Sauerländer Bräuche: Ausgeschnattert – Gänsereiten

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aus „Voll die Bräuche, woll!“ von Michael Martin

Wo? In Drolshagen-Bühren
Wann? Am ersten Septemberwochenende

Im Sauerland werden seit Jahrhunderten die größten Gänse der Welt gezüchtet. Die Viecher sind solche Kaventsmänner, dass sie von professionellen Gänsejockeys geritten werden können und bei internationalen Turnieren sogar gegen Pferde antreten. Außer beim Springreiten, weil sie da immer über die Hindernisse flattern und disqualifiziert werden.

Ist natürlich frei erfunden! Aber das Gänsereiten gibt’s wirklich, und zwar immer am ersten Septemberwochenende in Bühren bei Drolshagen. Und natürlich wird hier nicht auf Gänsen geritten, sondern unter ihnen her. Dabei versuchen wagemutige Reiter von ungesattelten Pferden aus, einer Gummigans den Kopf abzureißen. Früher waren in Bühren beim Gänsereiten wirklich noch tote Gänse im Spiel, doch seit 1988 ist das offiziell verboten. Irgendwo muss man ja ethische Grenzen ziehen.

Das Festwochenende beginnt freitags mit der Aufführung eines Theaterstücks. Am Samstag folgen ein Festzug und, der Sauerlandkenner hat es schon geahnt, der Einmarsch in ein Festzelt mit reichhaltigem Getränkeangebot. Es folgt ein fließender Übergang in den Sonntag mit Kirchgang und Frühschoppen, wo weiter fröhlich geschnasselt und geschnattert wird. Nachmittags ziehen Kind, Kegel und Pferde von Dumicke nach Bühren, wo dann das Gänsereiten den festlichen Höhepunkt setzt. Diese seltene Form des Reitturniers wurde angeblich im Dreißigjährigen Krieg von spanischen Soldaten erfunden, die Langeweile, ein paar Gänse und wahrscheinlich eine Schraube locker hatten. Sie hängten zum Spaß eine lebende Gans zwischen zwei Bäumen an den Füßen auf und versuchten dann, ihr im Galopp den Kopf abzureißen. Eine echte, wenn auch tote Gans benutzt man bis heute beim Gänseritt in Wattenscheid. Ihr wurde der Hals noch schön mit Schmierseife eingefettet, um das Abreißen schwerer zu machen. Dieses würdelose Schauspiel ist absolut nichts für tierliebende Zuschauer mit schwachen Nerven und sorgt regelmäßig für Ärger mit aufgebrachten Tierschützern.

Die Bührener sind, wie fast alle Sauerländer, natürlich längst im 21. Jahrhundert angekommen und nehmen statt echter Gans eine Attrappe aus Gummi, die an einem Metallgerüst bammelt. Ist doch viel schöner, als wenn die Federn stieben, oder? Die modernistische Gansattrappe erhöht die Veranstaltung außerdem zum modernsten Gänsereiten der Neuzeit, wie der Reiterverein Bühren stolz verkündet. Ganz zeitgemäß können selbstverständlich auch Reiterinnen am Wettkampf teilnehmen. Vielleicht sollte ich da meine Frau mal anmelden, die hat mir schon oft wegen irgendwelcher Kleinigkeiten den Kopf abgerissen. Damals zum Beispiel, als ich ohne Unterbuxe vom Schützenfest nach Hause kam: Aua! Zurück nach Bühren: Wer von den geschickten Reitern als Erster den Gänsekopf aus dem Galopp heraus abreißt, hat gewonnen. Das ist viel schwerer, als es sich anhört, und es kommt immer wieder zu spektakulären Stürzen.Videokamera also nicht vergessen! Den Gänsereitfans wird allerbestes Entertainment geboten.Wer stattdessen lieber gans gemütlich ein gans, gans leckeres Pils zischen will, der sattelt die Hühner und reitet zurück ins Festzelt. Gack, gack, hüh!

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