienunternehmen

Quelle: WIFU-Stiftung

Zusammenwirken von lokaler Gesellschaft und lokaler Wirtschaft

Im Rahmen seiner Coaching- und Beratungstätigkeit begleitet Prof. Dr. Tom Rüsen (49) Nachfolgeprozesse, Konfliktund Krisensituationen, die Entwicklung von Familienstrategien sowie familieninterne (Selbst-)Managementsysteme. Er konzipiert Programme zur Gesellschafterkompetenzentwicklung in Unternehmerfamilien und vermittelt diese in offenen und Inhouse-Schulungen. Rüsen ist Wirtschaftswissenschaftler, Unternehmensberater und Dozent. Er ist Geschäftsführender Direktor des Wittener Instituts für Familienunternehmen (WIFU) sowie Geschäftsführender Vorstand der WIFU-Stiftung. Zudem lehrt er als Honorarprofessor an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Witten/ Herdecke und leitet dort den Weiterbildungsstudiengang Gesellschafterkompetenz. Weitere Lehraufträge hat Prof. Rüsen an der Hochschule Luzern, der WWU Münster und der European School of Management and Technology auf Schloss Gracht. Die Unternehmerlandschaft im Sauerland mit den zahlreichen Familienunternehmen ist Prof. Dr. Rüsen als Hochschullehrer und Unternehmensberater bestens bekannt. Im Interview mit dem WOLL-Magazin erläutert der Experte, was Familienunternehmen auszeichnet und warum sie die besten Voraussetzungen und Möglichkeiten für junge Menschen bieten, um ihre berufliche Karriere zu beginnen und durchzustarten.  

WOLL: Herr Prof. Rüsen, was unterscheidet aus Ihrer Sicht Familienunternehmen grundsätzlich von konzernabhängigen Unternehmen?

Prof. Rüsen: Die Unterscheidung besteht zwischen Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen, das sind entweder börsenorientierte, anonyme Gesellschaften, von privaten Investoren gehaltene Unternehmen oder staatliche Unternehmen. Der zentrale Unterschied ist die Eigentümerstruktur, die sich in den Händen einer Familie befindet. Diese Familien haben in der Regel das Ziel, das Familienunternehmen in die nächste und übernächste Generation zu bringen. Es gibt diese transgenerationale Perspektive oder die Enkelorientierung. Das macht einen erheblichen Unterschied aus, in dem, wie man die Geschäfte führt.

WOLL: Das heißt, Familienunternehmen haben neben den üblichen Zielen wie Umsatz, Gewinn oder Rendite vor allem das Ziel, das Unternehmen in die nächste Generation zu führen?

Prof. Rüsen: Ein Investor möchte auf sein eingesetztes Kapital möglichst die höchste Rendite haben. Ein Familienunternehmer möchte auch eine Rendite haben, aber er möchte das Unternehmen gut bestellt in die nächste Generation geben. Wenn Sie eine anonyme Publikumsgesellschaft sind, dann sagen Sie, lass uns unseren Gewinn steigern, lass uns möglichst viel Kapitalrendite machen. Und alles andere ordnet sich dem unter. Beim Familienunternehmen ist das unternehmerische Ziel meistens der Kundennutzen, irgendein Problem zu lösen, und das auf der Eigentümerseite in die nächste Generation zu bringen. Und dann resultieren daraus Wachstum und Rentabilität.

WOLL: Ist das Sauerland eine gute Region für Familienunternehmen, um hier zu wachsen und zu gedeihen?

Prof. Rüsen: Es gibt sogenannte Clusterregionen, wo man feststellt, dass es dort verhältnismäßig viele langlebige und erfolgreiche Familienunternehmen gibt. Das Sauerland ist so ein Cluster. Das hat etwas mit historischen Gegebenheiten zu tun. Da gab es über Generationen eine spezifische Kompetenz, die sich entwickelt hat. Durch diese Familienbezogenheit, und vielleicht auch ein bisschen durch diese Abgeschiedenheit, konnte sich eine sehr starke, positive Verknüpfung zwischen Unternehmen und lokaler Bevölkerung herauskristallisieren. Das ist ein sehr gutes Beispiel für ein konstruktives Zusammenwirken von lokaler Gesellschaft und lokaler Wirtschaft. Die meisten Unternehmen rekrutieren einen Großteil ihrer Mitarbeiter aus einem Umkreis von 50 Kilometern um den Standort. Man wohnt dort. Man ist dort mit der Region verwurzelt. Die Eigentümerfamilien sind ebenfalls sehr regional verwurzelt. Und wenn ich mein Unternehmen in die nächste oder übernächste Generation bringen will, dann habe ich natürlich auch eine ganz andere Perspektive auf den Umgang mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

WOLL: Welche sogenannten weichen Faktoren werden jungen Menschen, die eine Ausbildung machen oder an ihre berufliche Karriere denken, in Familienunternehmen geboten?

Prof. Rüsen: Teilweise arbeiten die Leute dort schon in zweiter oder dritter Generation. Gerade deswegen sind solche Familienunternehmen bei den Menschen in der Region sehr beliebt. Da hat schon der Großvater im Unternehmen gearbeitet. Das hören wir immer wieder, weil es diese konstruktive Zusammenarbeit gibt.

