Quelle: IBSF
Teamarzt der Bob- und Skeleton Nationalmannschaft: Dr. med. Martin Nieswand aus Winterberg
Mit bisher noch nie erreichten Erfolgen kehrten die heimischen Olympiateilnehmer von den Olympischen Winterspielen in Peking zurück. Zwei Goldmedaillen, eine Silber- und eine Bronzemedaille für Sportlerinnen und Sportler aus dem Sauerland sowie diejenigen, die in Winterberg ihr Trainingszentrum haben. „Grundsätzlich haben wir für Peking ein recht hohes Niveau erreicht. Nicht nur an der Anzahl der aus Nordrhein-Westfalen startenden Athleten, sondern auch die Qualität der Vorbereitung.“ Dr. Martin Nieswand sagt dies am 4. Februar, dem Eröffnungstag der Olympischen Spiele. Der Winterberger Facharzt für Allgemeinmedizin, Sportmedizin, Chirotherapie und Naturheilverfahren ist betreuender Arzt des Olympiastützpunktes in Winterberg und Teamarzt der Deutschen Bob- und Skeleton-Nationalmannschaft. In dieser Funktion reiste er einige Tage nach dem Interview mit dem WOLL-Magazin zu seinen Schützlingen nach Peking, um dort die deutschen Skeletonis und Bobfahrer medizinisch zu betreuen.
WOLL: Herr Dr. Nieswand, vielen Dank, dass Sie sich vor der Abreise nach Peking noch Zeit für dieses Gespräch genommen haben. Wie fit sind unsere Athletinnen und Athleten, die Sie hier am Olympiastützpunkt Winterberg betreuen?
Dr. Martin Nieswand: Grundsätzlich denke ich, haben wir für Peking ein recht hohes Niveau erreicht. Nicht nur an der Anzahl der aus NRW startenden Athleten, sondern auch die Qualität der Vorbereitung. Da gehört natürlich eine ganze Menge dazu: die Heimtrainer, die Physiotherapeuten und viele andere Beteiligten. Das ist ja nicht nur ärztliche Arbeit. Das ist Teamarbeit. Und klar, Leistungssport heißt immer auch, sich an Grenzen zu bewegen. Das heißt natürlich, Leistungssport ist nicht immer gesund. Je länger jemand Leistungssport macht, desto mehr Macken kriegt er auch automatisch. Das kann man gar nicht vermeiden. Das ist auch eine von unseren ärztlichen Aufgaben, dass wir eben dafür sorgen, dass sich das im Rahmen hält und wir den Sportler dahin bringen können, seine Leistung auch abzurufen. Die Qualifikation, dass gesundheitliche fit sein, das ist sonst immer ein riesiges Thema. In dieser Saison wurde dies allerdings durch die Pandemie und das Virusgeschehen abgelöst. Das ist eine zusätzliche Hürde, die dazu kommt, die jeder, auch ich, nehmen muss, denn noch bin ich nicht in China.
WOLL: In diesem Zusammenhang die Frage: Ist Leistungssport überhaupt gesund?
