Schiefergeschichten: Sauerland, das Schieferland

Vom Ursprung der grauen Sauerländer Dächer

„In unseren Bergen sind mehr Löcher als in einem Kaninchengehege!“ Mit diesem Satz überrascht einer der Wanderer die übrigen Teilnehmer bei der Eröffnungswanderung auf dem neuen Bergmannspfad zwischen Sellinghausen und Heiminghausen: „Allein in den Berg, über den wir gerade gehen, führen vier Stollensysteme von verschiedenen Seiten hinein.“

Gestein, das sich in dünne Platten spalten lässt, ist eine nützliche Sache, vor allem, wenn die Platten auch noch robust und lange haltbar sind. Schon in der Römerzeit wussten das die Menschen zu schätzen. In Frankreich, auf den britischen Inseln, in Spanien und in Deutschland fand man solche „spaltbaren Felsen“. Aus dem althochdeutschen Wort dafür wurde unser heutiges Wort Schiefer. In Deutschland stieß man in der Eifel, im Hunsrück, in Thüringen und im Sauerland auf geeignetes Gestein.

Rheinisches Schiefergebirge

Wahrscheinlich schon im 7. Jahrhundert wurde im Raum Bad Berleburg der erste Schiefer systematisch abgebaut. Die erste Sauerländer Schiefergrube ist im Jahr 1590 in Antfeld nachgewiesen. Um 1700 begann man mit den Arbeiten in der Grube in Nuttlar, die heute noch als Schaubergwerk zu sehen ist. Das Rheinische Schiefergebirge bildet das Fundament des Sauerlandes. Oben auf den Bergen liegt oft bröckelige Grauwacke, aber darunter verbirgt sich mehr oder weniger guter Schiefer. „Ob man wirklich guten Dachschiefer findet, weiß man erst, wenn man nachschaut“, erklärt Michael Menn, der ehemalige Betriebsleiter der Grube Magog in Bad Fredeburg. „Bei bester Qualität kann man daraus Tischplatten, Fensterbänke und vor allem Dachschiefer machen. Ansonsten reicht es vielleicht zumindest für Gehwegplatten.“

Tischplatten, Fensterbänke und vor allem Dachschiefer

Michael Menn ist ein begeisterter Geschichtenerzähler und Chronist einer verschwindenden Welt. Am Küchentisch blättert er durch seine Fotosammlung, die gewaltige Bauwerke unter Tage, Bergleute bei schwerster Handarbeit und gewaltige Maschinen im Halbdunkel zeigt. Enge Stollen, spitz zulaufende Steinkathedralen, Stapel vermodernder Holzleitern und türkis-blaue Seen wechseln sich ab. Fast alles, was auf diesen Fotos zu sehen ist, existiert noch unter unseren Füßen, ist aber für alle Zeiten im Berg verschlossen. Die tieferen Gruben sind mit Wasser geflutet, die höhergelegenen durch nachrutschendes Gestein versiegelt. Nur an wenigen Stellen kann man die künstlichen Straßen, Hallen und Maschinen unter Tage noch erleben: in Nuttlar, in Willingen, in Raumland und – als Taucher – in Heiminghausen.

Dächer, die nicht brennen

Die Zeit, in der diese unterirdische Welt im Sauerland geschaffen wurde, beginnt in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Stadtbrände in Bad Fredeburg und Schmallenberg hatten den Menschen die Nützlichkeit nicht brennbarer Dächer zwar schon eher vor Augen geführt. Richtig Schwung nahm das Geschäft aber erst auf, als die Eisenbahn durchs Sauerland gebaut wurde. Mit ihrer Hilfe konnten die Sauerländer Gruben ihr schweres Produkt erstmalig über größere Distanzen verkaufen.

