Eine Expedition in die einzigartige Tierwelt des Sauerlands
„Ewollution? Was is dat denn fürn Kappes?“, fragte mich mein Stammwirt Werner, als ich ihm vor einigen Wochen von meinem Plan erzählte, an einer Evolutions-Expedition in den Arnsberger Wald teilzunehmen. Ich erklärte Werner, Evolution wäre wie eine große Geschichte darüber, wie sich Pflanzen, Tiere und Menschen im Laufe der Zeit verändert haben. Und dass bei der Evolution auch ganz neue Arten entstünden, die besser zu ihrer Umgebung passen und deshalb überleben können. „Ach so, dat meinste, sach dat doch gleich“, freute sich Werner und zapfte mir noch ein Pils, „Unser Kurzer, der hat nämmich auch Ewollution. Der kricht langsam ganz eckige Augen vom ewigen Gedaddel an seinem Handy, woll.“ Prima, er hatte mich verstanden.
Eingeladen zur Expedition hatte mich Dieter Blefgen, der bekannte Keramikkünstler aus Arnsberg. Als waschechter Sauerländer kennt er sich bestens in seiner Heimat aus und lässt sich bei seiner Arbeit von Wald und Flur inspirieren. „Ich streife schon seit meiner Kindheit durch die tausend Berge und es fasziniert mich immer wieder aufs Neue, wie stark Mutter Natur uns Menschen im Sauerland im Laufe der Evolution geprägt hat.“
Am letzten Herbsttag brachen Dieter und ich kurz nach Tagesanbruch auf und kämpften uns zunächst durch den Stau an der Jägerbrücke über die Ruhr. Kurz nach Tagesanbruch lagen wir, gut getarnt, ganz nah am Ufer des Sauerländer Urstroms. Dieter wies mich an, mucksmäuschenstill zu sein und spähte durch sein Fernglas in das feuchte Grün entlang der Ruhr. Nach wenigen Minuten tippte er auf meine Schulter, reichte mir das Glas und zeigte in Richtung des Flusses. Zunächst sah ich nur Grün, aber nachdem ich die Schärfe richtig eingestellt hatte, entdeckte ich drei neugierige Gesichter, die von der Ruhr aus in unsere Richtung glotzten. Es handelte sich um drei ausgewachsene Sauerländer Sturköppe (Koppus Dickus), die zur Gattung der schwimmunfähigen Stangenfische gehören. Sturköppe sind schweigsamer als alle anderen Fische und fressen nur, was sie kennen. „Als die ersten Fische an Land gingen, blieben die Sturköppe einfach zu Hause“, erklärt mir Dieter, „sie waren zufrieden mit dem, was sie hatten, und weigerten sich, an der Evolution teilzunehmen. Ihre Flossen verkümmerten im Laufe der Jahrtausende, deswegen stecken sie heute immer noch dort, wo schon ihre Vorfahren lebten.“
Wie sehr das Verhalten der Sturköppe auf die Menschen an Ruhr und Lenne abgefärbt hat, spürten wir direkt nach unserer Rückkehr zum Expeditionsfahrzeug, das ein Mitarbeiter des Ordnungsamts gerade mit einem Knöllchen schmückte. Er sagte nichts, zeigte nur auf seine Uhr und dann auf das Schild, wo eine Parkscheibenpflicht ab 8:00 Uhr angegeben war. Pech gehabt, denn schließlich war es schon 8:02 Uhr.
Wir verlegten unsere mobile Forschungsstation weiter flussaufwärts in das Brutgebiet der Stachligen Quasselstrippe (Quater Infinitus), einer weitverbreiteten Entenart aus der Familie der Schrägen Vögel.
Schon von Weitem hörte man das laute Schnattern zwei weiblicher Jungtiere, die sich auch beim Näherkommen nicht von uns ablenken ließen. Die aufgestellten Stacheln auf ihren Rücken dienen, so Dieter, nicht der Abwehr möglicher Feinde, sondern als Kommunikationsrezeptoren, mit denen die possierlichen Tiere jede Bewegung und jedes Wort im Umkreis von bis hundert Metern mitbekommen und direkt in ihr fröhliches Gequassel einbauen können.
Nicht weit von ihnen stand ein stolzes männliches Exemplar in der kristallklaren Ruhr. Die Quasselstrippenhähne kümmern sich ausschließlich um die Nahrungsbeschaffung und Fortpflanzung. Stacheln oder Sensoren brauchen sie nicht, da ihre Hühner immer alles wissen, was für das Überleben wichtig ist. Während der Paarungszeit, die zufällig mit der Sauerländer Schützenfestsaison übereinstimmt, färbt sich das Gefieder der Quasselstrippenhähne grün und sie führen bei der Balz ihren berühmten Torkeltanz auf, um die Gunst der zuschauenden Hühner zu gewinnen.
Von der Ruhr ging es dann hinauf in die wunderschönen Arnsberger Wälder. Dieter hatte Hinweise bekommen, dass sich nicht weit von Wennigloh das geheime Versteck eines weiteren schrägen Vogels befinden würde: das Nest eines Blauen Fricklers (Avis Fuckeli). Nach zwei stärkenden Mettwürsten und anschließender geduldiger Suche entdeckten wir einen der scheuen Frickler beim Sammeln von Nistmaterial.
Die überaus geschickten Vögel sind dank einer flexiblen Daumenkralle in der Lage, selbst hochkomplexe Nestbauarbeiten in kurzer Zeit auszuführen, inklusive Strom- und Wasseranschluss. Früher hatte jeder Sauerländer Haushalt einen Blauen Frickler im Keller oder der Garage, heute sind sie leider selten geworden und müssen durch teure Handwerker ersetzt werden. Glücklicherweise hatte ich ein paar Schräubchen und Muttern zum Anlocken des munteren Gesellen dabei. Kurze Zeit später steckte er schon in meiner Expeditionskiste und wohnt seitdem in meinem Heizungskeller. Aber keine Bange, wenn er die Wärmepumpe angeschlossen hat, lasse ich ihn sofort wieder frei. Versprochen!
Für alle Sauerländer, die sich die schrägen Vögel und Sturköppe ihrer Heimat einmal aus der Nähe anschauen wollen, aber keine Zeit für Expeditionen haben, hat Dieter Blefgen die schönsten Exemplare aus Keramik nachgebildet und in seinem Atelier Am Alten Markt 12 in Arnsberg ausgestellt. Fernbesichtigung unter www.blefgen.de.