Dr. Martin Nieswand: Sport ist grundsätzlich erstmal sehr gesund. Differenzieren muss man, wenn es um Leistungssport geht. Der Aspekt Gesundheit spielt schon bei der Sichtung der Kinder und Jugendlichen an. So gibt es eine umfangreiche Sportgrunduntersuchung zum Beispiel für unsere Eliteschule des Sports. Da wird bei denjenigen, die intensiver Sport betreiben wollen, geschaut, hat jemand was am Rücken, hat jemand was an den Gelenken? Dann kommen bestimmte Sportarten langfristig für ihn nicht infrage. Dann gibt es natürlich noch eine entsprechende Beratung der Eltern. Wenn es dann weitergeht, für die Sportlerinnen und Sportler, die im Verein gefördert werden, und vielleicht auch erfolgreich werden, dann wird die sportmedizinische Kontaktdichte wesentlich höher. Dann macht der Sportler regelmäßig einen Gesundheitscheck. Das macht er auch von sich aus, weil er natürlich seine Voraussetzungen optimieren will. Beim Ausdauersportler, indem man unter anderem auch auf die Blutwerte guckt. Beim Kraftsportler, dass man da mehr den Schwerpunkt auf die Wirbelsäule, Muskeln und die Gelenke legt. Das ist ganz abhängig von dem Sport, den derjenige macht. Dann geht es natürlich auch dahin, dass man ihn auch präventiv berät. Wir sind dafür da, den Sportler oder die Sportlerin zu begleiten, um die langfristigen Sch den, so gering wie m glich zu halten. Dass sie irgendwann auftreten ist klar. Wenn man einen älteren Sportler befragt, wird er häufig sagen, früher habe ich wenig Regeneration gemacht und viel trainiert. Heute trainiere ich im Verhältnis weniger und die Regeneration dauert länger. Das ist natürlich am Anfang der Karriere ganz anders, und da muss man manchmal auch, nicht nur die Sportler, sondern manchmal auch die Trainer ausbremsen, damit sie, aus sportmedizinischer Sicht, keinen Leichtsinn begehen. Das sehe ich auch als meine Aufgabe.
WOLL: Das heißt, diese Hinweise geben Sie Sportlerinnen und Sportlern ganz konkret und sagen ihnen, dass das Training und die Ausübung des Sportes später die und die Folgen haben wird?
Dr. Martin Nieswand: Ja. Ganz konkret. Wenn ich das bei Bob und Skeleton sehe, wird ein Bobsportler nach Jahren das Betreibens dieser Sportart häufig Rückenprobleme haben. Viele haben Bandscheibenvorfälle schon in jungen Jahren Hier ist die Belastung der Wirbelsäule zwischen 3 und 5 g (das drei- bis fünffache des Körpergewichtes) natürlich extrem. Und der klassische Fußballer, wenn er in einer entsprechenden Leistungsklasse ist, der hat häufig dann eben Knieprobleme. Das ist nicht nur das Kreuzband, das ist Jahre später eben auch die Arthrose. Wenn ich die alten Fußballer spreche, sagen die, hätte ich das früher mal gewusst, dann hätte ich anders trainiert oder ich hätte mehr auf den Trainer gehört.
WOLL: Wie beurteilen Sie dies zum Beispiel für Sauerländerin Hannah Neise, die jetzt mit 21 Jahren im Skeleton- Wettbewerb der Damen an den Start geht?
Dr. Martin Nieswand: Hannah ist ein Talent, was ihre Sportart angeht. Hier haben sich sprichwörtlich Sportart und Sportlerin gefunden. Wirklich ein Glück, wenn Trainingsfleiß, die richtige Sportart und Talent aufeinandertreffen. Wenn man dann noch in der richtigen Region mit den passenden Trainingsstätten wohnt, kann es gelingen zu den Olympischen Spielen zu kommen.
WOLL: Welche Lehren aus den Erfahrungen im Leistungssport lassen sich auf uns gewöhnliche Sport treibenden Menschen übertragen?
Dr. Martin Nieswand: Der normale Patient kann im Grunde für sich selbst wenig Erkenntnisse daraus gewinnen. In der Behandlung des normalen Patienten jedoch profitieren wir, die Therapeuten, die Ärzte, die Physiotherapeuten, von diesem gewonnenen, zusammenhängenden Spezialwissen. So wiederum profitiert auch Otto-Normal-Sportler davon. Das sieht beispielsweise so aus, dass wir für die Altersmedizin, für die Prävention, für die Gelenke, aus den Erfahrungen mit den Spitzensportlern in der Behandlung Nutzen ziehen können. Das fängt an bei einer Einlagenbehandlung und geht über eine konservative Behandlung des Kniegelenks weiter. Da geht es dann um Muskelaufbau der Wirbelsäule, spezielles Regenerationstraining, wenn man regenerative oder Bandscheibenprobleme behandelt. Ich betreue jetzt in der 23. Saison die Bob-Nationalmannschaft. Da sammelt man eine ganze Menge an Erkenntnissen, die man weitergeben kann. Das betrifft auch die Methoden, die wir einsetzen. Ich denke mal, ohne dass ich im Sport tätig gewesen wäre, hätte ich nie eine Zusatzausbildung in der manuellen Therapie gemacht. Also einer „Behandlung der Wirbelsäule mit den Händen“. Das ist eine Sache, die hat sich für mich aus dem Leistungssport ergeben. Da profitiert heute eine große Anzahl von Wirbelsäulen-Patienten jeden Tag in der Praxis von.