In fast jedem Dorf im Schmallenberger Sauerland wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Suchstollen in die Berge getrieben. Man suchte schöne, dunkelblaue Schieferschichten ohne braune Einschlüsse. Mindestens 20 Meter dick sollte eine Schieferschicht sein, damit sich der Abbau wirklich lohnte. Viele und lange Stollen mussten gegraben werden, um diese zu finden. Man suchte zuerst möglichst waagerecht über der Talsohle: „Wenn man nach unten geht, wird es immer teuer – wegen des Wassers.“ Irgendwann wurde man fast überall fündig und zahlreiche Gruben entstanden, wie: Gomer in Fredeburg, Adama in Kückelheim, Andreasgrube in Wormbach, Gute Hoffnung in Oberkirchen, Schellhorn in der Waldemei, Hubertus in Schmallenberg, Felicitas in Heiminghausen, Skävola in Siedlinghausen, Brandholz in Nordenau und Winterseite in Lengenbeck. Dächer und Wände der Sauerländer Häuser wurden grau und Sauerländer Schiefer wurde zu einem beliebten Qualitätsprodukt in ganz Deutschland.

Adama, Gomer, Schellhorn und Felicitas

1851 brauchte man in Bad Fredeburg einen neuen, kühlen Bierkeller. Elektrische Kühlschränke gab es noch nicht. In unterirdischen Stollen herrscht eine konstante, kühle Temperatur von 8 ºC. Ungefähr am unteren Ende der heutigen Schützenstraße grub man ein Loch in den Berg und stieß durch Zufall auf perfekte Schieferschichten. Die Erfindung des Streichholzes hatte zu dieser Zeit viele Fredeburger Schwammklöpper arbeitslos gemacht. Ihre Zunderschwämme wurden nicht mehr gebraucht und so standen ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung. Angesichts dieser günstigen Bedingungen beantragten die Fredeburger Bergbauunternehmer die Zuteilung von gleich 22 Grubenfeldern. Die Fläche, auf der sie eine Abbaugenehmigung bekamen, reicht vom ehemaligen Bahnübergang auf dem Weg nach Ebbinghof unter Bad Fredeburg hindurch nach Holthausen und parallel zum Sorpetal weiter bis nach Rehsiepen. Jedes der 22 Grubenfelder brauchte einen Namen. Da das Sauerland schon immer christlich geprägt war, fiel den Bergwerksgründern ein, dass Noah 22 Nachkommen hatte. So wurden die Grubenfelder nach Noahs Kindern und Enkelkindern benannt. Die heute noch in Bad Fredeburg betriebene Grube trägt deshalb den Namen von Noahs Enkel Magog.

22 Enkel von Noah

Abgebaut wurde der Schiefer zunächst in reiner Handarbeit, mit Schlegel und Eisen. Andere alte Techniken wie das „Feuersetzen“ waren tabu: „Fast in jedem Bergbau macht man einfach das Mineral kaputt, um an das heranzukommen, was drin ist: Eisen, Gold, Salz – was auch immer. Nur im Schieferbergbau muss der Stein heil bleiben. Das ist die Schwierigkeit“, erklärt Michael Menn. Während die Erfindung des Dynamits alle anderen Formen des Bergbaus revolutionierte, nutze Alfred Nobels Produkt den Schieferbergleuten nur beim Stollenvortrieb. Im eigentlichen Abbau konnte bestenfalls Schwarzpulver verwendet werden, „weil es sanfter Bumm macht und weniger kaputtgeht“. Neben dem puren Einsatz von Muskelkraft mittels Schlegel und Eisen entwickelte sich als zweite Abbautechnik der Firstenstoßabbau: Unter dem Einsatz von Schwarzpulver gruben sich die Bergleute von einem tiefen Stollen aus langsam aufwärts. Der herabfallende Schutt bildete den Boden für die Arbeit am nächsten Tag. Gesprengt wurde immer zum Schichtende. „Bei dem, was nach dem Bums der Sprengschüsse herunterkam, wusste man schon, ob es am nächsten Tag was zu bearbeiten gab oder nicht: Hat es kräftig gescheppert, weiß man, dass der Fels kaputtgegangen ist. Kommt nur ein weiterer Bums, ist der Schieferblock abgebrochen und liegt zum Abtransport bereit. Kommt nichts, hat man am nächsten Tag auch nichts zu bearbeiten.“ Deshalb nahm man zum Schichtende meist an mehreren Stellen Sprengungen vor, damit am nächsten Tag Blöcke zum Spalten vorhanden waren: „Die Grube muss den Spaltern über Tag immer frisch liefern, denn die Spaltbarkeit geht verloren, wenn die Bergfeuchte aus dem Stein verschwunden ist“, erklärt Michael Menn.

