Quelle: Stefan Tremmel
Schützenoberst Stefan Tremmel im Gespräch
Für viele Sauerländer gehört das Schützenfest zum Sauerland wie die Pommes zur Currywurst. Für Außenstehende kann es hingegen auf den ersten Blick etwas speziell anmuten. Was macht die Faszination „Schützenfest“ aus und wieso ist es gerade für viele Sauerländer ein so wichtiger Bestandteil ihres Lebens? Darüber hat WOLL mit Stefan Tremmel (54) gesprochen. Seit Anfang dieses Jahres ist er der neue Bundesoberst des Sauerländer Schützenbundes (SSB).
WOLL: Wann und wo sind Sie mit dem Schützenfest in Berührung gekommen?
Stefan Tremmel: Das begann 1982 auf dem Schützenfest des Bürgerschützenvereins Lendringsen 1857 e. V., weil ich mich für das Musizieren beim Fanfarencorps der Kolpingfamilie Lendringsen interessierte. Durch die zahlreichen Auftritte auf den Schützenfesten in der Stadt Menden und der Umgebung bin ich unausweichlich mit dem Schützenwesen in Kontakt gekommen. 1992 hatte ich das Gefühl, aktiv als Jungschütze mitmachen zu wollen. Mit 23 Jahren war ich „eigentlich“ ein Spätberufener.
1994 wurde ich auf der Kreisdelegiertenversammlung als neuer Kreisjugendsprecher in den Kreisvorstand gewählt, kümmerte mich um den Austausch unter den Jungschützenabteilungen unserer Mitgliedsvereine und organisierte später mit anderen Jugendleitern Kreisjungschützentage und Ausflüge für die Jungschützinnen und Jungschützen. Auf dem Kreisschützenfest in Halingen 1996 war unsere damaliger Kreisgeschäftsführer Peter Hengesbach vom SSB aus Meschede zu Gast, dem ich die Frage stellte, warum es in den anderen Kreisschützenbünden des Sauerländer Schützenbundes keine Jugendarbeit auf Kreisebene gäbe. Diese Frage beantwortete er sinngemäß mit: „Lass dir mal etwas einfallen.“ Im Endeffekt war dies der Startschuss, denn kurz darauf wurde ich als Jugendvertreter in den Bundesvorstand kooptiert und 1999 zum ersten Bundesjugendsprecher gewählt. 2001 wurde ich Kreiskassierer des KSB Iserlohn, 2010 Kreisoberst. 2008 wurde ich als Mitglied in der Ritterschaft vom Heiligen Sebastian in Europa in Büren zum Ritter geschlagen. 2016 folgte die Wahl zum stellvertretenden Bundesobristen. Seitdem gehöre ich dem geschäftsführenden Bundesvorstand des SSB und als einer der sieben Sauerländer Delegierter der Plenarversammlung der Europäischen Gemeinschaft Historischer Schützen (EGS) an.
Nach dem bedauerlichen und plötzlichen Tod unseres Bundesoberst Martin Tillmann zu Beginn dieses Jahres wurde ich zum neuen Bundesoberst des Sauerländer Schützenbundes gewählt. Diese Aufgabe ist jedoch nur durch eine Teamarbeit im geschäftsführenden und gesamten Bundesvorstand zu stemmen. Ich darf mich glücklich schätzen, dass wir ein so hervorragend zusammenarbeitenden Vorstand haben und auch meine Frau voll hinter mir steht.
WOLL: Für Außenstehende kann das Schützenfest manchmal aussehen, als ginge es vor allem darum, einen Grund zu haben, gemeinsam das ein oder andere Bier zu trinken. Aber das ist doch nicht alles? Was macht die Faszination „Schützenfest“ aus?
Stefan Tremmel: Natürlich ist das nicht alles. Gründe für ein gut gezapftes Glas Bier finden Sie überall, wo Menschen zusammenkommen. Das Schützenwesen wird durch die offene, generationenübergreifende Art der Menschen geprägt, die in der Gemeinschaft ihrer Schützenbruderschaften und -vereine Mitglieder sind. Über das Jahr verteilt finden zahlreiche weltliche und kirchliche Veranstaltungen statt, die von den Schützen ausgerichtet bzw. begleitet werden. Sei es die Teilnahme an der Fronleichnamsprozession oder den Patronatstagen der Kirchengemeinden und Bruderschaften, sei es das Osterfeuer oder der St. Martinsumzug, das Maibaumaufstellen, die Unterhaltung und Vermietung der zahlreichen Schützenhallen für die örtlichen Vereine oder Familienfeiern.
Viele Schützen engagieren sich auch caritativ vor Ort und überregional. Und als es um die Unterstützung in der Ukraine ging, bzw. leider ja auch immer noch geht, haben auch die Schützenvereine und -bruderschaften Sammelaktionen und Spendeninitiativen initiiert und die zu transportierenden Materialien begleitet. Und dies nicht nur im Sauerland, sondern auch über die Europäische Gemeinschaft Historischer Schützen im gesamten europäischen Raum.