WOLL: Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang Naturheilverfahren?
Dr. Martin Nieswand: Wenn ich mit der Mannschaft unterwegs bin, schaue ich mir zusammen mit den Physiotherapeuten die Sportler oder Patienten an. Erstens hat der Physiotherapeut was davon, dass er sich ein bisschen was von mir angucken kann und zweitens habe ich was davon, indem ich ein bisschen was vom Physiotherapeuten abgucken kann. Da gibt es dann Dinge, die man einem Patienten direkt in Form von Übungen mitgeben kann. Wenn wir über eine Woche zusammen unterwegs sind und gemeinsam einen Athleten behandeln, dann fragen wir, zum Beispiel bei einem Bandscheibenvorfall: „Was würdest du damit machen? Das sind natürlich auch Dinge, die ich mitnehmen kann. Oder dass der Physiotherapeut sieht, wann ist es wichtig, von Naturheilverfahren auf schulmedizinische Behandlung umzuschalten. Da muss man ein Potpourri im Grunde genommen von beiden Tools haben.
WOLL: Gibt es in der Behandlung von Frauen und Männern erkennbare Unterschiede?
Dr. Martin Nieswand: Nun, Frauen und Männer haben nicht immer Spaß an den gleichen Sportarten. Ich sehe die Männer vielleicht häufiger ins Fitnessstudio gehen, um Kraft zu machen. Die Frauen dagegen machen vielleicht lieber Bauch-Beine-Po, und gehen lieber auf den Crosstrainer oder aufs Laufband. Die Männer gehen lieber an die Maschinen. Das ist jetzt so ein klassisches Vorurteil, das weiß ich. Wenn ich mir aber mal die Verletzungsmuster angucke, könnte da durchaus was dran sein.
WOLL: Sie kennen unsere Landbevölkerung, aber natürlich auch die Sportler aus den städtischen Milieus. Gibt es da Unterschiede, in der Art, was die Wehwehchen angeht?
Dr. Martin Nieswand: Die Wehwehchen sind sehr ähnlich. Wir hier auf dem Land haben den Vorteil, häufig müssen wir nur die Tür aufmachen, und sind in der Natur und können laufen. Der Aufwand für den Städter ist da zum Teil doch weitaus größer.
WOLL: Zum Abschluss: was für einen Tipp würden Sie uns geben, was man am Tag mal machen sollte, damit man wenigstens eine Grundfitness behält, oder ein bisschen dafür tut, fit zu sein?
Dr. Martin Nieswand: Grundsätzlich gilt der Satz: Alles ist besser als gar nichts. Das heißt, wenn es nur kurze Wege sind, wenn es nur mal ein Weg ist, den man nicht mit dem Auto fährt. Wenn es nur zu Fuß einkaufen ist, wobei man dann darauf achten sollte, die Gewichte gleichseitig zu verteilen. Und wenn es nur die Treppen im Büro sind, die man täglich geht. Wenn es nur ist, zum Beispiel im Büro dafür zu sorgen, dass das Telefon weiter weg steht. Dass der Papierkorb weiter weg steht, damit man zwangsläufig mal daran erinnert wird, sich zu bewegen. Alles das, auch wenn es nur kleine Dinge sind, denke ich, in der Summe, da hat man was von.
WOLL: Vielen Dank, Herr Dr. Nieswand für das Gespräch und eine erfolgreiche Zeit in Peking.