Quelle: Christoph Steinweg / LWL
Der Paläontologe Achim Schwermann sorgt dafür, dass die urzeitlichen Funde aus Balve international beforscht werden – auch im Winterhalbjahr.
Wir kennen diese Bilder aus fesselnden Blockbustern oder faszinierenden Dokumentationen: Zähe, sonnengegerbte Forscher hocken irgendwo im Nirgendwo über einem komplett erhaltenen Dinosaurierskelett, fegen nur noch rasch ein paar Sandkörner von dessen Hüfte, und schwupps: Schon wieder wurde eine neue Art entdeckt! Kurz darauf erscheint ein reicher Mäzen an der Grabungsstelle und bittet die unterbezahlten Wissenschaftler um die Begutachtung eines Parks voller lebender urzeitlicher Kreaturen.
In Wahrheit gestaltet sich das Geschäft der Wirbeltierpaläontologie weitaus mühsamer. Und lohnt sich trotzdem, weiß der Paläontologe Dr. Achim Schwermann vom LWL – Museum für Naturkunde in Münster: „Wenn nach der Grabungssaison die Fundstellen wieder abgedeckt sind, nachdem die letzten Gerätschaften zurück in unseren Kellern verstaut sind, beginnt für uns hier die Arbeit hinter den Kulissen. Da ist ganz wenig mit Däumchen drehen.“
„Da ist ganz wenig mit Däumchen drehen“
Das LWL- Museum für Naturkunde wird bewacht von zwei lebensgroßen Dinosauriern der Gattung „Triceratops“, die den Menschen seit 133 Jahren aus Nordamerika bekannt ist. Bei uns im Sauerland hat es sie nie gegeben. Gut 60 Millionen Jahre, bevor Triceratops auf der Bildfläche erschien, hatte sich auch im heutigen Sauerland ein verflochtenes Lebensnetz gebildet. Deutschland wäre dem Zeitreisenden als kleingegliederte Insellandschaft erschienen, umgeben von einem warmen Flachmeer. Durch Sümpfe und Dschungel im Inland größerer angrenzender Festlandmassen schlängelten sich breite Flüsse, die ausufernde Mündungsdeltas bildeten. Pflanzenfressende Iguanodons, kleine Raptoren und mittelgroße Fleischfresser sowie Krokodile, Schildkröten, schleimige Amphibien und – wirklich wahr! – winzige Säugetiere, also unsere Urahnen, bevölkerten diese Landschaften. Und, wie man heute weiß, auch Vertreter der ikonischen Langhalsdinosaurier, im Fachjargon Sauropoden genannt.
„Mein Kollege Jahn Hornung hat in der Sammlung der Knochenfragmente aus Balve Sauropoden-Material entdeckt“, freut sich Achim Schwermann, „es sind die ersten Nachweise dieser Tiergruppe in Gesteinen aus dem Sauerland überhaupt. Wir haben Wirbelfragmente und vermutlich auch Teile der Handknochen entdeckt.“ Eine faszinierende Vorstellung: Wo heute die sanfte Hügellandschaft des Sauerlandes Wanderfreunde, Skibesessene oder Feinschmecker erfreut, gingen auch diese sanften, bis zu 20 Meter langen, pflanzenfressenden Riesen ihrem Alltagsgeschäft aus Fressen, Schlafen, Fressen, Fortpflanzung, Fressen, Verteidigung und noch viel mehr Fressen nach.
„Die leblosen Überreste dieser Tiere wurden, angenagt und zerrissen von Aasfressern und teils schon halb verwittert und zerbrochen, bei Hochwasser in die Flüsse und von diesen zum Teil in unterirdische Höhlensysteme gespült, in denen sie sich, umgeben von feinkörnigem Sediment, absetzten“, schildert Schwermann den nicht ganz so glamourösen Weg der Knochen der schillernden „Donnerechsen“.
Was mit Tonschabern, Schweiß, Sonnenbrand, wund gescheuerten Knien und schrumpelig geschlämmten Händen mühsam dem Balver Steinbruch abgetrotzt wurde, unterliegt außerhalb der Freiluftsaison genauer Begutachtung.
Forschung mit dem Teilchenbeschleuniger
Dabei rücken Schwermann und seine Kolleginnen und Kollegen dem Material mitunter nicht nur mit Druckluftstichel und Bohrer zu Leibe, sondern auch mit hochmodernen Teilchenbeschleunigern. „Ein solcher steht in Karlsruhe. Hier untersuchen meine Mitstreiter und ich aktuell gemeinsam insbesondere kleine Raubsaurier- und Krokodilzähne. Bisweilen sind diese anhand äußerer Strukturen schwer voneinander zu unterscheiden. Wir untersuchen daher zerstörungsfrei den inneren Aufbau auf der Suche nach eindeutigen Merkmalen.“
Achim Schwermann forscht nicht nur selbst, er versorgt auch internationale Expertenteams mit Funden aus den Balver Höhlenfüllungen. „In Bonn kümmern sich Kollegen um die Säuger, die Schildkrötenteile gehen in die Schweiz, und auch in Warschau warten sie schon auf neues Futter. Mit einem Forscher aus St. Petersburg standen wir in sehr gutem Austausch, was die Balver Amphibien angeht, aber man kann sich vorstellen, dass diese Kooperation gerade leider etwas stockt.“
Auch vor der Wirbeltierpaläontologie machen die aktuellen politischen Entwicklungen also keinen Halt. Achim Schwermann versucht, sich davon nicht allzu sehr entmutigen zu lassen. In der Wintersaison schafft er neben der konkreten Forschung auch einiges an Verwaltungskram weg. „So, wie sich bei der Ablagerung von Sedimenten Schichten bilden, haben sich über den Sommer auf meinem Schreibtisch Schichten von Papier gebildet, die ich jetzt abtragen darf“, schmunzelt er, „die nächste Grabungssaison gehört geplant, die Finanzierung geklärt, die Artikel zu den Forschungsergebnissen veröffentlicht.“
Sagt´s und verschwindet in den Katakomben des LWL-Naturkundemuseums, wo vielleicht schon die nächste spannende Entdeckung auf ihn wartet.