Sandstein im Originalzustand

Die Renovierung der Pfarrkirche in Oberkirchen

Hermann Jahn von der auf die Renovierung historischer Bausubstanz spezialisierten Firma Wibbeke aus Geseke ist Steinmetz aus Leidenschaft. Schon als Kind hat er sich gefragt, wie man all die schönen Ornamente und Figuren aus dem Stein herausholen kann, die an alten Gebäuden zu sehen sind. Dass es nicht ganz so einfach ist, wie wohl Michelangelo einst sagte („Eine Löwenskulptur zu meißeln ist nicht schwierig: Hau einfach alles weg, was nicht wie ein Löwe aussieht.“) war ihm schon klar. Drei Jahre dauerte seine Spezialausbildung. In sieben Berufsjahren bei der Firma Wibbeke hat er dann all die historischen Handwerkstechniken erlernt, die Generationen von Steinmetzen vor ihm in die Lage versetzt haben, Kunstwerke zu schaffen, die uns immer noch begeistern. Mit viel Respekt und Geschick steht er heute vor diesen Werken und sorgt ganz behutsam dafür, dass sie auch künftige Generationen begeistern können. Seinem Geschick und seinem Sachverstand sind nun die Portale der Oberkirchener Pfarrkirche anvertraut.

Keine Kirche ohne Handwerker

In über drei Jahrhunderten haben Generationen von Handwerkern ihre Spuren in der Pfarrkirche St. Gertrudis in Oberkirchen hinterlassen. Es war schon der vierte Kirchenbau, der in den Jahren 1665 und 1666 in Oberkirchen entstand. Den Turm übernahm man vom Vorgängerbau. Der Rest sollte neu und zeitgemäß werden. Bauherren, Architekt und Handwerker hatten einen klaren Gestaltungswillen: so viel barocke Prachtentfaltung, wie es das Budget hergab. Schon die Auswahl des Baumaterials sollte zeigen, dass man in Oberkirchen nicht hinterwäldlerisch, sondern weltläufig war, dass man es sich leisten konnte, so zu bauen, wie die wirklich Wichtigen, Reichen und Mächtigen der Zeit bauten: in rotem Mainsandstein. Welch ein Aufwand war es, mit den Ochsenfuhrwerken des 17. Jahrhunderts über unbefestigte Straßen Sandsteine aus der Mainregion ins Sauerland zu bringen, um hier die Portale der Kirche damit zu gestalten!

Ein wertvolles Gotteshaus bedarf ständiger Pflege. Handwerker aus drei Jahrhunderten kamen und gingen, renovierten und gestalteten um. Gotische Elemente erschienen im 19. Jahrhundert in der Kirche und verschwanden im 20. Jahrhundert wieder. Der Mainsandstein blieb. Gerade an diesem weichen, leicht zu bearbeitenden Stein nagt aber der Zahn der Umwelteinflüsse und das immer unsanfter, je weiter das Industriezeitalter fortschreitet. Schon seit Jahren war dem Kirchenvorstand in Oberkirchen klar: eine Renovierung tut Not! Ein aufmerksamer Beobachter sah die Verwitterung des Sandsteins. Viel weniger Aufmerksamkeit war nötig, um die stark mit schwarzen Striemen verunzierte Westfassade des Kirchturms zu entdecken. Das Sauerländer Bauchgefühl sagte: Da nimmt man am besten mal ein paar Töpfe Farbe und löst das Problem. Im Dorf hätten sich zweifellos Freiwillige und Spender dafür gefunden. Aber so einfach ist das bei einem wertvollen, historischen Baudenkmal nicht. Jeder Handgriff muss genau abgewogen werden. Jeder Pinselstrich ist eine Veränderung, die festlegt, wie die Kirche künftigen Generationen für die nächsten Jahrhunderte übergeben wird. So muss die Farbe für den Außenanstrich zur Entstehungszeit des Bauwerks passen und darf das Materialklima im Mauerwerk nicht verschlechtern. Das Denkmalamt, der Landschaftsverband Westfalen Lippe und das Erzbistum Paderborn geben den Rahmen vor und müssen Genehmigungen erteilen.

Originalzustand treubleiben

Ulrich Didam, Schreinermeister aus Oberkirchen und Vorsitzender des Kirchenvorstands, macht gerade eine Zusatzausbildung zum Restaurator. Das schärft seinen Blick für die Verantwortung bei der Renovierung von etwas so Altem und Wertvollem. Wer sein Eigenheim renoviert, überlegt sich, wie er es gerne hätte, und legt dann los, alleine oder mit Handwerkern. Aber was ist die Zielvorstellung bei einer Kirchenrenovierung? Alles wieder in den Zustand zurückversetzen, wie es war, als die Kirche neu war? Das würde bedeuten, Spuren des Gebrauchs, des Geschmacks und des künstlerischen Ausdrucks aus den auf den Neubau folgenden Jahrhunderten zu beseitigen, Spuren, die uns heute vielleicht wertlos erscheinen. Zukünftige Generationen sehen das aber möglicherweise ganz anders. Legt man Fresken frei, entfernt man den Putz darüber. Aber welche Putzschicht ist wertvoll und welche wertlos? „Der Originalzustand ist immer das, was man aktuell vorfindet, und da sollte man so dicht wie möglich dranbleiben“, ist der Grundsatz von Ulrich Didam. „So viel Geschichte wie möglich muss erhalten bleiben.“ Andererseits muss das Bauwerk aber auch gepflegt und in seiner Substanz erhalten werden. Detail für Detail muss der Kirchenvorstand zusammen mit den Fachleuten über das Vorgehen entscheiden.

In den kleinsten Details trifft diese Entscheidungen der Handwerker. Der Steinmetz Hermann Jahn nimmt sich jeden Sandstein einzeln vor. Ist die Substanz noch gut, macht er ihn nur etwas sauber und lässt ihn ansonsten mit allen Spuren der Zeit so, wie er ist. Hat er kleinere Schäden, kann er eine farblich vom Sandstein nicht zu unterscheidende Ausbesserungsmasse aufbringen – „Antragen“ heißt das in der Fachsprache. Für Hermann Jahn ist das aber die unbeliebteste Lösung: „Da bringe ich wirklich etwas Neues auf. Das wollen wir ja eigentlich nicht.“ Lieber tauscht er notfalls einen Stein komplett aus und bearbeitet ihn von Hand, genau in der Technik, in der Jahrhunderte zuvor sein Kollege den nun ausgetauschten Stein bearbeitet hat. Auf die Frage, ob das nicht noch viel mehr Neues am alten Bauwerk sei, hat er eine überraschende Antwort: „Der Sandstein, den ich jetzt einsetze, ist genau so viele Jahrmillionen alt wie der, den ich entferne. Die sind genau gleich alt. Historisch ist nicht der Stein, sondern sind die Hübe des Steinmetzes, der ihn einmal bearbeitet hat. Wenn die alten Arbeitsspuren und Gestaltungsformen aber weg-verwittert sind, ist es nur noch ein Stück Sandstein wie jeder andere aus dem Steinbruch.“ Mit Hammer und Meißel gibt er den neuen-alten Steinen wieder die Form der Barockzeit. Mit ungeheurem Geschick hinterlässt jeder Hub seines Hammers genau die Spuren, die die Handwerker auch vor drei Jahrhunderten hinterlassen haben. Hoffentlich machen sich diejenigen, die ihm in ein paar Jahrhunderten nachfolgen, genau so viele Gedanken und gehen mit genau so viel Sachverstand ans Werk.