Sauerländer Bräuche: Wer hat meine Braut geklaut? – Brautentführung

aus „Voll die Bräuche, woll!“ von Michael Martin

Wo? Überall im Sauerland
Wann? Am Tag der Hochzeit

Yoko Ono hat einmal gesagt, dass alle Männer auf der Suche nach der idealen Frau sind – vor allem nach der Hochzeit.

Entweder meinte dem Lennon seine Olle das sarkastisch oder sie bezog sich auf die alte Sauerländer Sitte der Brautentführung. Vielleicht hat die Plastic Ono Band ja irgendwann mal in Schliprüthen oder Mosebolle bei einer Hochzeit aufgespielt und die Brautentführung nach der Hochzeit live miterlebt. Muss demnächst mal Yoko fragen.

Die Entführung funktioniert jedenfalls ganz einfach und sorgt immer wieder für eine willkommene Abwechslung auf jeder Hochzeitsfeier. Mitten im Trubel ist die Braut plötzlich weg! Gute Freunde oder männliche Verwandte haben die frisch Vermählte kurzerhand entführt. Und zwar nicht, wie echte Sauerlandkenner unter den Lesern bereits ahnen, in einen romantischen Schlossgarten oder eine exklusive Wellness-Oase, sondern in eine stinknormale Kneipe. Prost! Während die Braut mit den Entführern ein leckeres Pils oder einen delikaten Foffo (Weinbrand-Cola) zischt, macht sich der jäh verlassene Bräutigam auf die Suche nach seiner Frau. Um das Ganze zu erschweren, wechseln die Entführer nach jedem Getränk das Lokal und latzen dabei die Zeche nicht. Stürmt der suchende Gatte später herein, findet er statt seiner Frau überall nur offene Rechnungen – ein Gefühl, das erfahrene Ehemänner vom Shopping gut kennen.

Damit die Brautsuche nicht endlos dauert, hinterlassen die Entführer kleine Hinweise, um die Suche etwas zu erleichtern. Findet der Bräutigam so endlich seine Angebetete, muss er sie mit einer Runde Schnaps freikaufen oder sie durch das Erfüllen einer Aufgabe auslösen. Zum Beispiel durch einen Handstand auf der Theke, das Singen einer schlimmen Kuschelrocknummer oder die lebenslange Verpflichtung zum Müllraustragen.

Die Tradition der Brautentführung soll auf das Jus primae Noctis im Mittelalter zurückgehen. Angeblich hatten Adlige damals das Recht, weibliche Untergebene in der Hochzeitsnacht von Vasallen entführen zu lassen, umsie dann persönlich zu entjungfern. Die Braut, nicht die Vasallen, versteht sich.

Wie dem auch immer sei – so eine Brautentführung ist einfach ein großer, traditioneller Spaß, vor allem für die Entführer und die Braut. Es kommt allerdings auch vor, dass der sauerländisch-sture Bräutigam keinen Bock hat, seine Frau zu suchen. So kann er Hochzeit und ersten Ehekrach am selben Tag erleben und schon mal das ausführliche Streiten für die Zeit bis zur Scheidung üben. Oder es geht ihm wie dem dösigen Mann von Tante Inge, der seine entführte Braut einfach nicht fand. Derweil verknallte sich Inge in einen ihrer Entführer und übte mit ihm auf der Damentoilette der Poststube schon mal für die Hochzeitsnacht. Das sollte, wie sich später herausstellte, kein guter Start ins Eheleben sein.