Sauerländer Bräuche: Topfsache – Fleischwurstessen

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aus „Voll die Bräuche, woll!“ von Michael Martin

Wo? Überall im Sauerland, zum Beispiel in Schalksmühle
Wann? Immer dann, wenn ganze Kerle richtig Kohldampf haben!

Schon in der Bibel steht geschrieben: „In der allergrößten Not schmeckt die Wurst auch ohne Brot.“

Und zwar in dem Teil, in dem bei der wunderbaren Brotvermehrung die Hostien gerade alle waren und der Herr in seinerNot einen großen Pott Fleischwurst aus Schalksmühle kommen ließ. Denn dort, so wie in vielen Orten des Sauerlands, hatte die brotlose Kunst des puren Warmwurstverzehrs direkt aus dem Kochtopf seit Generationen einen festen Platz in der Verköstigung hungriger Feuerwehrtrupps, Fußballvereine und sonstiger Männerclubs.

Das Rezept für ein gelungenes Fleischwurstessen ist so einfach, dass es selbst mein Onkel Horst, der mit der dicken Brille und der Vollmeise, unfallfrei nachkochen konnte. Man nehme: einen Topf, reichlich Wasser, jede Menge Fleischwurstkringel. Wasser in den Topf, Würste ins Wasser, alles zum Sieden bringen, bis dieWürste warm sind. Fertig ist die Laube. Dabei das Wasser niemals kochen lassen, sonst platzt den Würsten der Darm und den Wartenden der Kragen, weil die Wurst ihren leckeren Geschmack verliert. Während ein Fleischwurstessen früher die Belohnung für ein gewonnenes Auswärtsspiel, einen gelöschten Schwelbrand oder die vollzählige Rückkehr vom Deutschen Turnfest war, findet es in vielen Sauerländer Vereinen heutzutage auch bei regelmäßigen Jahrestreffen immer mehr Anklang. Klar, denn sollte das Gewinnen oder das Löschen mal längere Zeit ausfallen, gäbe es schließlich keine leckere Fleischwurst, woll.

Als Beilage eignen sich Brot und Senf. An dieser Stelle muss ich allerdings warnen: Wer zu viel Brot isst, schafft weniger Wurst. Und wer nicht mindestens einen Kringel verputzt, ist voll das Weichei. Das ist die eherne Regel! Wahrscheinlich gibt es deswegen auch nur so wenige Vegetarier in den Sauerländer Löschzügen. Bei der Senfwahl scheiden sich die Geister, die einen stehen auf süßen, die anderen auf mittelscharfen oder Löwensenf. Im Zweifelsfall empfehle ich den Senf, der am meisten Durst macht, denn zu einem zünftigen Fleischwurstessen gehören natürlich – welch Überraschung – ein paar Schachteln Pils. Und wenn du dann neben dem dampfenden Kessel im alten Spritzenhaus oder unter einem klatschnassen Sonnenschirm auf einem verregneten Parkplatz stehst und links die Wurst statt des Reichsapfels und rechts die Pulle statt des Zepters hältst, dann weißt du, was man im Sauerland unter königlichem Genuss versteht!

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