Einsturzgefahr?

In der Firstenstoßtechnik gruben sich die Bergleute im Berg langsam nach oben. Blieben mindestens 40 Meter Gestein über dem Grubengebäude stehen, kann man – bis heute – beruhigt sein und braucht keine Angst vor sogenannten Tagesbrüchen zu haben. Löcher, die sich plötzlich im Boden auftun, sind dann eher unwahrscheinlich. Es ist sehr beruhigend, dass die meisten Sauerländer Gruben tief in den Bergen liegen. Allerdings gilt das nicht für alle. In Bad Fredeburg zum Beispiel hat man in der Grube Gomer (noch ein Enkel Noahs) leider zu weit nach oben gegraben. 1976 kollabierte das ganze Grubengebäude. Am Hang oberhalb der heutigen Schützenstraße kam es zu Tagesbrüchen. Trotzdem wurde auf dem angrenzenden Gelände ein Hotel gebaut. Das Gebäude wurde in den 80er Jahren vom Sozialwerk St. Georg genutzt. 1990 verschwand es im Erdboden. Die Bewohner konnten sich glücklicherweise rechtzeitig in Sicherheit bringen.

Das ist eine Schiefergeschichte für zukünftige WOLL-Ausgaben, ebenso wie dieser Aspekt: Vor allem in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges bekamen die Sauerländer Schiefergruben noch einmal eine ganz neue Bedeutung. Unter dem Beschuss der Alliierten flüchteten sich die Menschen in die Stollen und harrten dort zum Teil mehrere Tage aus. „Der Bürgermeister und der Pfarrer saßen in einer Art Holzhäuschen in der Grube. Die übrigen Leute wurden nass vom heraustropfenden Wasser“, berichtet Michael Menn. Wenn viele Leute in einem engen Stollen Schutz suchten, wurde die Luft oft knapp. Und keiner wusste, was ihn über Tage erwarten würde.

Auf und Ab des Schieferbergbaus

Nach dem Krieg wurde zunächst wieder viel Schiefer für den Wiederaufbau benötigt. Aber dieser Boom währte nur kurz. Der Niedergang des deutschen Schieferbergbaus begann in den 60er Jahren mit der Erfindung des Kunstschiefers. Eine Grube nach der anderen wurde geschlossen. Heute wissen wir, dass Kunstschiefer nicht die beste Idee war. Das stark asbesthaltige Material muss als Sondermüll teuer entsorgt werden und wer ihn abbrechen will, muss Schutzkleidung und Atemmaske tragen, denn der Staub ist extrem krebserregend. Glücklicherweise währte die Phase des Kunstschiefers nur kurz. In Spanien in Steinbrüchen über Tage gewonnener Schiefer ist noch kostengünstiger und hat den Kunstschiefer bald wieder verdrängt.

Ab 1979 begann sich eine neue Abbautechnik durchzusetzen, zu deren Entwicklung die Grube Magog einiges beigetragen hat. Statt kleine Blöcke abzusprengen und auf Gleisfahrzeugen nach über Tage zu transportieren, kamen nun große Sägen und hydraulische Spaltfahrzeuge zum Einsatz. Die Arbeit wurde sehr viel ungefährlicher und war seither mit deutlich weniger Personal zu schaffen. Diese Abbautechnik wird bis heute eingesetzt. „Bei diesem Verfahren sind weitere Tagesbrüche extrem unwahrscheinlich“, versichert Michael Menn.

Die heutige Grube Magog ist die letzte verbliebene Schiefergrube in Deutschland. Verarbeitet wird dort selbstabgebauter heimischer Schiefer ebenso wie spanischer Schiefer. Neue Produkte sichern die Zukunft des Unternehmens. Die Technik, Schiefer so hauchdünn zu schneiden, dass er biegsam wird, eröffnet ganz neue Märkte – vor allem bei hochwertigen Designprodukten.