Schritte zu den Nachbarn – europa:westfalen

Quelle: WOLL

Herbert Somplatzki erhielt das Ehrenverdienstabzeichen für Ermland und Masuren

Im Mai beteiligte er sich an der Literaturveranstaltung „Das Sauerland – Im Herzen Europas“, die im Rahmen des Literaturfestivals „europa:westfalen“ im Habbels in Schmallenberg stattfand. Ausrichter waren neben dem WOLL Verlag die Literarische Gesellschaft Arnsberg e.V. und die Literarische Gesellschaft Sauerland – Christine-Koch-Gesellschaft e.V. Herbert Somplatzki ließ die Zuschauer an seinen nachdenklichen Worten teilhaben, die er gemeinsam mit Gabriele Wartberg-Friedrichs vortrug. Die Lesung trug den Titel „Spotkania-Begegnungen – Wege über Grenzen“. In seinem szenischen Vortrag berichtete er über Wege aus dem Osten ins Herz Europas und die deutsch-polnischen Begegnungen.

Herbert Somplatzki zu seiner Auszeichnung:

Es sind inzwischen 75 Jahre vergangen, als ich meine Geburtsheimat verlassen musste, um 1.000 Kilometer weiter im Westen Europas meine neue Heimat zu suchen und zu finden. 30 Jahre lebte ich in dieser neuen Heimat, ehe ich gemeinsam mit meiner Frau 1.000 Kilometer in den Osten
reiste, um die Orte der Kindheit wiederzusehen. Es war ein mühsamer Weg durch den sogenannten „Eisernen Vorhang“, der damals Europa in Ost und West spaltete. Wir mussten zwei strengbewachte Grenzen aus Stacheldraht und Beton überqueren, ehe wir unsicher und zögernd vor dem Haus einer vergangenen Kindheit standen. Eine junge Frau kam uns entgegen.
„Dzień dobry“, grüßte ich.
„Dzień dobry“, antwortete die Frau.
Ich suchte mühsam ein paar der vergessen geglaubten Worte aus meiner masurischen Kindheit zusammen. Doch die Frau verstand mich und bat mich ins Haus. Als wir dann im Wohnzimmer waren, kam aus dem Nebenraum eine alte Frau. Sie blieb im Türrahmen stehen und fragte nach unseren Namen. Wir antworteten.

Die alte Frau stand da, als hätte sie uns nicht verstanden. Plötzlich machte sie einen Schritt in den Raum hinein. „Warum“, sagte sie auf polnisch, „warum seid Ihr heute erst gekommen?“ Sie begann zu weinen. „Alle Polen hier im Dorf hatten schon vor Jahren ihre Deutschen zu Besuch. Nur wir nicht! Warum seid Ihr heute erst gekommen? Warum?“ Und diese Frage wurde zum Schlüssel für die Tür zu unserem europäischen Nachbarn im Osten, mit dem uns geschichtlich so viel verbindet. Es war im Jahr 2000, als ich, unterstützt durch die Christine-Koch-Gesellschaft zur Förderung der Sauerländer Literatur, die deutsch-polnische Schriftstellerbegegnung „Sauerland – Ermland/Masuren“ initiierte. Sie ging über 15 Jahre, in Deutschland und Polen; wohl einzigartig in NRW.

In diesem Herbst erhielt ich die Nachricht, dass mir am 29.Oktober in der Philharmonie der Stadt Olsztyn, dem früheren Allenstein, für meine Literatur und die Begegnung mit den Menschen in Polen, das „Ehrenverdienstabzeichen für Ermland und Masuren“ verliehen werden sollte. Und ich beschloss, trotz der 1.000 Kilometer langen Reise, nach Polen zu fahren; denn mir war bewusst, welche Bedeutung diese hohe Auszeichnung in dieser Zeit, besonders in Polen, haben würde.

Die Preisverleihung fand vor 300 geladenen Gästen im großen Rahmen des 30-jährigen Jubiläums der deutschen Minderheit von Ermland-Masuren statt. Zum Auftakt sang ein polnischer Frauenchor die Europahymne in deutscher Sprache: „Freude, schöner Götterfunken“ – und das Symphonieorchester von Ermland-Masuren spielte Werke von Ludwig van Beethoven.

Als mir dann der Marschall von Ermland-Masuren, jetzt höchster Repräsentant meiner Geburtsheimat, das „Ehrenverdienstabzeichen für Ermland und Masuren“ verlieh, war mir das ein Bekenntnis zu einem großen Europa in Frieden. Ein Bekenntnis, das unsere Veranstaltung „Spotkania-Begegnungen“ im Sauerland, die im Rahmen des LWL-Festivals „europa:westfalen“ stattfand, rechtfertigt.