WOLL: Für alle Unternehmen stehen die Themen Ausbildungsplätze, Mitarbeitersuche, Fachkräfte ganz vorne auf der Agenda. Auf was legen Mitarbeiter heutzutage besonderen Wert, wenn sie eine Ausbildungsstelle suchen, wenn sie die erste Stelle antreten oder auch in eine berufliche Karriere-Position wechseln? Was sind die drei wichtigsten Faktoren?

Prof. Rüsen: Wenn wir von Jobanfängern und Hochschulabsolventen sprechen, bedeutet ein Familienunternehmen eine gewisse Sicherheit. Dass sie in einer Krise nicht gleich gefeuert werden. Die jungen Menschen sehen durchaus, dass Unternehmen, die zwar deutlich mehr bezahlen, aber in der Vergangenheit bewiesen haben, dass sie die Mitarbeitenden relativ schnell über Bord schmeißen, wenn es mal kriselt, Mühe haben, Leute zu finden. Das spricht sich rum. Zum Beispiel haben Beratungshäuser da einen relativ schlechten Ruf. Wichtig sind auch die Entfaltungsmöglichkeiten. Dass man mitgestalten kann. Was seit drei bis fünf Jahren ein neues Phänomen ist, das ist die etwas andere Gestaltung der Arbeitszeit in Verbindung mit der Freizeit. Das kann sich zum Beispiel in der Freizeitwahl zeigen. Ich möchte bewusst darauf hinweisen, dass die Leute Homeoffice kennen und schätzen und es dort flexiblere Möglichkeiten gibt, zu arbeiten.

WOLL: Arbeiten, wo andere Urlaub machen: Kann man diesen Punkt als wichtigen Faktor für Auszubildende und Fachkräfte sehen?

Prof. Rüsen: Das ist tatsächlich sehr wichtig.

WOLL: Was können Familienunternehmen tun, damit sie die besten Arbeitskräfte für ihre speziellen Arbeitsplätze gewinnen?

Prof. Rüsen: In der Vergangenheit haben Familienunternehmen wenig Wert darauf gelegt, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, weil sie gesagt haben, dass man sie doch hier in der Region kenne. Doch Unternehmen müssen sich ganz aktiv in der Öffentlichkeit zeigen. In den Sozialen Medien müssen sie sich beispielsweise ganz anders aufstellen. Da ist es nun ein großer Vorteil, dass die junge Generation, also die Nachfolgerinnen und Nachfolger in den Familienunternehmen, affin in Sachen Social Media sind. In der Öffentlichkeitsarbeit haben Familienunternehmen im Vergleich zu anderen Organisationen viele Nachteile, weil sie meistens doch sehr konservativ und zurückhaltend sind. Da hinken sie strukturell ein bisschen hinterher. Sie müssen sich in der Öffentlichkeit viel mehr als Familienunternehmen mit den gelebten Werten der Familie positionieren.

WOLL: Was kann das Sauerland als Region tun, damit sie nicht nur als Ferienregion, sondern auch als besonders attraktive Karriereregion wahrgenommen wird?

Prof. Rüsen: Da gibt es einige gute Beispiele, doch ich glaube, da hat das Sauerland tatsächlich noch ein bisschen Nachholbedarf. In Baden-Württemberg gibt es eine Region, Hohenlohe, die über sich sagt, sie sei die Region der Weltmarktführer. Und wenn wir hier jetzt mal das Sauerland nehmen mit den Orten Iserlohn, Lüdenscheid, Attendorn, Olpe, Schmallenberg, Lennestadt, Meschede, Brilon, Arnsberg und so weiter, da sind viel mehr weltmarktführende Unternehmen ansässig. Aber wir haben bisher nicht verstanden, zu sagen: Wir sind die Weltmarktführer-Region. Oder: Hier im Sauerland gibt es 20 der größten deutschen Familienunternehmen. Oder zu sagen: Es gibt hier so und so viele Unternehmen in so- und sovielter Generation. Hier muss man gemeinschaftliche, kooperative Initiativen ergreifen.

WOLL: Gibt es aus Ihrer Sicht noch etwas, das man unbedingt beim Stichwort „Familienunternehmen im Sauerland“ sagen sollte?

Prof. Rüsen: Ich glaube, man sollte einen regionalen Stolz auf die weltmarktführenden, mehrere Generationen-Familienunternehmen entwickeln. Dass man das viel stärker macht, und zwar mit allen Beteiligten: Der lokalen Politik, aber auch den lokalen Wirtschaftsverbänden. Dazu müssen die Unternehmen aber auch bereit sein, miteinander bei diesem Standortmarketing zu kooperieren. Das wäre so mein Wunsch. Und es gibt doch so ein schönes Lied, „Sauerland, mein Herz schlägt für das Sauerland“. Wie wäre es mit: Sauerland, mein Herz schlägt für die Familienunternehmen im Sauerland. Das wäre eine Sache, da könnte man was machen. Da sind Kostal, WEPA, VIEGA, Kirchhoff und all die anderen. Das sind sensationelle Unternehmen. Wenn man sich einmal die zwanzig größten Familienunternehmen im Sauerland anschaut, dann merkt man schnell, dass der Großteil davon bereits in dritter Generation geführt wird. Daraus könnte man eine starke Marketingkampagne machen.

WOLL: Vielen Dank für das Interview und die spannenden Ideen für die Sauerländer Familienunternehmen.