Späte Anerkennung für Lebenswerk

Dr. Werner Beckmann

Rede des Vorsitzenden des Sauerländer Heimatbundes, Elmar Reuter, zur Verleihung des Rottendorf-Preises an den Preisträger Dr. Werner Beckmann heute am 15.10.2020 im Kulturgut Haus Nottbeck in Oelde-Stromberg

(Es gilt das gesprochene Wort)

Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, zu Beginn einige Ausführungen, die sich nicht direkt mit dem Preisträger befassen.

Wir, der Sauerländer Heimatbund, sind nicht ein Regional- oder Dachverband von Heimatvereinen, was man vermuten könnte. Nein, bei uns zählt die individuelle persönliche Mitgliedschaft. Wir sind hervorgegangen vor 99 Jahren aus der Vereinigung studierender Sauerländer, die sich vorwiegend an den Standorten Paderborn und Münster zusammengetan hatten, um nach dem Ersten Weltkrieg und nach den Folgen der Industrialisierung ihre verloren geglaubten Werte in das Bewusstsein der Menschen in ihrer sauerländischen Heimat zu tragen. Mit dem „Tragen“ ist das nahezu wörtlich zu verstehen, denn sie machten sich persönlich auf den Weg, um in vielen Veranstaltungen eine breite Resonanz in der Bevölkerung zu erzeugen und das ist Ihnen auch gelungen.

Heute arbeiten wir zukunftsorientiert, unterstützen die Entwicklung der hervorragenden ökonomischen, ökologischen und kulturellen Potenziale des Sauerlandes. Es versteht sich nahezu von selbst bei einem Heimatverein, dass dazu aber auch die Erforschung und Präsentation historischer Quellen gehört sowie die Förderung kultureller Aktivitäten und eben auch die Pflege der plattdeutschen Sprache.

Damit sind wir beim Anlass für diese Veranstaltung. Lassen Sie mich bitte auch noch vorwegschicken, dass ich als ehrenamtlicher Repräsentant des Sauerländer Heimatbundes in keiner Weise fachlich geprägt bin für eine Laudatio aus der Sicht der Sprachwissenschaften. Aber ich habe viel Freude daran die Sprache zu hören, sie bisweilen selbst, wenn auch „streipelig“, zu sprechen und wir stehen natürlich für die vielen ehrenamtlichen Akteure, die sich um den Erhalt und die Pflege des Plattdeutschen im Sauerland einsetzen. Das ist es ja, was uns mit Dr. Beckmann seit vielen Jahren verbindet.

Dr. Werner Beckmann ist nach Dr. Siegfried Kessemeier (1969), dem vielfach ausgezeichneten Dichter in Sauerländer Mundart und Peter Bürger (2016), mehrfach ausgezeichnete Publizist und Autor, heute unter uns anwesend, nun der dritte Sauerländer der diese Ehrung erfährt.

Sauerländer? Wenn er sich nicht landauf landab in der plattdeutschen Szene nun seit zwei Jahrzehnten Ansehen und Anerkennung verschafft hätte würde man die Nase rümpfen und Buiterling sagen, denn er wurde 1951 in Bochum-Riemke geboren. Mit seiner Mutter, die ihn und seine Schwester allein erziehen musste, da sie den Vater früh verloren hatten, konnte er Platt sprechen und so entstand seine Vorliebe schon in der Jugendzeit. Nach dem Besuch der Realschule suchte er früh die Möglichkeit sich mit dem Plattdeutschen zu befassen und wurde schon 1971 Mitglied im Verein für niederdeutsche Sprachforschung. Seinen großen Wunsch, Sprachen zu studieren konnte er sich erst erfüllen, nachdem er das Abendgymnasium mit dem Abitur 1981 verlassen hat. An der Universität Bochum schreibt er sich ein für vergleichende indogermanische Sprachwissenschaften, Latein und katholische Theologie, letztere ersetzt er später durch Altgermanistik.

Im Mai 1989 Abschluss mit dem Magister Artium in Sprachwissenschaften, Latein und Altgermanistik, inzwischen in Münster. 1997 Dissertation Dr. phil.

Währenddessen hat ihn die plattdeutsche Sprache nie losgelassen. Er hat die verschiedensten Gelegenheiten genutzt sich darin zu üben und sie weiter zu vermitteln, zum Beispiel Kurse an der Volkshochschule zu geben oder Texte für plattdeutsche Gottesdienste zu übersetzen.

