Rinder, springende Fische und 25 Menschen

Jeder kennt jeden in Nierbachtal 

„In unserem Dorf kennt jeder jeden“. Eine solche Aussage kann man wohl nur dann machen, wenn es sich um einen kleinen Ort handelt. Mit 25 Bewohnern ähnelt ein Dorffest einer mittleren Familienfeier. Zwölf Wohnhäuser, eine Dorfstraße und ein bisschen was drumherum – und natürlich der Bach, der Namensgeber für den Ort war. Richtig: Wir sind im Nierbachtal. 

Mal ehrlich, liebe Leser, waren Sie schon mal im Bestwiger Ortsteil Nierbachtal? Im Normalfall huscht man oberhalb des Ortes auf der Umgehungsstraße daran vorbei. Abgeschirmt von viel Natur sind beim Blick nach unten die Gebäude zu erkennen, aber dann ist man auch schon wieder dran vorbei. Die Abzweigung hinunter nimmt normalerweise nur, wer im Nierbachtal wohnt.  Normalerweise – ja, es gibt Ausnahmen. In den Wochen vor Weihnachten herrscht Hochbetrieb, denn dann brummen Lkw zur örtlichen Baumschule, um von dort aus ganz Deutschland mit sauerländischen Christbäumen zu versorgen. Danach kehrt wieder Stille ein.  

Bastian Winkler, Annette Kotthoff, Michaela Droste und Wilhelm Droste an einer mit „Dorfplan“ bemalten Bank (Dorfmitte)

Mehrere Generationen unter einem Dach 

Michaela Droste wohnt eindeutig gern hier. „Ich möchte mir keinen anderen Wohnort vorstellen, auch wenn ich ‚nur‘ eingeheiratet habe“, erzählt sie. Drei Generationen leben im Droste-Haus. „Bei uns ist immer etwas los“, fügt Tochter Julia hinzu. Das kann auch Opa Wilhelm bestätigen. „Es ist schön, die Enkel in der Nähe zu haben. Wir haben ja viel Platz hier im Haus und drumherum“, findet er.  

So manche Hochzeitsfeier fand im Pferdestall statt 

Nachbarin Annette Kotthoff hat mit ihrer Familie über lange Zeit die Gaststätte im Ort geführt. „Auch das brachte Leben ins Dorf“, erinnert sie sich. „Wir hatten uns hauptsächlich auf Gruppen konzentriert. So manche Geburtstags- oder Hochzeitsfeier hat hier bei uns im umgebauten Pferdestall stattgefunden. Irgendwann wurde es für uns aber aus Altersgründen zu viel; Corona kam dann auch noch hinzu. So haben wir uns zur Schließung der Gastronomie entschlossen. Die Erinnerungen an die schönen Zeiten bleiben uns ja erhalten.“  

Starkregen, Hochwasser und schwimmende Torten 

Nun, auch aufregendere Zeiten gab es hier einst. Michaela Droste erinnert sich noch gut an den 10. Juni 2007, als der Ort von Hochwasser betroffen war. Eine Markierung in der Gaststätte zeigt den Höchststand bei 145 Zentimetern. „Wir haben damals die Taufe unserer Tochter gefeiert und wurden durch den Starkregen und das steigende Wasser völlig überrascht. Ich vergesse nie das Bild von den wegschwimmenden Festtagstorten“. Heute kann sie darüber lachen.  

Glasfaser gegen Funkstille – Technik auf dem neuesten Stand 

Annette Kotthoff weiß auch so manche Dönekes zu erzählen von der Zeit mit ihren Gästen. „Für viele brach eine Welt zusammen, wenn sie merkten, dass wir im Nierbachtal keinen Mobilfunkempfang hatten. Das war andererseits bestimmt auch ein Grund dafür, dass die Feiern ohne den ständigen Blick aufs Handy oft zu einem besonderen Erlebnis wurden.“ Doch auch hier im Tal hat die Entwicklung der Technik nicht Halt gemacht – inzwischen gibt’s schnelles Internet über Glasfaserkabel.  

Wald, Rinder und springende Fische 

Ohne diese Neuerung wäre es für Bastian Winkler kaum möglich gewesen, seinen Lebensmittelpunkt hierher zu verlegen. „Als gebürtiger Olsberger habe ich jahrelang in Düsseldorf gelebt und gearbeitet. Aber es hat meine Freundin und mich wieder ins Sauerland gezogen, nicht zuletzt wegen der Überlegungen, welche Vorteile es für heranwachsende Kinder hat. Und da ich meinen Job auch gut vom Homeoffice aus erledigen kann, entschieden wir uns für ein Haus im Nierbachtal. Das war eine gute Entscheidung, denn wir sind hier offen aufgenommen worden; bringen uns aber auch selbst gern in die Dorfgemeinschaft ein. Mit diesem Schritt haben wir Lärm, Smog und Lichtverschmutzung durch den Wald direkt vor der Haustür ersetzt. Beim Blick aus dem Fenster sehen wir Kotthoffs Rinder oder – immer wieder spannend – den Kormoran beim Versuch, einen der springenden Fische in den Teichen zu erwischen.“ 

Auf der Brücke über dem Nier-bach unterhalten sich Annette Kotthoff und Julia Droste

Ein Dorf wurde umgetauft 

Ja, die Fischteiche – aufgereiht wie Perlen an einer Kette werden sie von dem Bach bespeist, der Namensgeber für den Ort war. Doch das mit dem Namen war nicht immer so. Bis 1974 hieß das Dorf noch Grimlinghausen, genau wie ein anderer Ort in der Nähe. Im Zuge der Gemeindereform wurde deshalb die Umbenennung erforderlich. Wo anderenorts nur Straßennamen geändert wurden, musste sich hier der ganze Ort umgetauft werden. Wilhelm Droste erinnert sich: „Wir haben damals viele Ideen diskutiert, aber letztlich konnte sich der Vorschlag durchsetzen, der genau beschreibt, wo man uns findet. Lustigerweise heißt die Straße, die von Wehrstapel aus zu uns führt, noch so wie früher, nämlich Grimlinghauser Straße.“ 

Und so leben sie alle ihr Leben, mal beschaulich und mal gesellig. Die Vorteile der Stadt vermissen sie nicht wirklich. Hier denkt man in Lösungen, nicht in Problemen. Dazu fallen den Nierbachtalern unzählige Beispiele ein. „Wir haben hier zwar keine Geschäfte, aber ein Verkaufswagen mit Lebensmittel kommt regelmäßig quasi an die Haustür.“  „Wer spätabends von einer Party abgeholt werden muss, findet immer wen, der das erledigt.“  „Wer möchte, könnte täglich den Grill anwerfen, ohne damit die Nachbarn zu stören.“ Und nicht zuletzt: „Man kennt sich halt!“ Vorteile, die manchmal mit Geld nicht zu bezahlen sind.