Auch in der Corona-Zeit haben die Schützen zueinandergestanden und sich miteinander und untereinander geholfen. So sind „Haustürbringdienste“ und Schützenfeste auf Abstand, to-go oder als Drive-in und viele, viele weitere tolle Aktionen ins Leben gerufen worden und haben den Zusammenhalt untereinander noch weiter gestärkt.
Und natürlich besuchen sich die Schützenvereine auch untereinander und trinken dabei auch das eine oder andere (gewiss auch alkoholfreie) Bier miteinander.
WOLL: Ist das Schützenfest auch heute noch eher eine „Männer“-Veranstaltung?
Stefan Tremmel: Es gibt viele Frauen, die gerne mitfeiern und sich im Hintergrund aktiv in der Vereinsarbeit beteiligen, aber nicht zwangsläufig auch neben ihren Männern selbst Mitglied werden wollen. Und dann gibt es wiederum die Frauen, die auch die Schützenjacke tragen und mitmarschieren möchten. Mir sind viele Damen bekannt, die Mitglied in einem Schützenverein und in den Vorständen aktiv sind. Im Schützenverein Langewiese im Kreisschützenbund Brilon gibt es seit inzwischen 50 Jahren eine eigene Damenanbteilung. Unsere Bundeskönigin des Sauerländer Schützenbundes, Daniela Kotewitsch, aus der Schützenbruderschaft St. Hubertus Wamel hat 2019 auf dem Bundesschützenfest in Medebach im wahrsten Sinne des Wortes „den Vogel“ in der Endrunde der letzten 15 Schützenkönige abgeschossen. Auf dem letzten Europaschützenfest in Deinze (2022/Belgien) gelang der Schützenschwester Svenja Reher von der St.-Wilhelmi-Schützenbruderschaft Kinderhaus der Königsschuss und sie wurde zur Europakönigin der Europäischen Gemeinschaft Historischer Schützen (EGS) gekürt. Und bei der Jugend wurde Jannika Klos, Schützenbruderschaft St. Hubertus Kerpen, Europaprinzessin. Im Kreisvorstand des Kreisschützenbundes Iserlohn sind zwei Damen – Karin Tönnies als stellvertretende Kreiskassierer und Nadine Berning als Kreisjugendsprecherin. Darüber hinaus ist Nadine seit einigen Wochen auch amtierende Stadtschützenkönigin der Stadt Schwerte und hat sich beim Stadtkönigsschießen erfolgreich gegen die teilnehmenden Schützenkönige der anderen Vereine durchsetzen können. Und so könnte ich Ihnen noch viele weitere Beispiele aufzählen.
Ist ein Schützenumzug nicht die wunderbarste und friedlichste Art einer Demonstration dessen, wofür man (und frau) steht?
WOLL: Glauben Sie, dass es schwer ist, hineinzufinden, wenn man nicht damit aufgewachsen ist? Welchen Tipp würden Sie Schützenfest-Neulingen geben?
Stefan Tremmel:Seid offen für Neues. Geht zum Schützenfest und zu den Dorfveranstaltungen und schaut euch an, was dort geboten wird. Macht euch selbst ein Bild davon, ob diese Art der Gemeinschaft zu euch passt. Falls dies so ist, seid ihr, eure Familie und eure Kinder und Jugendlichen sehr gut aufgehoben und trefft auf viele freundliche Menschen. Ich kenne Vereine, bei denen der Vorsitzende oder ein Vorstandsmitglied bei Neubürgern an der Haustür schellt und sich und seinen Schützenverein oder -bruderschaft persönlich vorstellt.
WOLL: Fällt Ihnen eine Anekdote ein, die verdeutlicht, was Sie am Schützenfest so sehr schätzen?
Stefan Tremmel: Das war am Anfang meines Werdegangs. Ich hatte ja bereits vom Kreisschützenfest in Halingen 1996 berichtet. Bei diesem Aufeinandertreffen zwischen mir als Kreisjugendsprecher und unserem Bundesgeschäftsführer sprach ich ihn – man ist ja im Sauerland gut erzogen – mit „Sie“ und mit „Herr Hengesbach“ an. Da schaute mich Peter an und meinte nur: „Wir tragen beide einen grünen Schützenrock und Schützen untereinander duzen sich.“ Und diese Erfahrung habe ich auch in den weiteren Jahren bei vielen Aufeinandertreffen im Verein, im Sauerland und ganz Europa gemacht. Alle Schützen stehen für eine gemeinsame Sache ein und grenzen einander nicht aus!
WOLL: Vielen Dank für das Gespräch und Horrido, woll!