Sauerländer Bräuche: Vaterglück – Vatertagstour

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aus „Voll die Bräuche, woll!“ von Michael Martin

Wo? Überall im Sauerland
Wann? Auf Christi Himmelfahrt

Auf Christi Himmelfahrt wird auch bei uns im Sauerland traditionell der Tag der Väter gefeiert. Und da der echte Sauerländer ein religiöser Mensch ist, hält er sich streng an das Grundthema des Feiertages und nimmt an einem echten Himmelfahrtskommando teil, der sogenannten Vatertagstour. Zu einer zünftigen Vatertagstour gehört eine minimale Grundausstattung, bestehend aus einem Bollerwagen, einem Kasten Bier pro Teilnehmer und mindestens einer Flasche einer ortsüblichen, lauwarmen Spirituose. Bei der Ausschmückung des Tourwagens sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt, solange ausschließlich wahllos abgerupftes Grünzeug und die Deutschlandwimpel von der letzten WM verwendet werden. Alles andere wäre ja auch Karneval, woll.

Ausdrücklich nicht erwünscht sind Kompass, Wanderkarte und gesunder Menschenverstand, die als echte Spaßbremsen gelten. Im Mittelpunkt der Aktion stand angeblich mal der Gedanke, Söhnen und sonstigen jungen Stechern in die geheimnisvolle Männerwelt ihrer Väter und Onkel einzuführen. Ich vermute allerdings, dass man die Jungs nur mitnahm, um die Bollerwagen bergaufzuziehen.

Los geht es also, meist auf einer den Teilnehmern bekannten Waldstrecke. Während früher das Intonieren von bekannten Wanderliedern mit zum Tourprogramm gehörte, werden heute anspruchsvollere Melodien und Texte bevorzugt. Man singt über Verwandte, die im Hühnerstall Motorrad fahren, zehn kleinen Jägermeister oder die Getränkesituation auf der Südseeinsel Hawaii.

Der holprige Untergrund sowie die zahreichen Berge unserer Heimat (2.711 sind es, um genau zu sein!) sorgen bei den Tourteilnehmern für einen überdurchschnittlichen Energieverbrauch, der ständiges Nachtanken erfordert.

Spätestens nach einer Stunde rastet die Truppe zur ersten ausgiebigen Pinkelpause, bei der noch klassisch (eine Hand auf der Hüfte, eine Hand am Auslassstutzen) gepinkelt wird. Zwei Berge und drei Flaschen später beginnt Phase zwei (eine Hand an der Fichte, eine Hand am Stutzen), die sukzessive in Phase drei übergeht (eine Hand an der Fichte, eine um die Flasche Bier). Ab Phase vier (Kopf an der Fichte, beide Hände am Stutzen) wird das Tourziel korrigiert und eine Abkürzung gesucht.

Ohne Wanderkarte und Kompass erweist sich diese Suche oft als nicht so ganz einfach, vor allem nicht, wenn alle schwer strunzelig sind und denWald vor lauter Bäumen nicht sehen.

Dem mutigsten Vater bleibt es dann überlassen, die Führung der Truppe zu übernehmen: „Ich glaub, wir müssen da lang!“ Kurze Zeit und weitere Fehlentscheidungen später erreicht man dann einen unbekannten Bach ohne Brücke, bei dessen Überquerung der Bollerwagen einen irreparablenAchsschaden erleidet. Die Dämmerung bricht an, das Bier ist alle und wegen eines sauerlandtypischen Funklochs kann keine Hilfe per Handy gerufen werden. Während die Männer Brennholz für die kalte Nacht sammeln, entdeckt immer einer der Jungs das rettende Wanderzeichen nach Hause. Kurz vor Mitternacht poltern dann überall im Sauerland lädierte Bollerwagen aus den Wäldern, gezogen von müden Rambos mit roten Augen undModder an den Stiefeln. Bevor die Väter sich trennen, reicht man sich feierlich die Hand, stellt fest, dass die Vatertagstour mal wieder absolute Spitze war und verabredet sich schon für das nächste Jahr. Na denn: Prost!

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