Die Mitarbeit in verschiedenen plattdeutschen Projekten führte ihn im Sommer 1999 in das Sauerland nach Olpe. Dort befasst er sich von Berufs wegen  und in Kooperation mit vielen ehrenamtlichen Organisationen mit dem Projekt „Mundarten im Sauerland“, das der Sauerländer Heimatbund  in seine Trägerschaft genommen hatte in Absprache mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe, begleitet durch Prof. Dr. Hans Taubken, Rottendorf-Preisträger 2002, mit finanzieller Unterstützung der Kulturstiftung der Westfälischen Provinzial-Versicherungen sowie der beiden Kreise Hochsauerland und Olpe. Zur linguistischen Bedeutung der sauerländischen Mundarten hat Professor Taubken seinerzeit folgendes geschrieben:

„Das ehemalige kurkölnische Sauerland stellt innerhalb der niederdeutschen Mundartlandschaften eine besonders archaische Region dar. Laut- und formengeschichtlich sowie lexikalisch bildet sie ein kompliziertes Bild mit hoher Varianz und ist deshalb vom sprachwissenschaftlichen Standpunkt her gesehen absolut exklusiv. Nirgendwo im niederdeutschen Raum können Sprachwissenschaftler so tiefe Einblicke in die Entwicklungsgeschichte dieser seit mehr als 1000 Jahren überlieferten Sprache gewinnen. Ursache ist die relative Unzugänglichkeit der Region in früheren Zeiten, die älteste Sprachzustände bis in die heutigen Mundarten bewahrt hat, während in anderen verkehrsgünstigeren Regionen zahlreiche Ausgleichsprozesse stattgefunden haben.“

Dieses Projekt „Mundarten im Sauerland“ hatte mit Ende des Jahres 2001 aus finanzierungstechnischen Gründen seinen Abschluss gefunden.

Es wird seit dem 1. Januar 2002 fortgesetzt durch das „Mundartarchiv Sauerland“, das seinen Sitz im historischen Baudenkmal Stertschultenhof Cobbenrode in der Gemeinde Eslohe hat. Dem gleichnamigen Trägerverein gehören an der Hochsauerlandkreis, der Kreis Olpe, die Gemeinde Eslohe, der Museumsverein Eslohe, der Sauerländer Heimatbund, der Heimat- und Förderverein Cobbenrode sowie die Christine-Koch-Gesellschaft, literarische Gesellschaft für das Sauerland. Der Stertschultenhof, ein ehemaliger Vorspannhof des Stiftes Meschede, gehört zu den ältesten Höfen des Sauerlandes. Durch seine verkehrsgünstige Lage an der Bundesstraße 55 ist das sich in prächtigem Zustand präsentierende Anwesen eine ideale Anlaufstelle für die Freunde der plattdeutschen Sprache.

Und erneut wird Dr. Beckmann engagiert, glücklicherweise wie man wohl sagen darf, denn – so wieder Prof. Dr. Taubken- steht mit ihm ein Bearbeiter zur Verfügung,

„der a) durch seine eigene Mundartkompetenz, b) durch seine speziellen Kenntnisse auf dem Gebiet der germanischen Sprachwissenschaft und c) durch seine in einer Dissertation sowie durch einschlägige Fachbeiträge nachgewiesenen Kenntnisse der niederdeutsch-westfälischen Philologie in wissenschaftlicher Hinsicht hervorragend qualifiziert ist. Die darüber hinaus bemerkenswerte Fähigkeit, Kontakt mit Sprechern sauerländischen Mundart zu knüpfen und zu ausgezeichneten Ergebnissen zu kommen“,

zeigt sich in den inzwischen vorliegenden Interviews mit mehr als 267 Mundartsprechern aus 129 verschiedenen Herkunftsorten.  

Diese Interviews im fließenden Gespräch vermitteln uns die lebendige Sprechsprache, was die Mundartliteratur (nicht allein wegen des fehlenden Tons) so keineswegs vermag. Sie dokumentieren außerdem nicht nur die jeweils spezifischen Lokalmundarten, sondern ermöglichen wegen ihrer vorbildlichen inhaltlichen Ausgestaltung der Interviews auch Erkundungen zu Sprachgeschichte, zur Zeitgeschichte, zu religiösen oder kulturellen Traditionen und zum Alltagsleben.

So können einerseits Sprachwissenschaftler und Dialektologen mit diesen Dokumenten arbeiten, aber auch Literaten, Volkskundler, Historiker und Wissenschaftler anderer Disziplinen können anhand der Tondokumente Forschungen betreiben.

Aber nicht nur wissenschaftlich Interessierte oder Heimatkundler können die Interviews verwerten: Wer wissen möchte, wie früher die niederdeutsche Sprache seines Ortes geklungen hat, der wird hier fündig. Wer einen Sauerländer Dialekt ganz oder teilweise lernen möchte, – etwa als Mitwirkender einer Laienspielgruppe, einer Plattdeutschen Runde oder aus anderen Gründen – kann anhand des Klanges der Sprache, die er auf dem Tonträger hört, besser lernen als nur nach einem Buch, in dem zwar die Aussprache der Laute beschrieben ist, aber bekanntlich nicht hörbar gemacht werden kann.

Dieser großartige Fundus ist veröffentlicht worden über die Textanthologie „Imme Siuerlanne“ Plattdeutsch – lebende Sprache im Sauerland in Geschichte und Gegenwart und die CD-Heftreihe „Op Platt – Mundart-Texte aus den Kreisen Hochsauerland und Olpe“. Für die in Fortsetzung erscheinende Reihe werden zukünftige Generationen einmal dankbar sein, wenn am Ort der letzte Mundartsprecher gestorben ist. Bislang liegen 28 Ausgaben vor.

Darüber hinaus gibt es eine Fülle von Veröffentlichungen, die er mit Beharrlichkeit und Kontinuität in seinen wissenschaftlichen Ansprüchen auf den Weg gebracht hat.

So auch das im vergangenen Jahr von uns präsentierte „So kuirt de Sauerlänner – Sauerländer Platt – Ein Wörterbuch“, das Dr. Beckmann in ganz großen Teilen in 8 Jahren, davon 6 intensiv, allein zusammengetragen und äußerst sorgfältig für die Veröffentlichung vorbereitet hat. Ihm kam es darauf an, dass in dieser Neuauflage möglichst viele bisher nicht erfasste Wörter Sauerländischer Autoren aufgenommen wurden, dazu die zahlreichen unregelmäßigen und Kontraktions-Formen, um den Zugang zur plattdeutschen Literatur zu erleichtern.

Nach diesem arbeitsintensiven Projekt kann er sich wieder seiner Lieblingstätigkeit widmen: Vor Ort in plattdeutschen Runden sein Wissen weitergeben und Begeisterung für die plattdeutsche Sprache wiederbeleben, so in Schulen oder vor jungen Menschen um dort Verständnis oder Interesse zu wecken.

Dr. Beckmann hat für die Mundartforschung im Sauerland Außerordentliches geleistet, ohne dass dies von einer breiten Öffentlichkeit bisher anerkannt worden ist. Das mag zum einen auch an seiner zurückhaltenden bescheidenen Art gelegen haben. Es liegt eben nicht in seiner Art marktschreierisch und fordernd seine Umgebung mit seinen Erkenntnissen zu malträtieren. Stattdessen hat er sich damit abgefunden resp. abfinden müssen, dass er ohne weitere professionelle Unterstützung seine Arbeit allein tun musste. Nur bei den Ehrenamtlern findet er Unterstützung und dort wird er übrigens sehr geschätzt.  Immer wieder galt es neue Finanzquellen aufzutun und mit der ständigen Verknappung der Kulturetats der öffentlichen Hände zurecht zu kommen. All dies hat er über Jahrzehnte klaglos geleistet.

Wir sind dankbar und erfreut, wenn das nun heute mit der Verleihung des Preises der Rottendorf-Stiftung für die Pflege der plattdeutschen Sprache gewürdigt wird.

Ich zitiere den letzten Satz aus meiner Anregung an die Rottendorf-Kommission:

„Für Dr. Werner Beckmann wäre es nicht nur Freude, sondern ganz sicher die späte Anerkennung seines in Bescheidenheit erbrachten Lebenswerks, die ihn tief in seinem Herzen berühren würde.“

Das, meine Damen und Herren, haben wir alle live erlebt, die wir an der Pressekonferenz zur Vorstellung des Preisträgers am 06.08. teilgenommen haben.

Tief gerührt und berührt sagte Dr. Beckmann am Ende der Veranstaltung: „Ich schwimme heute im Glück“.

Noch einmal hier in diesem Festakt: Herzlichen Glückwünsch lieber Dr. Werner Beckmann aber auch von ganzem Herzen Dank an die Rottendorf-Stiftung aus dem Sauerland.

Dr. Werner Beckmann
Bekanntgabe der Preisverleihung an Dr. Werner Beckmann v.l.n.r: Elmar Reuter, Dr. Werner Beckmann, Hans-Peter Boer